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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Trümmer vom Palazzo des Timberio liegen, da sitze der Kaiser, eine Gestalt von Bronze mit Augen von Diamant, auf einem riesigen Rosse von Erz.

Derweil schritt Sejan voran auf seiner verwegenen Laster- und Frevelbahn. Schon konnte er wähnen, dem Ziele ganz nahe zu sein. Senat und Volk Roms erschöpften sich in sklavenhafter Kriecherei vor dem Minister. Standbilder wurden ihm errichtet, in überschwänglichen Lobpreisungen seine angeblich großen und mannigfachen Verdienste um den römischen Staat anerkannt. Die Schmeichelei ließ gerade hier wieder einmal sehen, in welche Tiefe die menschliche Niederträchtigkeit hinabzusteigen vermag. Die Augen seines Herrn und Gebieters schien Sejan vollständig verblendet, dessen Ohren ganz und gar verstopft zu haben. Nun aber beging der vom Glück über alle Maßen verhätschelte, bis zum höchsten Grade des Größewahns hinaufgeschmeichelte Narr der Fortuna den groben Fehler, von der Seite des Kaisers auf Capri weg und nach Rom zu gehen. Vermuthlich darum, weil er meinte, nur in der Hauptstadt die letzte Hand an das vielverschlungene Gewebe seiner Entwürfe legen zu können. Der Empfang, welchen er fand, mußte in dieser Meinung ihn noch bestärken. Der Senat und das Volk bewillkommten ihn, als wäre er schon der wirkliche und anerkannte Herrscher. Und doch sollte es mit seiner ganzen Herrlichkeit so rasch zu Ende gehen, daß wir verstehen, wie Cassius Dio mit Bezug auf diesen Sturz sagen mochte: „Ein Gott selbst, welcher einen so baldigen und schrecklichen Umschlag der Dinge geweissagt hätte, würde keinen Glauben bei den Menschen gefunden haben.“

Nach Sejans Abreise von Capri hatte Tiberius seinen Großneffen den Prinzen Gajus, genannt Caligula, einen Enkel seines Bruders Drusus, als den muthmaßlichen Thronfolger nach der Insel kommen lassen. Diese gute Gelegenheit benützte die Großmutter Caligula’s, die noch lebende Witwe des Drusus, Antonia, auf welche der Kaiser allzeit großes Vertrauen gesetzt hatte, um brieflich ihrem Schwager über alle die Zettelungen, Ruchlosigkeiten und Pläne Sejans die Augen zu öffnen. Die Wirkung dieser Aufklärung war furchtbar. Der Günstling, der Vertraute, welchen er aus dem Nichts zur höchsten Höhe emporgehoben, war der Verführer seiner Schwiegertochter, der Mörder seines einzigen Sohnes, der Verderber der kaiserlichen Familie, ein Laster- und Frevelbube, welcher augenscheinlich auch nicht anstehen würde, seinen Wohlthäter selber zu vernichten, sobald das ihm zweckfördernd erschiene!

Die ganze Flut von Grimm und Wuth, welche sich seit lange, lange in der Brust des Kaisers, zu dessen Verfinsterung auch der zwei Jahre zuvor erfolgte Tod seiner Mutter Livia nicht unwesentlich beigetragen, angesammelt und aufgestaut hatte, brach jetzt aus und los. Der kranke Greis wurde ein blutlechzender Tiger. Ja, nur mit dem Gebaren eines Königstigers, welcher zum Todessprung auf sein Opfer sich niederduckt, ist das grauenhaft listige Verfahren zu vergleichen, welches Tiber einschlug, um den Verräther und Mörder Sejan zu umstricken und zu vernichten. Am 18. Oktober des Jahres 31 n. Chr. fiel zu Rom der zerschmetternde Blitzstral. Der auf der Zenithhöhe seiner Macht und Sicherheit sich wähnende Verräther ward plötzlich in offener Senatssitzung angeklagt, verhaftet und noch an demselben Tage hingerichtet. Damit aber nicht genug: ein so fürchterliches Strafgericht erging über Sejans ganzen Anhang, daß die Gossen der Straßen Roms vom Blute dampften.

Fünfzig Jahre hernach hat Juvenal in der 10. seiner Satiren jenen oktoberlichen Schreckenstag in seinem pathetisch-drastischen Kothurnstil geschildert und hat daraus achselzuckend die freilich nicht neue Moral gezogen, daß der süße und der saure Pöbel („turba“) steigenden Glückspilzen allzeit den Hof mache, gefallene aber hasse („sequitur fortunam ut semper et odit damnatos“).

Wie es dem Alten auf Capri zu Muthe gewesen, bezeugt einer seiner in jenen Tagen an den Senat gerichteten Briefe, an jener bekannten Stelle, allwo er den Verzweiflungsschrei ausstieß: „Was ich an euch schreiben soll, versammelte Väter, oder wie ich es soll oder ob ich dermalen gar nicht schreiben soll, mögen alle Götter und Göttinnen mich noch verderblicher treffen, als ich täglich mich getroffen fühle, wenn ich es weiß.“

Noch sechs Jahre lang schleppte der Greis die Qual seines Daseins weiter, augenscheinlich von häufigen Anfällen von Irrsinn, ja von Tobsucht heimgesucht. Trotzdem ist von der gäng und gäben Ueberlieferung, Tiberius habe sich alle diese Jahre hindurch auf seinem Inselfels förmlich in teuflisch ausgetiftelten Grausamkeiten oder abwechselnd damit in namenlosen Lüsten gewälzt, bei näherem Zusehen manches, vieles sogar als offenbare Uebertreibung oder bare Verleumdung zu streichen. Dagegen untersteht es keinem Zweifel, daß Tiber in seinen letzten Jahren seiner gränzenlosen Menschenverachtung allerdings den Ausdruck der vollendetsten und schonungslosesten Tyrannei gegeben hat. Er schien es darauf angelegt zu haben, ausfindig zu machen, was alles die Menschen sich bieten und gefallen ließen, wie weit sie es in feiger Sklavenhaftigkeit bringen könnten, und wenn er wieder eine recht sprechende Probe davon erhalten, hat er wohl, wie Cassius Dio meldet, in dämonischer Schadenfreude ausgerufen: „Wann ich todt, mag die Welt im Feuer aufgehen!“ Daraus ist, gelegentlich bemerkt, zu ersehen, das das pompadour’sche: „Nach uns die Sündflut!“ und das metternich-gentz’sche: „Uns wird es wohl noch aushalten!“ nur Plagiate gewesen sind.

Zu Anfang des Jahres 37 n. Chr. fühlte sich der greise Tyrann plötzlich von jenem Drang, den Ort zu wechseln, ergriffen, welcher ja Menschen, über denen die Hand des Todes schwebt, häufig anfaßt. Er machte sich von Capri nach dem Festland auf und reis’te nach Tusculum, um daselbst, jedoch mit Vermeidung Roms, seine alte Schwägerin Antonia zu besuchen. Auf der Rückfahrt nach seiner Insel erkrankte er unterwegs, ließ sich nach der am Vorgebirge Misenum gelegenen Villa des Lucullus bringen und dort ist er am 16. März genannten Jahres gestorben, nicht, wie sich widersprechende Sagen wollten, eines gewaltsamen, sondern eines natürlichen Todes. Achtzehn Jahrhunderte später hat ein deutscher Dichter, Emanuel Geibel, den „Tod des Tiberius“ meisterlich geschildert. Das ist wohl die bedeutendste Aeußerung, welche die geschichtliche Erscheinung des Alten von Capri bislang der Poesie abgewonnen hat. Das Trauerspiel des dänischen Dichters Hauch, obzwar nicht ohne Verdienst, reicht an seinen Gegenstand nicht hinan.

Und die Summe unserer historischen Betrachtung?

Diese: – Tiberius trat auf als ein Vollstrecker des Strafurtheils, welches die Weltgeschichte als Weltgericht über das antike Weltalter und namentlich über das Römerthum gesprochen hatte. Immer zu Zeiten, wann die Menschheit siech, die Gesellschaft brandig und faulig geworden, kommt so ein skrupelfreier Aderlasser daher, so ein dämonisch kühner und rücksichtsloser Arzt, dessen einziges Recept lautet: Eisen und Feuer!


Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.
(Fortsetzung.)


Pater Otto ließ sich jeden Gang wohl schmecken, redete auch seiner Muhme fleißig zu, so daß sie nach und nach sich bald von dieser, bald von jener Speise vorlegen ließ, ohne freilich recht zu wissen, ob und was sie aß, und er stieß mit Edgar wiederholt an und trank ihm zu „auf Erfüllung guter Wünsche!“ und allen Beiden „auf eine glückliche Zukunft!“

Der Priester zeigte sich in so unbefangener und guter Laune, als ob er bei einem richtigen Hochzeitsmahl säße, so daß die anderen Beiden, je länger die Tafel währte, desto weniger aus dem wunderlichen Heiligen klug wurden. Sie sahen sich einander erst fragend, dann wieder liebevoll an. Edgar’s Zweifel an der Geliebten schwanden, und Bianca konnte sich des Einfalles nicht erwehren, daß der Vetter am Ende gar ihre Flucht begünstigen möchte.

So kam es, daß die zweite Hälfte der Sitzung sich in der That nicht so unbehaglich wie die erste gestaltete, daß ab und zu das Mädchen und ihr Baron ein Wort in die Unterhaltung warfen, deren Kosten bisher nur Pater Otto ganz allein bestritten hatte, und daß nach und nach ein munterer Geist über der Verhandlung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_815.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)