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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Auch Herr Simon Wimmer bekam von der Wallfahrt zu hören, als er gegen Abend im Finkenhofe vorsprach und nach Veverl frug.

„Didididi!“ lachte er. „Was hat denn dem lieben Schätzle auf einmal ’s Herzle so schwer gemacht? Sie wird sich doch net gar verliebt haben? denn es heißt ja, daß die heilige Mutter von Mariaklausen gut ischt für so ’was.“

Jörg schwieg und runzelte die Stirn, worauf Herr Simon Wimmer die Daumen zu drehen begann und mit einem nachdenklichen „Tja, tja!“ das schüttere Haupt zwischen den Schultern wiegte, dann that er einen Seufzer, so tief, als wäre er aus der großen Zehe heraufgeholt – und begann vom Wetter zu reden. Vom blauen Himmel kam er auf seine blauen Aussichten zu sprechen, auf seine demnächst erfolgende Gehaltsaufbesserung, auf seine „ang’sehene“ Stellung und seine „Büldung“, dann wurde er vertraulich, tätschelte die Hand des Bauern, sprach von „schönem Beisamm’sitzen“ und von „ginschtiger G’legenheit“ – und ehe sichs Jörg versah, war der Heirathsantrag fertig. „No also,“ schloß Herr Wimmer, zum zweiten Male seufzend, „jetzt ischt’s heraußen, was mir schon alleweil auf der Zung’ g’legen ischt. Ja – und wenn der Finkenbauer nix dagegen hat, nachher ischt älles richtig und ich heirath ’s Veverle.“

„Na, na, das schlagen S’ Ihnen nur gleich aus’m Sinn, Herr Kommandant,“ fuhr Jörg fast zornig auf, „da kann nix draus werden! Jetzt schon gar nimmer!“

Er verstummte, als wäre er selbst vor diesem Worte erschrocken.

Herr Simon Wimmer erblaßte, soweit der Kupferanflug seines Gesichtes das Erblassen gestattete. „Aber hören S’ Finkenbauer, hören S’,“ stotterte er, „das ischt doch kein Art und Weis net, wie man so an ehrenvollen Antrag aufnimmt. ’vor der Finkenbauer so kurzweg Na sagt, hätt’ man doch z’erst noch drüber reden können, wie’s der Brauch ischt unter richtige Mannerleut’. In so a ang’sehene Stellung z’kommen, an gebildeten Menschen zum Mann z’kriegen und Frau Kommandantin z’heißen, das ischt doch auch a bissele ’was!“

Iörg suchte einzulenken, sprach von Veverl’s Jugend, meinte, daß man in dieser Angelegenheit doch zuerst das Mädchen selbst befragen müßte, und versicherte unter begütigenden Umschweifen, daß er von seiner Person aus nicht das Geringste gegen eine solche Verbindung einzuwenden hätte.

„Na, na – da braucht sich der Finkenbauer jetzt gar nimmer anzustrengen,“ versetzte Herr Simon Wimmer tief beleidigt, während er sich erhob und mit dem Aermel den Mützendeckel bürstete. „Dem Finkenbauer sein’ Sinn hab’ ich aus sei’m ersten Wort erkannt. Und es ischt für mich arg, daß ich sehen muß, wie mir der Finkenbauer mein’ Freundschaft vergilt. Er dürft’ schon a bissele mehr drauf geben – ja. Man kann net wissen, wofür’s gut ischt, en Freund in meiner Stellung z’haben. Vielleicht denkt sich der Finkenbauer gar net, was man da amtlich oft z’hören kriegt – ja – und wenn ich net älleweil dem Finkenbauer sein Freund g’wesen wär’ –“

Er verstummte und zuckte mit einer seltsam geheimthuenden Miene die Achsel.

„Was soll das heißen, Herr Kommandant?“ fuhr Jörg erschrocken auf. „Da muß ich schon bitten! Was kann man hören von mir und über mich?“

Wieder zuckte Herr Wimmer die Achseln. „Der Finkenbauer kann doch net von mir verlangen, daß ich ihn in meine Amtsg’heimnisse ’neinschauen lass’. Unter Freund und Freund, natürlich, da wär’s ’was anders g’wesen! Aber so! Und – wenn ich schau an des net denk’, was man so hört – man hat ja selber auch seine Augen. Nix für ungut – das ischt ja nur so a Meinung. Und im Uebrigen – wenn mir der Finkenbauer auf mein’ Antrag noch was z’sagen hätt’, weiß er ja, wo er mich finden kann.“ Damit stülpte Herr Wimmer die Mütze schief über das obrigkeitliche Haupt, salutirte und stelzte in hochmüthiger Haltung zur Stube hinaus.

Mit langen Schritten wanderte Jörg in der Stube auf und nieder; dann wieder blieb er stehen und schüttelte hastig den Kopf. „Ach was! Was kann er denn g’hört haben? Was kann er denn wissen und sehen? Nix! Nix! Gar nix, als daß ich diemal net daheim bin! Aber – aber dahinter kann ja doch ’was sein! Und – es nutzt nix - es nutzt nix mehr! Jetzt muß er mir fort – fort über d’ Grenz’ – so bald als möglich! A jeder Tag kann a G’fahr für ihn bedeuten!“

Aufathmend fuhr sich Jörg mit beiden Händen über die Stirn und eilte aus der Stube, als würde ihm zu schwül zwischen den vier Wänden. Als er den Hof betrat, hörte er sich von der Straße her mit lautem Gruße anrufen. Er blickte auf und erwiderte zerstreut. „Grüß' Gott auch, Brennerwastl, wo kommst denn her?“

Der Bursche zögerte einen Augenblick, dann öffnete er das Gatter. Während er näher kam, rückte er den Hut und drehte dabei den selten schönen Spielhahnstoß nach vorn, damit ihn Jörg nur ja nicht übersehen möchte.

„Drin im Stadtl bin ich g’wesen,“ begann er zu erzählen, „weißt, da hat’s heut’ die Verhandlung ’geben vom Valtl seiner Klag’ gegen den Grafenjager – wegen derselbigen G’schicht’ beim Almtanz. Mich hat halt die Sach’ aus g’wisse Gründ’ a bißl verinteressirt. Und ich sag’ Dir’s – a größere Freud’ hätt’ ich schon nie net haben können, als wie ich den Spruch g’hört hab’. Frei is er ’worden, der Gidi, ganz und gar frei, denn aus die Zeugenschaften hat’s G’richt die Einsicht kriegt, daß der Valtl der Hackler g’wesen is, der Ruhestörer, wo’s Messer ’zogen hat – und daß der Gidi d’ Ruh’ g’rad wieder herg’stellt hat. Natürlich – da hat jetzt der Andere zu die Schläg’ noch ’s G’spött und ’s G’lachter – und die ganzen Kosten muß er zahlen. Der is Dir weiters net springgiftig! Verschnellen thut er schier vor lauter Wuth. Ja – und wie er ’raus is aus ’m G’richt – a paar von die Zeugen haben’s g’hört – da hat er g’schworen, daß er dem Gidi ’was anthut. Aber das soll er sich nur net einfallen lassen, sonst hat er mich auch gegen ihn, denn ich bin dem Gidi sein Freund.“

Die Suada des Brennerwastl’s wurde durch einen Knecht unterbrochen, der den Bauer in die Schmiede rief. Jörg verabschiedete sich von dem Burschen, wobei er ihn ermahnte, zu anderen Leuten über Valtl nichts zu reden, was er nicht wirklich verantworten könnte. „Kannst ja net wissen, wie man’s ihm wieder zutragt, und – der Valtl is kein Guter net!“ –

Der folgende Tag war ein Feiertag, Mariä Geburt – der Geburts- und Namenstag der Finkenbäuerin. Am frühen Morgen schon kamen die Dienstboten, um die Bäuerin „anzuwünschen“. Die beiden Kinder stammelten die Sprüchlein herunter, die sie von Veverl gelernt hatten, und schalten dann der Mutter gegenüber tüchtig auf ihre Lehrmeisterin los, die, wie das Liesel sagte, „jetzt auf amal hat wallfahrten müssen, statt daß s’ die zwei Edelweißbuschen b’sorgt hätt’, wo s’ uns für’n heutigen Tag versprochen hat.“

Wie dann die Glocken zu läuten begannen, wanderte Jörg mit seinem Weibe und seinen Kindern der Kirche zu, um dem Hochamte beizuwohnen. Als sie wieder heimkehrten, hatte Mariann’ in der Küche zu thun, und die Kinder trugen im Hofe ihr Feiertagsgewand spazieren, während Jörg in der Stube saß und sich in das „Wochenblattl“ vertiefte, das der Postbote gebracht hatte.

Eine Stimme, die vom Flur hereinklang, ließ ihn die Lektüre unterbrechen. Die Thür öffnete sich, und Gidi trat in die Stube. Sein Gesicht war geröthet wie von tiefer Erregung. Mit hastigen Schritten näherte er sich dem Tische und warf den Hut auf die Fensterbank.

„Grüß’ Dich Gott, Finkenbauer!“

„Grüß’ Dich Gott auch!“ erwiderte Jörg mit zögernden Worten, wobei er sich langsam erhob. „Schier verwundern muß ich mich! Hast Dich ja gar seltsam g’macht unter mei’m Dach.“

„Mein Gott, der Sommer halt – und – aber um so ’was ausz’reden, deßwegen bin ich net da! Finkenbauer – kannst Dir denken, wer heut’ noch kommt?“

„Was soll ich mir denn da denken? ’leicht kommt der Abend nach’m Tag.“

„Ehvor’s aber Abend wird, Finkenbauer, ehvor kommt noch mein junger Graf!“

Jörg erblaßte bis in die Lippen. Eine Weile stand er wortlos, dann brach es in heiseren Lauten aus ihm hervor. „Und mir – mir denkst doch am End’ net a Freud’ mit Deiner Botschaft z’ machen!“

„A Freud’? Ah na! Ehnder macht’s Dir noch mehr Kümmerniß, als schon g’litten hast – wann derfahrst, daß a Unglück, wo g’schehen is, net g’schehen hätt’ müssen, wenn – ja, wenn das traurige Wenn net g’schehen wär’! Da, Finkenbauer, da –“ und mit flinken Händen brachte Gidi aus seiner Joppentasche ein engbeschriebenes Blatt zum Vorschein. „Da, den Brief mußt lesen, den der Eustach, der Kammerdiener, der Schloßhauserin g’schickt hat.“

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