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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

d’Latschen, am Höllbachgraben in d’Höh’, nach der hohen Platten zu – a paar mal hab’ ich ihn auf an Wischer dersehen – aber natürlich – in die Latschen is er mir wieder unter’gangen – und ehvor ich mich noch ’nauswind’ auf die offene Platten, hör’ ich Dir auf amal kein Schritt mehr und kein Tritt. Tag is ’worden, und nix hab’ ich g’hört, nix hab’ ich g’sehen! Verschwunden is er g’wesen, wie wann ihn der Teufel g’holt hätt’ auf ein’ Sitz!“

Dori riß Mund und Augen auf zu dieser Geschichte, eine Weile noch redeten sie darüber hin und her, bis Gidi sagte: „No – weil ich jetzt nur weiß, daß ’s a Schafdieb g’wesen is, da geh’ ich doch a bißl leichter ins Thal.“

„Was? gehst heim?“

„Ja, morgen muß ich ins Stadt ’nein, da hab’ ich G’richtsverhandlung weg’m Leithner Valtl.“

„Was d’sagst! Aber da könnst mir an G’fallen derweisen, wann an recht an schönen Gruß –“ Dori stockte und fuhr verlegen fort: „und wann mei’m Bauern Nachricht geben möchst von wegen der G’schicht’ mit dem Lampl?“

„Ja – so! Will’s ihm schon z’wissen thun – und will ihm auch sagen lassen, daß Du kein’ Schuld dran hast. Aber mußt halt fleißig weiter wachen, weißt! Ja – somit b’hüt’ Dich Gott! Und – sei nur z’frieden – ’s Veverl grüß’ ich Dir auch!“

Dori stand wortlos und blickte lange dem Jäger nach. Endlich richtete er sich seufzend auf, eilte dem Höllbachgraben zu und überschritt die Schlucht auf dem schwankenden Baume.

Als er den Steig erreichte, hörte er plötzlich aus der Tiefe das Geräusch leichter Tritte. Er lugte durch die Bäume und Büsche, gewahrte den Schimmer eines lichten Gewandstückes, und jetzt – jetzt stieß er einen gellenden Juhschrei aus, und mit den stammelnden, halberstickten Rufen. „Veverl, Veverl, Veverl!“ stürzte er über Hals und Kopf den Steig hinunter. Unter der Wucht des schwer zu hemmenden Laufes brach er vor dem erschrockenen Mädchen fast in die Kniee. Der Bergstock kollerte ihm aus den Händen, und der Hut flog ihm vom Kopfe.

„Aber Dori, na, na, um Gotteswillen,“ stotterte Veverl, „was kommst denn jetzt gar so daherg’rennt?“

„Veverl, Veverl!“ schluchzte und jauchzte der Bursche, und die hellen Thränen rannen ihm über die Wangen, während er sich aufrichtete mit zitternden Knieen und sich emporzog an den Händen des Mädchens.

Mit scheu verwunderten Augen blickte Veverl in Dori’s Gesicht, und eine dunkle Röthe erschien auf ihren Wangen. Sie sprach kein Wort, von den Lippen des Burschen aber sprudelte Frage um Frage.

„Ja wie geht’s Dir denn? Wie is Dir’s denn alleweil g’wesen die ganze Zeit? Wie kommst denn auf amal da’rauf? Und ganz allein bist ’gangen? Hast denn ’s Steigl richtig g’funden? Bist denn auch schön langsam g’stiegen? Bist gar net müd – han? Schau – magst Dich net a bißl niedersetzen? Da schau, da is Dir g’rad a so a schönes Platzl, a ganz a kommods – da schau – geh – komm’, setz’ Dich a bißl nieder und ruh’ Dich aus!“ Dabei sprang er einem kleinem Mooshügel zu, der zu Füßen einer riesigen Fichte lag, scharrte und kratzte die dürren Reiser aus dem weichen, dunklen Moose und klatschte die Stelle platt mit beiden Händen, und zog das Mädchen an einer Rockfalte dem so sauber bereiteten Ruheplätzchen zu. „So, so! Gelt – da is gut sitzen? Ja – jetzt laß Dir’s nur wohl sein!“ Zu Veverl’s Füßen kauerte er sich nieder ins Moos und starrte mit seligen Augen zu dem Gesichte des Mädchens empor. „Aber jetzt – jetzt, Veverl,“ fuhr er nach einer stummen Weile auf, „jetzt sag’ mir nur g’rad, wie kommst denn amal daher? Ja hat Dich denn der Bauer gehn lassen?“

„Der Jörgenvetter is gar net daheim, der is um Mittag schon fort, a G’schäft hat er wo draußen in einer von die Ortschaften – und morgen am Abend erst kommt er z’ruck. Und bei der Bäuerin hab’ ich’s schon verbettelt, daß ich fort hab’ dürfen – no – vielleicht hat s’ ihr auch a bißl denken können, was ich haben möcht’ von der Alm. Weißt – übermorgen is ihr Namenstag. Und da hätt’ ich halt gern a paar Kranzln g’macht und an recht an schönen Buschen. So hab’ ich mir denkt, ich will mir um a bißl an Almrausch schauen und um an Edelweiß.“

„Almrausch? O mein, Veverl,“ jammerte Dori, „da is aus und gar. Z’höchst droben, ja, da könnt’ man noch a paar einschichtige Bleamln finden, aber ganz blaß in der Farb’ sind s’schon, und so viel müd’ schauens’ aus. Aber Edelweiß! Edelweiß g’rad g’nug; da paß auf – da brock ich Dir morgen an ganzen Arm voll.“

„Ja, Dori, ja – aber gelt ich selber möcht schon auch einbrocken, weil’s ei’m gar so viel g’freut, wenn man so a liabs Bleamln find’t.“

„Aber freilich – aber g’wiß! Weißt – ich brock’ ’s an die schlechten Platz’, und Dich führ’ ich nachher hin, wo ’s ganz kommod zum haben sind. Ja – schau – gleich da drüben kannst eine finden, wo’s a bißl licht is, am Höllbachgraben ’nauf –“

Veverl erblaßte, und ein Schauer überflog ihre Schultern. „Na, na, Dori,“ unterbrach sie den Burschen mit bebender Stimme, „da mag ich keine net – vom Höllbachgraben!“

Erschrocken blickte Dori in Veverl’s Gesicht. „Jesses, mein – ich bin aber einer!“ stammelte er. „Daß ich aber auch gar net dran denken kann – und schau – gelt – mußt mir net harb sein, weil ich – und – –“ Seine Stimme verlor sich in hilfloses Stottern, noch einmal schielte er mit ängstlichen Augen zu dem Mädchen empor, dann verstummte er.

So saßen sie schweigend, und Dori verwandte keinen Blick von den lieblichen Zügen des Mädchens.

Tiefe Stille herrschte rings umher. In den Wipfeln der Bäume hatte sich das Rauschen gelegt, die Vöglein waren verstummt, und die Dämmerung webte ihre ersten leichten Schleier durch den Wald, von welchem der letzte Strahl der Sonne längst geschieden war.

„Han, Veverl, sag’,“ frug Dori nach einer stillen Weile, „wann’s jetzt dengerst so wär’ – und der Edelweißkönig möcht sich sehen lassen vor Dir – han – thätst Dich fürchten vor ihm?“

„Ja warum denn fürchten?“ frug Veverl ganz erstaunt. „Der Edelweißkönig is ja a guter Geist, der d’ Menschen gern hat.“

„No – jetzt weißt – das is halt so a Sach’,“ erwiderte Dori zögernden Wortes, „und – vielleicht redtst bloß so, weil D’ noch nie kein’ Geist net g’sehen hast.“

„Meinst?“ klang es leise von Veverl’s Lippen.

Dori ließ die Füße sinken und spitzte die Ohren. „Ja, wie is mir denn? Wirst doch net sagen wollen, daß schon amal ein’ g’sehen hast - an Geist?“

Ein stilles, inniges Lächeln spielte um den Mund des Mädchens, das mit schwärmerischen Augen aufwärts blickte in das dunkelnde Gewirr der Aeste.

„G’sehen, Dori? Ob ich ein’ g’sehen hab’ – ich weiß net g’wiß. Oft träumt man ’was und meint, man hätt’s mit wache Augen g’sehen – und diemal sieht man was, und meint, man hätt’s bloß ’träumt. Aber – noch gar net lang is her – da – da hab’ ich ein’ g’hört, an Geist, und hab’ verspürt, daß er dag’wesen is“ – und sie flüsterte leise dem Burschen ins Ohr: „Der Hannibas’ ihre arme Seel’.“

„Ah geh! Ah geh!“ murmelte Dori, während ein Gruseln seine Schultern überflog.

Veverl nickte. „Ja – bei’m Namen hat s’ mich g’rufen, ganz stad und sanft – in derselbigen Nacht, ehvor man d’ Leich’ ’raus’bracht hat aus der Stadt – wie ich drin g’standen bin in ihrem Stübl und hab’ ihr’s Armeseelmahl aufs Fensterbrettl g’stellt – an weißen Wecken und a Schüsserl Milch. Ja – und in der Früh, wie ich nachg’schaut hab’, da war der Wecken ’gessen und d’ Milch is ’trunken g’wesen.“

Veverl sah nicht, wie Dori bis hinter die Ohren erblaßte, sie hörte nur das heisere Lachen, das von den Lippen des Burschen schütterte, und dazu die stotternden Worte. „Aber – aber – Veverl, wie kannst denn so ’was glauben! Wer da ’gessen und ’trunken hat, kann denn das net a Mensch g’wesen sein – a richtiger Mensch mit Blut und Beiner?“

Ernst schüttelte das Mädchen den Kopf. „Ah na – so ’was is gar net zum denken! Wie käm’ denn in der Nacht a Mensch ans Fenster ’nauf in obern Stock. Und – so ’was thät’ a Mensch schon gar net – denn wann sich einer am Armenseelenmahl vergreift, so hat mein Vaterl g’sagt, der muß im selbigen Jahr noch sterben.“

„Sterben – sterben – Jesus Maria!“ stammelte Dori und fuhr mit beiden Händen nach den Schläfen.

„Ja – ja was hast denn, Dori, was is Dir denn?“ frug Veverl verwundert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_792.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)