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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

schwebte, in welchem den Hühnern der Frau Wirthin und den besseren Weinen Edgar’s mehr zugesprochen wurde, als ihren Vorgängern auf demselben Tisch.

Die ganze Situation erschien den beiden Liebesleuten wie ein seltsames Räthsel. Aber sie schickten sich darein in Erwartung baldiger Auflösung desselben und hofften schon nicht mehr Zerstörung, sondern Förderung ihres kecken Planes durch den verwandten Gottesmann, welchem nichts Menschliches fremd war.

Es hörte sich auch anfangs ganz so hoffnungsvoll an, wenn Pater Otto, nachdem die Tafel aufgehoben worden, den Vorschlag machte, den Kaffee draußen auf einer Bank unter den Nußbäumen einzunehmen, wo man vom Wirthshause fern und vor jedem neugierigen Ohr sicher war. „Denn, meine lieben Leut’,“ fügte er hinzu, „wir haben jetzt ernsthaft mit einander zu reden und was nur wir Drei allein hören und erwägen sollen.“

Er ging voraus durchs Gras, nicht anders, als wollt’ er den beiden Verliebten Zeit gönnen, sich ihre Verwunderung über so merkwürdiges Eingreifen in eigenste Absichten auszudrücken und ihre Gedanken an einander zu sammeln.

Sie huschten auch alsbald zu einander, und ein Kreuzfeuer von leisen Fragen trug doch etwas zur Erleichterung ihrer verblüfften Seelen bei.

„Hatten Sie eine Ahnung, Bianea, daß er wußte . . .“

„Baron, wie mögen Sie so etwas nur denken . . .“

„Ich gestehe, daß ich Arges und Aergeres dachte . . .“

„Aber Edgar!“

„Was er nur vorhat?“

„Ich weiß es nicht!“

„Wie wär’s, wenn wir rasch einspannen ließen und ihm vor der Nase davonführen?“ sagte Sperber, dem die Lage der Dinge wieder gar nicht geheuer schien. Der Schwarzrock hatte wieder eine verdammt ernsthafte Miene aufgesetzt, wie er nunmehr dort drüben im Schatten der Nußbäume ein kleines Brevier, zwischen dessen Blätter er den rechten Zeigefinger gesteckt, ab und zu vor die Augen brachte, und also betend im grünen Grase auf- und niederwandelte, als wär’ er allein.

Sie hätten ihm jetzt vielleicht wirklich entwischen können.

Aber Bianca schüttelte zu dem leisen Vorschlage hastig den Kopf. Der Einfluß, den Pater Otto als Vetter, Freund und Lehrer von Kindheit an auf sie geübt, war viel zu groß, als daß sie nicht empfunden hätte, was er in dieser Stunde sagen werde, sei von entscheidender Wichtigkeit für ihr ganzes Leben und müsse gehört werden, wenn sie vor sich selber nicht feig und erbärmlich erscheinen wolle.

Der Entschluß stand ja nach wie vor noch bei ihnen allein! Und sie sah trotz ihrer Weigerung, sich der Unterredung mit dem Mönche zu entziehen, den Geliebten aus ihren blauen Augen so innig an, daß er keinen anderen Willen mehr hatte, als den ihrigen.

„Kinder, der Kaffee ist da!“ rief nun der Chorherr von den Bäumen her, wo eine Magd das Tuch über den Tisch breitete und Tassen und Kanne zierlich genug aufstellte.

Die Beiden traten langsam näher.

Sperber suchte nach Bianca’s Hand, und die Sorge seines Herzens ließ ihn noch einmal das Bedenken aussprechen: „Er wird Sie überreden?“

„Nein, Edgar!“ antwortete das schöne Mädchen. „Verlassen Sie sich auf mich! Ich bin nicht von denen, die ihr Wort zurücknehmen!“

So schritten sie Hand in Hand auf den Nußbaum zu, wo Pater Otto die zierlichen Schalen mit der duftigen braunen Moccabrühe vollgoß und, als ob er hier der Hausherr wäre, sie den Ankommenden kredenzte.

Schweigend schlürften alle drei, und als sie fertig waren und die Tassen wieder auf den Tisch setzten, sahen sie einander fragend, erwartungsvoll, schier feierlich an.

Der Priester nahm eine Cigarre aus Edgar’s verbindlich dargereichtem großen Reise-Etui, dankte, machte sich Feuer, warf das Schwefelhölzchen auf den Boden, trat das Flämmchen aus, that einen langen Zug und hub dann, während er den ersten Rauch der Havanna von sich blies, also an:

„Was Ihr nun wollt, meine lieben theueren Freunde, das ist klar. Ihr wollet einander angehören fürs Leben, und selbander in die schöne weite Welt ziehen ...“

„Und mein Engagement in Königsberg antreten!“ warf Bianca festen Tones dazwischen, als Pater Otto seiner Cigarre noch einmal eine lange duftige Rauchwolke entsog.

„So ist es!“ fuhr er fort. „Ihr habt es beide vielleicht nicht richtig angefangen. Aber Geschehenes tadeln hätte hier keinen Zweck. Baron Sperber war vielleicht nicht offenherzig genug mit sich selbst und gegen den Onkel nicht klar genug. Aber Dein Vater ist ein Grobian. Ich weiß Alles. Passons là-dessus.

Weniger klar dürfte nun aber Euch, meine lieben verehrten Freunde, sein, was ich will.

Vor Allem Eins: ich will Euch in Euerem Vorhaben nicht hindern! Glaubt, daß ich von Herzen Euer guter, treuer, redlicher Freund bin!“

O und ah! schollen jetzt von Rührung halb unterdrückt durch einander. Von beiden Seiten rückte eines der Verliebten an den trefflichen Otto heran. Bianca, deren Augenwimpern feucht waren und zuckten, faßte mit beiden Händen zutraulich seinen Arm und Edgar legte seine männliche Rechte auf die schlanken blassen Finger des gelehrten Mönchs.

Dieser redete weiter unentwegt. „Ja, ich bin Euer wahrer Freund und werd’ es Euch beweisen, mit Hintansetzung meiner Person, ich werde gerne Tadel und Strafen auf mich nehmen, um Euch zu Willen und Eurem Lebensglück förderlich zu sein.

Denn,“ und er seufzte tief auf dabei, „ohne harten Tadel und ohne schwere Strafen für mich wird es nicht hingehen! Mag es darum sein!

Ihr seht mich fragend an? Ihr versteht mich nicht? Nun denn, so machet Euch auf und folget mir und Ihr werdet Alles begreifen!

Ich habe drüben im Dorf in jener Kirche, deren spitzes Thürmchen Ihr aus dem Thalgrunde hervorstechen seht – es ist keine halbe Stunde hinüber – ich habe dort Alles vorbereitet, um Euch Beide vor des Herrn heiligem Altar als rechte und gerechte Brautleute zusammenzugeben und den Bund fürs Leben nach den Satzungen der Kirche zu segnen.

Ihr mögt Euch denken, daß es nicht ganz einfach zugegangen sein kann, meinen verehrten Amtsbruder in Christo, den dortigen Herrn Pfarrer, in solch eine abnorme Bestimmung einwilligen zu machen. Aber ich habe Alles auf mich genommen, ich werde jede Verantwortung vor der bürgerlichen Behörde, wie vor dem Herrn Erzbischof tragen. Es muß sein, daß ich darum leide. Aber ich will es mit Freuden thun, um Sünde zu verhindern und Euch glücklich zu wissen.“

Die Cigarre war nun doch ausgegangen. Bianca lehnte mit dem Angesicht auf Otto’s Arm, und ihre leisen Thränen rannen langsam an dem schwarzen glänzenden Stoff seines Kuttenärmels hinab. Edgar aber hatte die Hand des Redenden losgelassen, er starrte betroffen in die Tischplatte hinein, kaute die Lippe und bewegte kaum hörbar in verhaltener Ungeduld die Fingerspitzen auf dem Kaffeetuch.

Otto achtete dessen gar nicht und sprach weiter in gleichmäßigem Fluß und leidenschaftsloser Betonung.

„Euch glücklich und vereint zu wissen, wird mein Trost im Leiden sein. Und Ihr werdet mir ein treues Gedenken bewahren, wie ich jetzt Eueren Herzenswunsch erkannt habe und mich beeile ihn zu erfüllen.

Denn daß das Euer Herzenswunsch ist, nicht wie die Wahnsinnigen und die Verächtlichen in die weite Welt hinauszurasen, sondern wie ehrliche christliche Eheleute überall Gottes Wege zu wallen, das nehm’ ich als sicher an, Jedes andere Vermuthen wäre eine Schmach.

Ich ermögliche Euch nur hier und sofort, was Ihr mühsam und langsam im fremden Lande hättet suchen müssen.

Besser und klüger wär’s ja, Ihr kehrtet um und machtet Alles nach der Regel und nach gutem Gebrauch in Ordnung.

Aber ferne sei es von mir, Euch zu drängen! Ich kenne Deinen abenteuerlustigen, romantischen Sinn, liebe Bianca. Ich weiß, daß Dein Vater Euch Beide nicht sehr freundlich aufnehmen und jedenfalls sich lange Bedenkzeit ausbitten würde. Fahret denn aus in Gottes Namen! Aber nicht ohne den Ring am Finger! nicht ohne den Segen der heiligen Kirche!“

Pater Otto griff bei diesen Worten in die Westentasche und zog ein Bällchen Seidenpapier hervor, darin zwei Ringlein eingewickelt waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_816.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2023)