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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Er nahm sie heraus, erhob sie zwischen zwei Fingerspitzen und sagte: „Ich habe auch dafür schon gesorgt!“

Dabei sah er die beiden jungen Leute jetzt erst des Genaueren an, einen nach dem andern, als wollt’ er die Wirkung seiner Worte an ihren Gesichtern erkennen.

Er sah in seines Mühmchens nassen Augen, auf ihren nassen zuckenden Wangen, daß er zu ihr nicht umsonst geredet hatte; er sah, daß diese nassen Augen jetzt in ihr Vorhaben wie in einen Abgrund blickten, dessen Tiefe, dessen Grausen sie jetzt erst ahnte. Er sah an der weltmännischen Verlegenheit Edgar’s, daß dieser ihn zu allen Teufeln wünschte und annoch nicht im Entferntesten dazu gestimmt war, den Weg nach der Dorfkirche einzuschlagen.

Darum zog er gleich herbere Saiten auf und sprach etwas rascher, etwas bewegter, die Uhr in der Hand und ihre Zeiger betrachtend:

„Der Weg ist, wie gesagt, kaum ein halb Stündchen weit. Ihr könnt den Wagen nachkommen lassen. Er wird uns leicht einholen und jedenfalls nach der Ceremonie bereit stehen, Euch sofort ins Weite zu bringen. Die heilige Handlung wird kurz sein. Etwas Predigt hab’ ich Euch ja jetzt schon vorab gehalten. Der bessere Rest ist bald gesprochen. In anderthalb Stunden vielleicht, jedenfalls in zwei Stunden, mögt Ihr Euere Hochzeitsreise mit Gott antreten, ohne sonstige Verzögerung von irgend einer Seite zu befürchten.

Was weiter hier darauf folgen muß, werd’ ich besorgen und werd’ ich dulden! – Was ich aber niemals dulden würde (dabei hob er das Haupt hoch und sprach mit einschneidendem Ton), das wäre, wenn Du Bianca Dein ganzes Lebensglück auf eine Laune, Deine Ehre auf einen hirnwüthigen Einfall verwetten, Dich zu Grunde richten, Deinen Vater unglücklich machen und das Andenken Deiner seligen Mutter im Grabe schänden möchtest. Für die lustige Woche eines Verführers bist Du mir zu schade! – Ferne sei es von mir, solch einen Argwohn gegen Sie zu hegen, lieber Herr Baron von Sperber! Entschuldigen Sie gütigst, daß ich nur die Möglichkeit einer solchen Spitzbüberei in Rede stellte! Verzeih mir das auch Du, Bianca! Aber Du wirst mir zugeben, daß ich in jenem Fall das Recht und die Pflicht hätte, Dich einfach am Arm zu nehmen, Dich, kost’ es was es wolle, in Deines Vaters Haus zurückzuführen und allen weiteren Anfechtungen einen oder mehrere Riegel vorzuschieben, die vollkommene Sicherheit böten.“

„Ja, ja!“ schluchzte Bianca, der die ganze Scene ungemein gefiel und die, ohne Sperber darum minder gut zu sein, ihren Vetter jetzt als den Retter ihres Lebens, ihrer Tugend und ihrer Ehre bewunderte und bedankte.

Finster blickte Sperber auf all diese höchst überraschende, nach seiner Meinung höchst unmotivirte Rührung.

„Nun, Herr Baron?“ nahm jetzt Pater Otto wieder das Wort. „Wollen wir aufbrechen? Es ist Zeit.“

In unserem guten Sperber war bei all diesen Reden des Priesters und Angesichts des Verhaltens, welches Bianca dabei an den Tag legte, der kaum entlassene Verdacht von Neuem und mit erhöhter Macht wiedergekehrt. Er glaubte in der ganzen Geschichte ein von langer Hand abgekartetes Spiel zu erkennen, wodurch er, der ahnungslose, blind vertrauende Fremdling, ins Garn gelockt und, eh’ er sich’s versah, mit einer Frau beglückt werden sollte, mit einer Frau, die ihm in der That bis zu dieser Minute in jedem Sinne begehrenswerth erschienen war, die ihm aber die Nothwendigkeit, sie auch in aller Form Rechtens ehelichen zu müssen, noch niemals weder in Gesprächen noch in Andeutungen nahe gelegt hatte. Unter andern Umständen und wenn ihm die Familie Latschenberger nur einigermaßen besser behagt hätte, wäre er gewiß selber zu dieser Idee gediehen. Ja, auch trotzdem vielleicht, denn er liebte Bianca von Herzen und mehr sogar, als er wußte. Aber sich in so brutaler Weise von einem hinterlistigen Pfaffen übertölpeln zu lassen und ein Mädel, das sich mit solch einem Pfaffen, ihn zu übertölpeln, verschworen hatte, in das alte Patrizierhaus an der Alster als seine Gemahlin heimzuführen, das ging ihm doch gegen den Strich, und er hatte Mühe, seinen aufkochenden Groll zurückzuhalten und jenen nicht gleich jetzt ins Gesicht zu sagen, daß sie ihn in ganz unwürdiger Weise zum Narren gehalten hätten, daß er aber doch kein solcher Gimpel sei, um sich durch das Pfeifen des impertinenten Mönchs auf die von Fräulein Scandrini so glatt gestrichene und so zierlich dargereichte Leimruthe locken zu lassen. Nein, auf also lächerliche Weise wollte Sperber trotz seiner großen Gutmüthigkcit und seiner noch größeren Verliebtheit nicht kleben bleiben.

Er war nicht der Mann der lauten Grobheit. Er wollte Bianca, die Hinterlistige, obwohl er sie in diesem Augenblick unbedenklich mit dem nächsten besten Tischmesser hätte erdolchen mögen, nicht beleidigen. So hielt er noch mit Worten an sich. Aber sein Angesicht verrieth deutlich genug, daß er nicht gesonnen sei, die Opfer, welche der Chorherr für seine Gewissensruhe zu bringen dürstete, sofort anzunehmen. Abwechselnd seine wohlgepflegten Fingernagel und die beiden gegenübersitzenden Menschen betrachtend, sprach er endlich:

„Euere Hochwürden werden es begreiflich finden, wenn mich dero Vorschlag überrascht hat, wenn ich mich nicht sogleich in denselben finden kann …“

Bianca blickte den Redenden da mit weit offenen Augen erschreckt an. Ihrem theatralisch bewegten Gemüthe war der Vorschlag des Vetters himmlisch schön und alle Sorgen und Zweifel mit einem Schlage lösend erschienen. Diese Trauung in der waldverborgenen Dorfkirche, mit dem jungen Priester auf der einen Seite, der sie einst geliebt hatte und der nun, um sie glücklich zu wissen, geistlichen und weltlichen Strafen entgegenging, mit dem gepackten Reisewagen, der sie gleich nach dem Amen in die ferne Fremde führen sollte, auf der anderen Seite, das war ja ein Aktschluß, wie man ihn rührender weder in der Oper noch in der Burg sehen konnte. Sie hörte ordentlich die Musik des vollen Orchesters dazu. Nach ihrem Sinn mußten jetzt Edgar und sie dem hilfreichen Priester zu Füßen stürzen oder ihm doch um den Hals fallen und ihm unisono für diesen glorreichen Einfall danken, um sofort die nächste Scene vorzubereiten und ihr Glück zu beschleunigen.

Wie Edgar sie jetzt in seinen Gedanken mit kränkendem Verdacht überhäufte und aus seinem Herzen zu schieben suchte, so schien er ihr mit jedem Worte, das er sprach, kleiner zu werden, zu einer ganz gewöhnlichen Dandygestalt einzuschrumpfen und jeden lyrischen Zauber zu verlieren.

Er fuhr fort: „Vor Allem muß ich Sie bitten, hochwürdiger Herr, mir kein Unrecht zu thun. Ich bin kein Don Juan: mein Sinn steht weder auf Verführen noch auf Entführen. Wenn ich in diese, allerdings ein wenig abenteuerliche Ausfahrt willigte, so geschah es, weil Fräulein Bianca es so haben wollte und weil ich sie so herzlich liebte, daß ich jeden ihrer Wünsche zu erfüllen bereit war. Im Uebrigen glauben Sie mir, ich bin ein Freund von geregelten Verhältnissen. Aber meine Verhältnisse sind zum Heirathen nicht geregelt genug. Ich denke eben darin vielleicht etwas prosaisch, etwas beschränkt, etwas kleinstädtisch. Ich denke darin, wie ich es in meiner Familie gelernt habe von Kleinauf und wie ich weiß, daß meine Familie solch einen Schritt, wie Sie ihn mir zumuthen, beurtheilen, wie sie eine Frau, die ich unter solchen Umständen, ohne Einwilligung der Eltern, unterwegs, ex improviso, gefreit, aufnehmen würde.

Verstehen Sie mich um Gottes Willen nicht falsch! Niemand ist inniger als ich von der Ueberzeugung durchdrungen, daß Fräulein Bianca aller Ehren und jeder und der angesehensten Familie werth ist. Ich würde mir’s als höchstes Glück auslegen, sie in meine Familie einzuführen. Allein, dazu sind andere Vorbereitungen erforderlich, als Sie mir jetzt in Kürze vorschlagen. Ich darf gegen geltende Sitte nicht verstoßen. Ich will es auch nicht.

Mein Großonkel, James Edward Sperber, hat einen seiner Söhne wegen weit geringerer Verstöße gegen die Sitten des Hauses, als Sie mir zumuthen, enterbt.

Ich will nicht enterbt werden. Was würde dann aus meiner Frau? Und ich wünsche meine Frau in jedem Sinne glücklich zu wissen.

Ich wiederhole, daß ich glücklich sein würde, wenn Bianca meine Frau würde. Ich bin auch bereit, bei meiner Familie vorbereitende Schritte zu thun. Aber auch von Bianca’s Seite müßten da Vorbereitungen getroffen werden und ganz entschiedener Art. Ich habe schon angedeutet, daß meine Familie etwas kleinstädtisch in gewisser Beziehung denkt. Fräulein Scandrini müßte von vornherein auf ihre Karriere als Bühnenkünstlerin definitiv verzichten ...“

„Niemals!“ klang es jetzt mit schallender Entrüstung von Bianca’s Lippen. Und dann sah einer den anderen schweigend an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_818.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2023)