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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Freilich, dachte Veverl und nickte unwillkürlich mit dem Köpfchen, was gut is für so ’was, wer in der Welt sollte das besser wissen als er, der da mit hastigen Schritten sich von ihr entfernte? Sie hörte ein Rascheln und Knistern, sah ein röthliches Licht erglimmen und an einer goldig glitzernden Felswand die helle Flamme einer Fackel auflodern. Sie verwandte keinen Blick zur Rechten oder Linken, mit gebannten Augen hing sie an der männlichen Gestalt, deren Umrisse sich scharf von der flackernden Helle abhoben – und da meinte sie gleich zu erkennen, daß diese Gestalt auf ein Haar der Gestalt ihres Vaters glich, der ja auch eine Joppe getragen hatte, eine kurze Lederhose, graue Strümpfe und genagelte Schuhe. Sie meinte ihn ordentlich vor sich zu sehen, wie er oft, wenn er an stürmischen Tagen vom Walde nach Hause gekommen, auf dem Herde das Feuer anschürte, während das Wasser von ihm niedertroff, gerade so wie von jenem, der dort vor der lodernden Fackel stand.

Nun wandte er sich und kam, in der Hand ein Kerzenlicht, auf das Lager zugeschritten. Veverl saß, zitternd am ganzen Leibe, und starrte in sein bleiches Gesicht, das mit dem gekräuselten Barte und zwischen den braunen, die Schultern berührenden Haaren sich ansah, wie das Gesicht eines Jünglings, und dennoch wieder wie das von Kummer und Schmerzen erzählende Antlitz eines gereiften Mannes.

Dicht vor Veverl blieb er stehen, hob das Licht empor, als wollte er sein Gesicht noch heller beleuchten und frug mit einer Stimme von tiefernstem Klange: „Veverl! Kennst mich denn auch? Weißt denn, wer ich bin?“

Sie vermochte kein Wort über die Lippen zu bringen. Sie nickte nur, während sie keinen Blick von seinem Gesichte verwandte, mit dem Köpfchen hastig vor sich hin. Wie hätte sie ihn nicht kennen sollen? hatte sie ihn doch selbst gerufen!

„Gelt, gelt, das verschlagt Dir völlig d’Red’ – und ’leicht willst es gar net glauben, daß ich’s bin, g’wiß und wahrhaftig,“ sagte er. „Aber – aber jetzt is ja net Zeit zum reden,“ hörte sie ihn weiter sagen. „Komm, Veverl, komm, laß mich Dein Fußerl b’schauen.“

Er ließ sich auf die Kniee nieder, stellte den Leuchter neben sich auf den felsigen Boden und begann an Veverl’s verletztem Fuß die Schuhriemen zu lösen. So sachte und sorgsam er dabei auch verfuhr, Veverl meinte vor Schmerz vergehen zu müssen, aber sie preßte die Lippen zusammen und rührte sich nicht.

„O mein Gott, Veverl, o mein,“ so jammerte er, als er den entblößten rothverschwollenen Fuß auf seinen Knieen hielt, „das schaut sich ungut an.“ Dann bat er sie, zu versuchen, ob sie den Fuß noch zu bewegen vermöchte. Mit aller Gewalt verbiß sie den Schmerz, drehte den Fuß rings im Knöchel und rührte die Zehen.

„Na also,“ sagte er und schaute mit einem ermunternden Lächeln zu ihr empor. „Das schaut sich übler an, als wie’s is. Da is nix ’brochen und nix g’rissen. Weißt, arg aufg’schürft hast Dich halt – und natürlich – ’s G’lenk a bißl verprellt und ’leicht a Flaxen überzogen. Aber sorg’ Dich net – ich richt’ Dir Dein Fußerl, Dein armes, schon wieder z’samm, daß gar nix nimmer merkst.“

Da erschien auch auf Veverl’s Lippen ein muthiges Lächeln – alles kam ja, wie sie geträumt und erwartet hatte – mit ehrfürchtig dankbaren Blicken schaute sie auf ihn nieder, und als er nun den Fuß noch einmal betrachtete und dabei die beiden Hände sanft um den verschwollenen Knöchel legte, fühlte sie durch die Kühle, die von diesen Händen in ihr heißes brennendes Blut überströmte, den Schmerz zur Hälfte gelindert.

Jetzt rückte er einen nahestehenden Holzstuhl herbei, legte den kranken Fuß darauf, damit das „g’sunkene Blut a bißl verlaufen“ könnte, wie er sagte; dann raffte er den Leuchter von der Erde, eilte davon, und als ihm Veverl nachschaute. war es ihr, als verschwände er mitten durch die Felswand ihren Blicken. Regungslos und mit verhaltenem Athem lauschend saß sie, aber sie hörte keinen Tritt, nur das Knistern der Fackel und jenes geheimnißvolle Murmeln und Rauschen. Sie kreuzte die Arme über dem pochenden Herzen und lugte mit scheuen Augen in dem länglich gerundeten Höhlenraume umher, in dessen äußerster Rundung die Mündung des Felsenganges, durch den sie gekommen sein mußte, gleich einem schwarzen Trichter sich ausnahm. Staunend betrachtete sie die im Fackelschein schimmernden und glitzernden Wände, die ihr wie von tausend Edelsteinen übersät erschienen. Ueber diese Wände wölbte sich eine von funkelnden Tropfen und Zacken starrende Kuppel, die bei dem Spiele der zuckenden Lichter und Schatten sich ansah, als tröffe sie von flüssigem Erze – von hellem Gold und Silber, wie Veverl meinte. Auch die nichts weniger als feenhafte Einrichtung der Höhle mit dem kleinen eisernen Ofen mit Pfannen, Krügen und Schüsseln, welche hier und dort auf Vorsprüngen und in Spalten der Wände lagen und staken, ja selbst die richtige Bettlade mit einer Heumatratze, einem Polster und zwei schneeweißen Lammfellen darüber, wußte Veverl ihrem Glauben anzupassen; hatte sie doch von ihrem Vaterl erfahren, daß die guten Geister, als deren erster und bester ihr der Edelweißkönig galt, bei all ihren geisterhaften Eigenschaften „im übrigen akrat wie d’ Menschen sind“, daß sie hungern und dürsten, trinken und essen. –

Dennoch schrak sie leicht zusammen, als sie jenen, an den sie unablässig dachte, „plötzlich vor sich stehen sah, als wäre er aus der Erde hervorgewachsen“. Er hielt ein gefaltetes nasses Tuch in Händen, das sich freilich ansah wie ein grobleinenes „Handfahnl,“ das aber gewiß irgend ein feenhaftes Gewebe war, welches er beträuft hatte mit wundersamer Arzenei. Unter freundlich zuredenden Worten wand er dieses Tuch um Veverl’s kranken Fuß; dabei seufzte sie und drückte die Augen zu vor Schauer und Behagen. Ach – wie kalt das war! – und wie wohl das that! Nun faßte er sie um den Leib, als wollte er sie auf dem Bette in bequeme Lage bringen, fuhr aber hastig mit den Armen zurück. „O mein Gott! Daß ich da net schon lang dran ’denkt hab’! Bist ja über und über naß. So kannst ja net bleiben – da thätst mir ja am End’ noch verkranken.“

Mit einem zögernden Blicke streifte sie sein eigenes, bis auf den letzten Faden durchnäßtes Gewand. Er gewahrte diesen Blick und sagte, als vermöchte er in ihren Gedanken zu lesen: „Mein, mir schadt’s nix! Bei ei’m Leben wie das meinige, weißt, da wird man so ’was g’wöhnt. Aber Du – Du därfst mir net so bleiben! Mußt schon ’s Tüchel weglegen und ’s Mieder – und – ’s oberste Röckerl wenn abstreifen thätst, das machet ja auch nix. Ich zünd’ a Feuer an, das macht a bißl warm herin, Deine Sachen werden wieder recht schön trocken – und – und schau – scheuen mußt Dich fein g’wiß net vor mir. Gelt na? Ich bin ja doch schier gar wie a Bruder zu Dir!“

Mit einem vertrauensvollen Blicke schaute Veverl zu ihm empor und nickte unter einem schüchternen Lächeln mit dem Köpfchen. Dann hob sie die zitternden Hände und löste das geblumte Tuch von ihren Schultern. Als sie das Mieder öffnen wollte, schrak sie plötzlich zusammen. „Jesus Maria,“ stammelte sie, „’s Bleaml – mein Bleaml hab’ ich verloren!“

„A Bleaml hast verloren?“

„Ja, ja, ’s Edelweiß – mein Edelweiß!“

„Geh’, da brauchst Dich net z’ kümmern,“ tröstete er. „Kannst ja wieder eins haben von mir – ich hab’s ja g’nug. Hundert für eins kannst haben!“

Ein Seufzer der Erleichterung schwellte ihre Brust, und während er sich dem Ofen zuwandte und sich bei demselben zu schaffen machte, legte sie rasch das Mieder ab und streifte das durchnäßte Röcklein nieder über das rothe Unterkleid. Dann breitete sie die abgenommenen Gewandstücke über den Holzstuhl und ließ sich lautlos zurücksinken auf das Lager.

Als sie nun vom Ofen her Schritte sich nähern hörte, überkam sie trotz all der willenlosen Folgsamkeit doch ein Gefühl der Scheu und Scham, und hastig zog sie die wollene Decke über sich her bis an den Hals.

Jetzt stand er vor ihr und schaute ihr mit leisem Lächeln in die schüchteren Augen. „Gelt, so taugt’s Dir schon besser? Ja – da kannst es jetzt ganz schön abwarten, bis Dein Fußerl wieder Verstand annimmt. Aber –“ Er unterbrach sich, eilte davon und kehrte mit einem weißen Tuche zurück. „Weißt, so kannst ja net liegen mit die tropfnassen Haar’. Geh, heb’ Dich a bißl in d’ Höh’!“

Willig richtete sie sich empor und hielt das Köpfchen regungslos, während er die Nadeln aus ihren Zöpfen zog, die Flechten löste und mit dem Tuche sanft und achtsam die schweren Strähnen ihres braunen Haares trocknete. „So – schau, jetzt kannst Dich wieder legen,“ sagte er, dann stand er lange wortlos vor ihr und betrachtete sie mit glänzenden Augen. Er schien sich an dem Bilde nicht satt sehen zu können, das sie seinen Blicken bot, wie sie so vor ihm lag, unter der dunklen Decke, deren Falten die Formen ihres schlanken Körpers verriethen in dem weißen, hoch bis zum

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