Seite:Die Gartenlaube (1885) 802.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mehr mit den Augen als mit den Lippen, die nun rasch und flüchtig und doch entzückend die seinigen streiften.

Er wollte sie schon besser unterrichten, aber Bianca wich eilig zurück, und beide Hände zwischen ihm und ihr ausstreckend sagte sie bestimmt. „Nur diesen einen! Und noch lange keinen zweiten! Nicht vermessen sein, theurer Freund, und Freundschaft und Vertrauen bewahren, wie versprochen!“

Annoch wollt’ er gute Miene machen und sich bescheiden. Die nächste Zukunft war ja doch des Glücklichen! dacht’ er, und überdies fuhren sie im Augenblick vor dem stillen Waldwirthshause vor, das zwischen dichten Laubbäumen versteckt so traulich und behaglich ihnen entgegenwinkte.

Gackernd und flügelschlagend stoben etliche Hühner mit weitausgreifenden Schritten vor den rollenden Rädern zur Seite. Ein kleiner zottiger Spitz kam wedelnd herangetrippelt. Und nun standen die Pferde, und der Wagenschlag hielt dicht vor einer braunen Hausthür, in welcher Bianca ein artig Bauernweib sah, das eben die aufgesteckten Schürzenzipfel abnestelte und über der Hüfte glattstrich.

Im nächsten Augenblick flog ein breiter Schatten über den Vorhang des Vorderfensters – der Mann neben Schani war heruntergesprungen – und zwischen der knixenden Wirthin und dem sich öffnenden Wagenschlag erschien, nickenden lächelnden Hauptes und den Hut in der Hand – die beiden Flüchtlinge meinten durch sieben Himmel herab in den Erdboden einzusinken – Pater Otto.


Alle guten Geister loben Gott den Herrn! Der Mönch kam Beiden wie ein Gespenst vor. Der Athem stockte und die Rede versagte ihnen. Bianca war einer Ohnmacht nahe und lehnte sich fast bewußtlos auf den Arm des lächelnden Priesters, vor dem ihr’s nur erst durch alle Nerven schauderte.

Pater Otto dagegen, der heute unter dem schäbigen Sommerüberzieher nicht den Gehrock des Weltgeistlichen, sondern die lange schwarze schlichte Sommerkutte des Benediktiners trug, schien in der leutseligsten Stimmung von der Welt. Er plauderte wie ein Buch, äußerte sich ganz entzückt über die Fahrt, über den Tag, über das Wetter und äußerte die lebhafteften Vorsätze in Bezug auf das Mittagessen.

„Es wird ja wohl für unser drei ausreichen!“ setzte er leiser, den verblüfften Sperber verständnißinnig anblinzelnd, hinzu.

„O gewiß . . . Ah . . . Hochwürden . . . größte Freude . . . bitte einzutreten . . .“ antwortete dieser, ohne recht zu wissen, ob er von langer Hand betrogen oder in dieser Minute verrückt geworden sei.

Bianca redete gar nichts. Leichenblaß wankte sie ins Wirthszimmer, das für ihr ländliches Mahl reserviert worden war, und sank neben dem weißgedeckten mit Sperber’schem Silber, Glas und Porzellan anmuthend gedeckten Tisch auf einen Stuhl, mehr todt als lebendig.

Es ward ihr zu Muth, als sei mit Vetter Otto’s Erscheinen ein Vorhang zerrissen, den sie mit Willen vor das wahre Gesicht ihrer That gezogen und eigensinnig fest gehalten habe, und sehe diese sie nun in ihrer wahren Gestalt an: thöricht, häßlich, unverzeihlich.

Und dann dachte sie auch wieder mit aufwallendem Verdruß, daß ihr Vorhaben für immer vereitelt, alle Anstrengung, Aufregung und Willenskraft vergeudet sei für nichts, und daß sie nun gesenkten Hauptes und gebrochenen Muthes, beschämt und unterwürfig heimkehren und auf Künstlerruhm und Liebe verzichten müsse ... vielleicht für immer verzichten, denn in ihr zuckte ein jäher Schmerz, als wären die Organe zerrissen, mit denen man an Wunder glaubt und Wunder wirkt.

Sperber war ehrlich besorgt um sie, obschon er sich trotz ihres blassen Gesichtes und ihrer sichtlichen Schwäche des Argwohns nicht erwehren konnte, daß er das Opfer einer heimlichen Verabredung zweier sich in die Hände spielenden schlauen Verwandten und schändlich gefoppt sei.

Der Mönch verlor seine gute Laune nicht. Er schob das Uebelbefinden seiner lieben Nichte auf die lange Fahrt, auf die verzögerte Mahlzeit, auf allzuknappe Taille, auf Gott weiß was, und versicherte gemüthsruhig, es werde sich geben, sobald sie einen guten Löffel Suppe gegessen haben werde.

Edgar sagte, daß er nur gleich selber nachsehen werde, ob sich das Auftragen der Suppe beschleunigen lasse. Aber so hastig er aus der Stube stürzte, er ging zunächst doch nicht zur Frau Wirthin in die Küche, sondern in den Stall zu Schani, der im ganzen Gesicht so roth, wie sonst nur seine Nase war, sich emsig mit seinen „Rössern“ zu schaffen machte.

„Malefizfiaker, was ist denn das für eine Bescheerung, daß Du mir den Pfaffen mit ins Grüne bringst?“ stieß Sperber, blaß vor Wuth, zwischen den Zähnen hervor.

Der Kutscher sah ihn betroffen an, Augen und Mund weitaufgerissen. „Ja mein, gnädiger Herr, ich hab gemeint, der hochwürdige Herr gehört zur Partie. Er hat auch so gesagt . . .“

„Wo, wann, was hat er gesagt?“

„No, bei der Linie, wie’s wegen der vielen Wägen etwas stad gangen ist mit dem Zeugel, da war er neben den Pferden und ‚ich weiß Alles!‘ hat er gerufen, ‚und ich gehör’ auch dazu.‘ Mir hat kein Mensch das Gegentheil nicht gesagt, und eins, zwei, drei, hat er die Kutten beim Zipfel gehabt und oben war er auf dem Bock. Jetzt aber bitt’ ich einen Menschen, ein geistlicher Herr wird mich doch nicht anlügen! das ist ja nicht zum glauben, und vom Herrn Pater Otto schon ganz gewiß nicht. Besinnen Sie sich einmal, gnädiger Herr, es wird Ihnen gewiß einfallen, daß Sie den Hochwürdigen eingeladen gehabt haben, und nachher haben Sie’s halt vergessen. Ja, wie’s halt geht!“

Sperber sah den Kutscher überrascht an, der ihm in seiner leutseligen Schlauheit offenbar eine Handhabe bot, sich aus der Verlegenheit zu ziehen. Es war wohl das Gerathenste sie anzufassen.

„Ja ja,“ sprach er leise, „mir scheint, Du hast Recht. Ich besinne mich . . .“

„Na, da sehen Sie’s, gnädiger Herr! Und ich bin froh darüber.“

„Was, froh? wieso?“

„No, ich mein’ nur, es war recht fidel auf unserm Bock. Der Hochwürdige hat so seine Geschichten erzählt und war so gut aufgelegt . . . noch besser, als damals, wissens, wo ich ihn zum ersten Mal neben mir auf dem Bock gehabt hab, selbigs Mal im Winter nach dem letzten Maskenball im Theater an der Wien.“

„Ihr seid seitdem wohl gute Freunde?“ fragte Sperber.

„Na, mit Unterschied, gnädiger Herr, und mit allem schuldigen Respekt. Aber wahr ist’s, der Pater Otto hat mir seitdem viel Guts erwiesen. Er hat meinem Bruder, den kein Mensch mehr hat haben wollen, weil ihm einmal was durch’s Gewissen gefallen ist und er fünf Monat dafür im Kriminal hat sitzen müssen . . . ja, dem hat er eine Stelle verschafft als Kutscher in der Stiftskellerei. Viel hat er da gerad’ nit, aber er kann davon leben und braucht nit zu stehlen, was ihm sonst wohl kaum erspart worden wär. Und meine Frau Mahm hat der Pater Otto auf dem Sterbebett getröstet, obwohl sie keine schöne Krankheit gehabt und sich lang hat quälen müssen. Ich darf ihm das nicht vergessen.“

Edgar trat ganz nahe auf den Fiaker zu, unwillkürlich ballten sich seine Fäuste und er sah ihm Aug in Auge, als wollt’ er ihm an die Gurgel springen.

Schani stellte den Eimer bei Seite, richtete sich auf, krempelte die Hemdärmel über die haarigen Unterarme herab und den wüthenden Blick des Barons aushaltend, seinen Verdacht aus seinen Augen herauslesend, sprach er: „Der gnädige Herr thun mir Unrecht. Ich hab’ den Pater Otto von Herzen gern, aber verrathen hab’ ich nix! Ich nix! Das wär’ mir nicht zugestanden . . . und wär auch nicht nöthig gewesen. Der Hochwürdige merkt so was ganz allein!“

Edgar hatte genug von dieser Unterredung. Er wandte sich jach ab und ging davon. Nur an der Stallthür kehrt’ er sich auf der Schwelle noch einmal rasch um, weil er das Gesicht des Fiakers sehen wollte, ob dieser sich nicht hämisch verriethe.

Aber Schani, der sich gelassen den Rock anzog, verbeugte sich nur noch einmal und recht ehrerbietig und: „Seien Sie nicht bös, Herr Baron!“ sprach er treuherztg. „Glauben Sie mir altem Esel, es ist so besser. Auch für Sie, Herr Baron! Es wär’ doch schad’ um das Madel gewesen, um so ein Prachtmadel! Meiner Seel’!“

Und er wandte sich rasch um, als hätt’ er hinter den Pferden was vergessen. Edgar war schon zum Stall draußen und eilte nach der Küche.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_802.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)