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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Lebkuchen und Marzipan. [1]

Zuckerwerk verdirbt der Kinder Leiber, Schmeichelei die Weiber,“ sagt ein altes Sprichwort. Trotz dieser Mahnung werden in dem letzten Viertel jedes Jahres für die fröhliche Weihnachtszeit so ungeheuere Massen von Zucker verarbeitet, daß die Zuckerkrisis sofort aus der Welt geschafft sein würde, wenn man auch in den übrigen neun Monaten so menschenfreundlich wäre, den Mitmenschen das Dasein so viel als möglich zu versüßen. Unter all den Süßigkeiten aber, die an dem im Herzenlicht strahlenden Christbaum hängen oder unter denselben gelegt werden, nehmen zwei die hervorragendste Rolle ein: Lebkuchen und Marzipan. Beide sind altehrwürdige Leckerbissen, welche eine Geschichte haben und dazu, wie wir beweisen wollen, eine recht interessante. –

Fig. 1.0 Bewaffneter Herr a. d. 17. Jahrh.

Fig. 3.0 Reiter vom Schlusse des 16. Jahrhunderts.

Da das Alter den Vortritt hat, so müssen wir uns zunächst mit dem Lebkuchen beschäftigen, der schon einige Jahrhundert hindurch in Deutschland gegessen wurde, bevor sich die Zähne und der Magen an das Marzipan gewöhnt hatten. Bereits vor 600 Jahren erfreute sich an dem duftigen „lebekuoche“ oder „lebkuoche“ Jung und Alt, Weltlich und Geistlich; hauptsächlich letztere Kategorie, denn aus den Sitzen der mittelalterlichen Kultur, aus den Klöstern, ist der Lebkuchen hervor gegangen. Sein Name ist der Verräther seiner Herkunft. Der erste Theil des Wortes stammt aus dem mittellateinischen libum, das ist Fladen, welche halbgelehrte Zusammensetzung uns berichtet, daß das süße Gebäck zuerst an geistlicher Stätte bereitet wurde. Die Klosterschwestern waren in dieser Beziehung besonders erfinderisch, und heute noch melden die Namen köstlicher Bäckereien, wie Nonnenkräpflein, Nonnenplätzlein etc., wem sie ihren Ursprung verdanken. – In Nürnberg, das heute noch als Hauptsitz der Lebkuchen-Industrie anerkannt wird, spielten die Lebkuchen im 15. Jahrhundert auch außerhalb der Klostermauern schon eine hervorragende Rolle. Kaiser Friedrich III., der sich oft und gern in der alten Reichsstadt aufhielt, hatte Kunde erhalten, daß dieselbe sich eines reichen Kindersegens erfreue. Um diesen einmal in seiner ganzen Größe überblicken zu können, beehrte das Reichsoberhaupt alle Kinder unter 10 Jahren mit seiner Einladung. Aus allen Gäßchen und Gassen zappelten am Sonntag nach Himmelfahrt des Jahres 1487 die aufs Zierlichste geputzten Männchen und Fräuleins zur kaiserlichen Burg hinauf. Bald waren deren gegen 4000 im Stadtgraben unter derselben versammelt, der wohl seit dieser Zeit nimmer ein so fröhliches Gewimmel gefaßt hat. Die kleinen Gäste fühlten sich außerordentlich wohl daselbst, und es gelang ihnen sogar, das Oberhaupt des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in Verlegenheit zu bringen; als der Kaiser, hocherfreut über die muntere Schar, „dieser artigen und unschuldigen Menge der Leutchen“ außer Wein und Bier auch Lebkuchen reichen ließ, entwickelten dieselben in der Vertilgung eine solche außerordentliche Thätigkeit, daß die Vorräthe nicht hinreichten und mancher Wunsch unbefriedigt blieb. An Verzagtheit litt also schon damals die Nürnberger Jugend nicht! Als besonderer Schmuck war den Lebkuchen das Bildniß des hohen Wirthes aufgedruckt; man nannte deßhalb von damals an die zur Vertheilung gekommene Art Lebkuchen die „Kaiserlein“.

Der Schmuck und die Verzierungen, welche unsere Vorfahren jedem ihrer alltäglichen Gebrauchsgegenstände zu verleihen wußten, erstreckte sich also auch auf die Leckereien, an denen sie sich ergötzten. Während wir uns heute mit ganz glatten Lebkuchen, die höchstens durch einen Stern von Mandeln oder Citronat geschmückt sind, begnügen müssen, hatte man in früheren Zeiten das Vergnügen, zugleich die schönsten und interessantesten Darstellungen, wie das Urtheil des Paris, David mit der Harfe, die Geburt Jesu, Maria mit dem Kinde, das eigene oder das Wappen anderer Familien, prächtig geputzte Frauen und Männer in der Tracht ihrer Zeit, zu Fuß und zu Pferde, Schlittenfahrten (Fig. 7) etc., kurzum den ganzen Bilderkreis mitverschlucken zu dürfen, den die Holzschnitte und Stiche jener Zeiten aufweisen. Die frommen Beichtkinder des Pfarrers Joh. Ditelmair zu St. Jakob in Nürnberg druckten 1631 sogar das Bildniß des beliebten Geistlichen auf ihre Lebkuchen – sie hatten ihn also zum Fressen gern. Das fabelhafte Ungeheuer, das uns auf Fig. 5 so drohend anblickt, gehört noch dem 15. Jahrhundert an und dürfte wohl demnächst seinen 400jährigen Geburtstag feiern. 100 Jahre jünger ist der stolze Reitersmann (Fig. 3), dessen Pferd etwas kurz ausgefallen ist. Die reichgeschmückte vornehme Dame (Fig. 4) entzückte, ebenso wie der bewaffnete Herr (Fig. 1) im 17. Jahrhundert die Kinder, während wir in der anderen (Fig. 2) eine mit der Brautkrone geschmückte bürgerliche Dame erkennen, die bei fröhlichem Hochzeitsmahle die Tafel zierte.

Fig. 4. Dame in der Tracht des 17. Jahrh.

Die ältesten professionsmäßigen Verfertiger der Lebkuchen waren die Bäcker; sie theilten sich später in Schwarz- und Weißbäcker, von letzteren sonderten sich dann mit der Zeit die Zuckerbäcker und Lebküchner, auch Lebzelter und Pfefferküchler genannt, ab. In Nürnberg z. B. gehörten die Lebküchner bis zum Jahre 1643 zu den Weiß- oder Losbäckern und bildeten erst von da an eine besondere Innung mit eigener Ordnung, die sich aber bald zu der angesehensten der deutschen Lebküchnerzünfte aufschwang. Der Altdorfer Professor Wagenseil (geb. 1633, gest. 1705) spendet in einem seiner Werke vom Jahre 1697 deren Erzeugnissen großes Lob: „Die rechten guten Nürnberger Lebküchlein oder Pfefferkuchen, welche angenehm von Geschmack und eine rechte Magenstärkung, auch angenehm beim Trunk sein, haben noch niemals, wie sehr man sich auch darum bemühet, anderwärts können nachgemacht werden, ob man gleich Nürnberger Lebküchner und alle ihre Zuthat und Werkzeug darzu gebrauchen und verschrieben hat.“

Fig. 2. Braut des 17. Jahrh.

Aber auch die Lebkuchen anderer Städte erfreuten und erfreuen sich theilweise noch heute eines ausgezeichneten Rufes, so die von Basel, Braunschweig, Bremen, Breslau, Danzig, Pulsnitz, Thorn u. s. w. Von ganz besonderer Güte müssen auch die Ulmer Lebkuchen gewesen sein; soll doch nach einer Anekdote in Christoph Weigel’s Abbildung der „Gemein-Nützlichen Haupt-Stände“ (1698) ein Graf von Werdenberg seine Grafschaft Albeck „mehrentheils in Ulmischen Lebkuchen verschlucket“ und bei dieser angenehmen Beschäftigung immer gerufen haben: „Wie schmecken sie so gut! Mehr her! Mehr her!“

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts trat der Lebkuchenfabrikation ein gewaltiger Feind entgegen; unähnlich seinem lebkuchenfreundlichen Vorfahren Friedrich III. hob Kaiser Josef II. in seinen Erblanden die Lebküchnerzünfte gänzlich auf und verbot zu gleicher Zeit die Einfuhr fremder Leb- oder Pfefferkuchen. Hatte der große Kaiser eine Ahnung, daß die Lebkuchen ihren Ursprung in den von ihm gleichfalls aufgehobenen Klöstern genommen hatten, und trat er nur deßhalb so feindlich gegen die Lebkuchen auf? Oder wollte er in seiner allumfassenden Fürsorge nur seine Unterthanen vor verdorbenen Mägen und leeren Geldbeuteln bewahren? Jedenfalls war der Kaiser mit der Annahme der Alten, durch welche sich diese wohl nur selbst täuschen und das Lebkuchenessen entschuldigen wollten, daß die Lebkuchen eine „rechte Magenstärkung“ seien, nicht einverstanden. Noch weniger hätte ihm die von Christoph Weigel gegebene Ableitung des Wortes Lebkuchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_820.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)
  1. Sämmtliche Abbildungen zu diesem Artikel sind nach Thonabdrücken der alten Model des Germanischen Museums zu Nürnberg angefertigt.