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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Da rüttelte ein Schauer die Gestalt der Dirne. „Na, na,“ schrie sie auf, „wie mag ich denn denken – er – er kann ja net d’rin g’wesen sein, sonst hätt’ er ja net –“

Jählings verstummte sie, und mit schwerer, zitternder Hand auf Dori’s Arm sich stützend, lauschte sie der Tiefe zu.

„Dori – hörst es?“ stieß sie in bebendem Flüstern hervor, „hörst es denn net – da drunten –“

Die Worte erstarben ihr auf den offenen Lippen, den fliegenden Athem verhaltend, lauschte sie vorgereckten Kopfes in die Nacht hinaus – und da war es deutlich zu vernehmen, das klägliche Geheul des Hundes, der seinen Herrn gefunden.

Ehe noch Dori den Gedanken auszudenken vermochte, den jene unheimlichen Laute in ihm wachriefen, war Enzi schon zwischen den Bäumen des thalwärts ziehenden Waldes verschwunden. Da raffte er sich auf und rannte mit hocherhobener Fackel der Richtung zu, welche sie genommen. Wohl vernahm er immer und immer vor sich das Rauschen und Brechen der Büsche und Zweige, und dennoch gelang es ihm nicht, die Dirne einzuholen. Näher und näher klang ihm das Geheul des Hundes – und jetzt durchzitterte ein herzzerreißender Schrei die stille Nacht, und durch die finsteren Bäume hallte Enzi’s jammernde Stimme: „Gidi! Gidi! Mein Bua – mein Herzensbua!“

Keuchend erreichte Dori die Unglücksstelle und stand, in wortlosem Schreck an einen Baum sich lehnend. In seinen Händen zitterte die Fackel, die mit zuckender Helle das traurige Bild übergoß: den Jäger, regungslos ausgestreckt auf der Erde, die Dirne, über ihn hingeworfen in verzweifelndem Schmerze, und den Hund, der winselnd seinem Herrn die Hand des ausgestreckten Armes beleckte.

„Enzi! Enzi!“ stammelte Dori endlich und näherte sich schwankenden Ganges. Da fuhr die Dirne auf und schrie unter krampfhaftem Schluchzen zu ihm empor: „Dort – da schau – jetzt haben s’ ihn mir derschossen – mein’ Bua – mein’ Bua!“ Wieder warf sie sich über den Jäger hin, rüttelte in ihren Händen sein blutiges Haupt, hob es in ihren Schoß – und nun mit einem Male kreischte sie auf: „Jesus Maria – d’ Augen hat er offen – und – und reden möcht’ er – Gidi! Gidi! um tausendgottswillen – mach d’ Augen nimmer zu –“ In Thränen erstickten ihre Worte und mit hoffendem Bangen starrte sie in Gidi’s Gesicht, in welchem die Lider schon wieder geschlossen lagen, indeß ein mattes Lächeln den bleichen Mund umspielte.

Nun fuhr sie auf, und während sie mit dem einen Arme das Haupt des Wunden an ihren Busen drückte, mit dem andern über ihre Augen fuhr, sprudelte es von ihren Lippen: „Na! Na! Ich bin die Richtige! Weinen kann ich – nix als weinen, wo’s Helfen g’scheiter wär’! Weiter, Dori, weiter – steck ’s Licht in Boden und her zu mir!“

„Ja, Enzi, ja!“ stammelte der Bursche und stieß die Kienfackel in den moosigen Grund; dann richtete er sich lauschend auf.

„Enzi – mir is, als höret ich Leut’ im Wald!“

„Leut’! Die schickt mir der liebe Herrgott, der dengerst an Einsehn hat!“ Und mit hallender Stimme rief Enzi in den Wald hinein: „Ho! Ho! Leut’! da her! da her!“

„Ho! Ho!“ scholl es von verschiedenen Seiten, und dunkle Gestalten tauchten unter den Bäumen auf. Es waren die Holzknechte, die in der Holzerhütte auf dem Höllbergschlage hausten. Sie hatten den Schuß gehört, die Röthe des Brandes gewahrt, waren herbeigeeilt und hatten die jammernde Stimme der Dirne vernommen. Da wußte nun jeder einen Rath, und es schien ihnen das Klügste, den Jäger hinunter in das Schloß zu tragen.

„Nix da! Nix da!“ fuhr Enzi mit fliegenden Worten auf, während ihr noch immer Thräne um Thräne über die Wangen rollte. „Dritthalb Stund’ ins Ort! Seid’s denn verrückt? Zu mir in mein’ Hütten kommt er ’nauf. Weiter, Dori, da her, Du haltst mir mein armen Buaben. Du Hies, rennst nunter ins Ort um an Doktor! Weiter! Weiter! Du, Sepp, springst ’nauf in mein’ Hütten, kendst a Feuer an, stellst Milli und Wasser dazu – und da hast den Schlüssel zu meiner Truchen, da nimmst Dir a meinig’s Pfaid und schneidst es in handsame Streifen! Mach weiter! Geh! Geh! Und Du und Du – ihr zwei machts aus Stecken a Bahr z’samm! Und Du Lenzei, Du hilfst mir Daxen reißen zum Drauflegen!“

Einen Blick noch warf sie in Gidi’s stilles Gesicht, dann legte sie sein Haupt in Dori’s Arme, sprang auf und eilte auf die nächste Tanne zu, die Hände schon nach einem der buschigen Zweige streckend. Sie zog und zerrte die Aeste nieder, daß es nur so krachte durch den Wald, daß die rauhen Rinden ihr die Hände blutig rissen, und daß ihr der Schweiß in dicken Perlen von der Stirne tropfte. Ihr Muth und Eifer feuerte auch die Männer an. Eine Hand kam der andern zu Hilfe – und ehe noch wenige Minuten vergangen waren, konnten sie schon den Wunden auf die fertige, weiche Bahre legen. Dann hoben sie die Stangen auf ihre Schultern – drei Holzknechte und Enzi. Dori leuchtete ihnen mit der Fackel voran, und ihm zur Seite trippelte der Hund, der immer wieder stehen blieb und winselnd aufblickte zu der stillen Last, die da getragen wurde.


Auf dem Lager, auf welchem eine Nacht zuvor noch Veverl in stillen Träumen geschlummert hatte, lag Luitpold ausgestreckt. Naß klebten ihm die Haare an Stirn und Schläfen, und die entblößte Brust war feucht und dunkel geröthet. Jetzt rann ein Zittern durch seinen Körper, und ein fiebernder Athemzug rührte seine Lippen.

Da richtete sich jener, der vor ihm kniete, hastig empor und warf die nassen Tücher, die er in Händen hielt, zur Erde. „Er darf mich net sehen, wenn er d’ Augen aufmacht – er müßt’ ja z’viel derschrecken,“ flüsterte er, „aber – aber – merken soll er mich!“

Hastig eilte er der Felsennische zu, in welcher das Krucifix angebracht war, und kehrte mit einem zerknitterten Blatte zurück. Das schob er auf den Holzstuhl, darauf ein kleines Medaillon mit einem fadendünnen goldenen Kettchen lag. Und nun verschwand er lautlos aus der Höhle.

Luitpold rührte die Arme, griff mit den Händen nach der schwellenden Brust und öffnete die Augen. Da traf sein erster Blick die flackernde Helle der Fackel. „Feuer – das Feuer!“ stöhnte er unter grausendem Erschauern und fuhr in die Höhe. Doch ehe noch seine Füße den felsigen Boden berührten, gewann er das klare Bewußtsein der gefahrlosen Lage, in der er sich befand. Mit staunenden Augen überflog er seine seltsame Umgebung und starrte in den harmlosen Glanz der stillen Fackelflamme. Und wieder schauerte er in sich zusammen, als bei diesem Leuchten und Flackern die Erinnerung an jene fürchterlichen Minuten in ihm auftauchte. Er fühlte sich wieder erwachen, hörte seine müde Stimme, mit der er den knurrenden Hund zur Ruhe verwiesen, hörte das Knistern, das er im wieder beginnenden Halbschlaf für das Knistern der Herdflamme gehalten, und empfand aufs neue den stechenden Druck auf der Brust, mit dem er plötzlich aus qualvollen Träumen aufgefahren. Wieder hörte er das Winseln und Scharren des Hundes und sah sich aufspringen vom Lager und durch die raucherfüllte Stube der Thür zustürzen. Alles, alles lebte wieder in ihm auf: wie er vergebens nach Gidi rief, wie er den Herd ohne Feuer und doch alle Räume erfüllt sah von stickendem Dunst und Qualm, wie er die fürchterliche Gefahr erkannte und die Thür von außen verschlossen fand, wie er an allen Fenstern die Scheiben aufriß, die Läden aufstieß, zerrte und rüttelte an den starren Eisenstäben der engen Vergitterung, über welche die Flammen schon emporzuzüngeln begannen, wie er, halb schon betäubt von Rauch und Dunst und umkreist von dem angstvoll heulenden Hunde, die Thür zu erbrechen sich mühte und – und –

Und nun – nun! Wer hatte ihn gerettet aus Rauch und Flammen? Wer hatte ihn hierher in diese bewohnte Höhle gebracht? Wer hatte ihn zurückgerufen ins Leben? Wer hatte –

Da traf sein Blick den goldenen Schmuck auf dem Stuhle. Hastig griff er danach, hielt ihn in zitternden Händen und betrachtete das winzige Pastell, dieses schöne, zarte Mädchenantlitz mit den unergründlich tiefen Augen.

Aufathmend starrte er wieder um sich. Wo waren die Hände, die ihm während der Belebungsversuche diesen theuren Schmuck vom Halse genommen? Still und leer der ganze Raum! Seufzend schüttelte Luitpold den Kopf, unwillkürlich kehrten seine Blicke wieder zurück zum Stuhle. Er sah das Blatt, gewahrte die zierlichen und dennoch so festen Schriftzüge, mit denen es bedeckt war, griff danach, führte es näher vor die Augen und fuhr in stammelnden Worten auf: „Dieses – dieses Blatt! Ja seh’ ich denn recht? Ja, ja, es sind ihre Züge! Wie kommt dieses Blatt hierher?“ Mit nickendem Kopfe und fliegenden Augen begann er zu lesen: „Mein lieber, lieber Bruder! Ich weiß, Du hast Deine Johanna lieb, und Du wirst es ihr vergeben, wenn sie Dir Schmerz bereitet. Aber nun muß geschehen, was

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