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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

des Staatshaushalts, für die Handhabung einer unparteiischen Rechtspflege, für die Sicherheit der Personen und des Eigenthums, für die Beschränkung des übermäßigen Luxus und für die Besserung der schlechten Sitten.

Aber trotz alledem und allediesem hat der Kaiser Tiber niemals das Gefühl der Liebe, sondern allen Leuten nur die Empfindung scheuer Furcht eingeflößt. Tacitus hat das gewiß richtig aus der persönlichen Erscheinung des Fürsten erklärt, aus dessen Mangel an verbindlichen Formen, aus seinem eckigen, schroffen, abstoßenden Gebaren, das eben nur der entsprechende Ausdruck seiner düsteren Seelenstimmung war. Es ist dieses Mannes Unglück gewesen, daß er nicht zu sein vermochte, was sein Vorfahr in so hohem Grade zu sein vermocht hatte, ein vollendeter Komödiant. Das Komödiantische unterhält und ergötzt ja die Leute, vorab die Weiber, welche letzteren ja, wie weltbekannt, bei Schaffung der sogenannten öffentlichen Meinung nicht etwa nur einen, sondern vielmehr alle zehn Finger, von der Zunge gar nicht zu reden, im Spiele haben. Tiberius verschmähte es, den Gaukler, Wortschaumschläger und Süßholzraspeler zu machen. Er gab sich, wie er war, folglich als einen nichts weniger als liebenswürdigen Menschen. Darum ist er von Anfang an entschieden unpopulär gewesen. Die Wucht seiner Unpopularität wirkte auf ihn wieder zurück, machte ihn von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde verschlossener und unzugänglicher, mißtrauischer und argwöhnischer. Die Folge hiervon war eine finstere Vereinsamung inmitten der Machtfülle und des Glanzes der Weltherrschaft. Diese Vereinsamung mußte mehr und mehr seine krankhafte Verstimmung und Verbitterung steigern, bis zuletzt, vollends ganz durchgiftet und durchseucht von entsetzlichen Enttäuschungen, das kranke Gemüth des Herrschers in wilden Wahnsinn, in wüthende Verzweiflung ausbarst.

Sueton und Tacitus stimmen darin überein, daß, obzwar Tiberius „mit der Zeit mehr und mehr den Fürften herauskehrte, dennoch in seinem Wesen die Seite der Milde und der Fürsorge für das Gemeinwohl noch die vorherrschende blieb“ und daß diese gute und glückliche Periode seiner Regierung neun Jahre gewährt habe, bis zum Tode seines einzigen Sohnes, des Kronprinzen Drusus, auf welchen der Vater die größten Hoffnungen gesetzt hatte und der i. J. 23 n. Chr. nach kurzer und scheinbar unbedeutender Krankheit wegstarb. Allerdings vergiftet, wie acht Jahre später kund wurde, aber keineswegs durch den eigenen Vater, wie der dumm-boshafte Stadtklatsch munkelte. Selbst Tacitus konnte nicht umhin, diese absurde Verleumdung als solche zu brandmarken (Jahrb. 4, 11). Gewiß aber ist dem Kaiser nicht verhohlen geblieben, daß die hauptstädtische Lästersucht ihm selbst das Abscheulichste, die Vergiftung des eigenen Sohnes, gewissenlos anlog, und wiederum auch dadurch mußte die Schneide der Menschenverachtung und des Menschenhasses tiefer in seine Seele gedrückt werden. Oftmals gab er diesen Eindrücken grimmigen Ausdruck, indem er auf griechisch ausrief: „Oh, über dieses nach Knechtschaft haschende, nach Sklaverei gierige Menschenpack!“ Wenn aber ein Imperator urbis et orbis, der Herr der römischen Welt einmal so weit war, in den Menschen nur noch Sklaven zu erkennen, so hatte er nur noch wenige Schritte zu thun, um dort anzulangen, wo es ihm eine bittere Lust, eine Wollust der Verzweiflung sein mußte, auf diesem „Pack“ recht hart und schwer herumzutreten.

Ein solches Gelüste konnte in dem ergreis’ten Monarchen nur noch geschärft werden durch seine Beziehungen zum römischen Adel, welcher, wenn man es so ausdrücken darf, den Tiberius mit der einen Hand streichelte und mit der andern kratzte. Die tiefe sittliche Versunkenheit der römischeu Nobilität zu dieser Zeit ist ja allgemein bekannt. Diese Sippschaft von adeligen Herren und Damen, diese ganze vornehme und feine Societas Roms hatte eine auffallende Aehnlichkeit mit der feinen und vornehmen Société von Paris in den letzten Jahrzehnten vor der großen Revolution. Hier wie dort lebte der Adel ganz wesentlich von Mißbräuchen, hier wie dort suchte er von dem Monarchen mittels der niederzüchtigsten Schmeichelei Auszeichnungen, Begünstigungen, Schenkungen und Gnadenbeweise zu erschwindeln und doch machte hier wie dort die Aristokratie im Geheimen Opposition gegen den öffentlich mit Kniebeugungen und Lobpsalmen beschmeichelten Herrn und Gebieter und suchte sich für ihre selbstverschuldete Erniedrigung durch die Ausheckung und Verbreitung der boshaftesten Lügen und giftigsten Verleumdungen schadlos zu halten.

Der einsame und düstere Fürst sah und wußte das alles. Der Abschen, den ihm dieser vornehm-süße Pöbel, dieser betitelte Menschenkehricht einflößte, wurde allmälig ein gränzenloser. Eine logische Folge hiervon ist gewesen, daß er sein Vertrauen plebeischen Männern schenkte und solchen die wichtigsten Posten im Staate anwies. Aber gerade hierin sollte er die schrecklichste Erfahrung seines an traurigen Erfahrungen so reichen Lebens machen, gerade da mußte er so schwarzen Undank, so grauenhaften Verrath ernten, daß davon der Ausbruch des tiberischen Tyrannenwahnsinns zweifelsohne datirt.


7.

Des Kaisers erster Günstling, Vertrauter und Minister war Aelius Sejanus, ein Mensch von dunkler Herkunft aus der etruskischen Stadt Vulsinii. Er führte amtlich den Titel Generalquartiermeister („praefectus praetorio“) oder Gardegeneral. Bei ihm stand jedoch nicht nur der Oberbefehl über das Gardecorps und die sämmtlichen in der Hauptstadt und ihrer Umgebung stationirten Truppen, sondern er war thatsächlich auch das, was wir unter einem Kriegsminister verstehen. Noch mehr, er war der Sache nach Erster Minister oder Reichskanzler, des Monarchen rechte und linke Hand in allem und jedem. Tiberius vertraute ihm unbedingt und ermüdete nimmer, ihn mit Würden und Reichthümern, Gnaden und Ehren zu überschütten. Zuletzt ertheilte er ihm noch Amt und Titel eines „Gehilfen im Reichsregiment“ (adjutoris imperii), also eines Mitregenten, und suchte ihn auch verwandtschaftlich mit dem kaiserlichen Hause zu verknüpfen, indem er seinen Großneffen vonseiten seines Bruders Drusus mit einer Tochter Sejans verlobte.

Dies alles jedoch reichte nicht aus, des Emporkömmlings rasenden Ehrgeiz zu sättigen. Sejan hatte kein niedrigeres Ziel ins Auge gefaßt, als sich selber an den höchsten Platz zu schwingen, entweder den Kaiser zu verdrängen, zu beseitigen oder wenigstens alles vorzubereiten, um der Nachfolger desselben werden zu können. Höchst talentvoll, außerordentlich gewandt, verschlagen und erfahren, wie in allen Lastern, so auch in allen Listen und Künsten der Zettelung und Nachstellung Meister, vor keinem Verbrechen, aber auch vor gar keinem, so dasselbe ihm zweckdienlich erschien, zurückschreckend, so konnte dieser Mensch in dem Rom von dazumal sich wohl mit der Hoffnung schmeicheln, sein ungeheures Ziel zu erreichen.

Entschlossen und energisch betrat er die gefährliche Bahn. Sein erstes großes Unternehmen auf derselben war, daß er die Livilla, die Gemahlin des Kronprinzen, des einzigen Sohnes seines gütigen Gebieters, verführte und mit ihrer Beihilfe den Drusus mittels Giftes umbringen ließ. Dann verschritt er dazu, andere Steine, welche hindernd auf seinem Wege lagen, ebenfalls zu beseitigen. So die Prinzessin Agrippina, Witwe von Tibers verstorbenem Bruder Drusus, und ihre Söhne, auf welche nach der Vergiftung des Kronprinzen Drusus die Aussicht auf die Thronnachfolge übergegangen war. Man blickt in einen Abgrund von Gräueln hinein, wenn man den Ränken und Tücken nachgeht, welche Sejan zur Förderung seines Planes anspann und durchführte.

Während diese auf das Verderben und die Ausrottung der gesammten kaiserlichen Familie abzielenden Ruchlosigkeiten des allmächtigen Ministers ihren Fortgang nahmen, hatte der alte Kaiser, durch den Verlust seines einzigen Sohnes tief erschüttert, den lange erwogenen Entschluß gefaßt, die ihm verhaßte Hauptstadt zu verlassen und sich an einen ländlich-stillen, seiner Schwermuth mehr zusagenden Aufenthaltsort zurückzuziehen. Er that so und ging i. J. 26 n. Chr. zunächst nach Campanien, von wo er aber bald mach der im Golfe von Neapel wunderbar schön gelegenen Felseninsel Capri übersiedelte. Alldort nahm er seine bleibende Residenz und erbaute nach und nach 12 Villen. Die Insel, nur an einem einzigen, leicht zu überwachenden Punkte zugänglich, war mit ihrer Stille und mit ihrem milden Klima so recht gemacht zum Wohnort eines verdüsterten Greises, welcher dem Zudrange der Leute sich entziehen und doch die Zügel der Herrschaft nicht aus den Händen geben wollte. Man zeigt auf Capri noch jetzt die Trümmer vom „Palazzo“ des „Timberio“, wie der Kaiser in der Volkserinnerung heißt. Auch geht auf der Insel eine Sage um, welche an unsere deutsche vom Barbarossa im Kyffhäuser gemahnt. Tief in dem Berge, auf welchem die

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