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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

vorgeworfen ward; die rührende Geschichte des Sklaven Androklus, der einst einem Löwen in der Libyschen Wüste einen Dorn aus dem Fuße gezogen hatte und nachmals in der römischen Arena von dem dankbaren Thiere nicht angegriffen wurde, ist freilich besser verbürgt. Die Hoffnung, daß die Bestien ihre Wildheit vergessen und sich schmeichelnd der Jungfrau zu Füßen legen werden, mag uns über das Entsetzen hinweghelfen, das uns beim Anblick dieser antiken Löwenbraut ergreift. „Virtus Christianorum non nisi in ferro vincitur“, sagt die Legenda aurea im Leben der heiligen Euphemia: die Kraft der Christen erliegt nur dem Schwerte, unter dem das Haupt Pauli gefallen ist. Rudolf Kleinpaul.     


Im Spatzenklub. (Mit Illustration S. 781.) Immer zerbrach ich mir schon den Kopf darüber, was das häßliche fremde Wort Klub, das sich im deutschen Volksleben leider immer mehr einnistet, eigentlich zu bedeuten habe. In England, wo wir seine Berechtigung gelten lassen müssen, steht es im Gegensatz zu Society, dem wissenschaftlichen Verein, Union, der großen umfassenden Vereinigung, Association, der kaufmännischen Gesellschaft oder Handelsverbindung, und Alliance, der staatlichen Verbindung oder dem Bündniß schöner Seelen, gleichviel welcher. Als ich aber das Bild von Marie Laux vor mir sah, fand ich augenblicklich eine lebensvolle Erklärung des Worts Klub. Ja, ein Spatzenklub ist es in der That, der sich hier in den Zweigen der Platane breit macht. Da sehen wir die biederen gefiederten Spießbürger so recht in ihrem Leben und Treiben veranschaulicht, wie sie sich jahrein und jahraus hier umhertummeln. Den verspäteten Käfer, der sich vorwitzig zum Tageslicht emporgewagt, hat ein Spatz gepackt, und während er ihn erwürgt, stürzt ein anderer, dann noch ein dritter herzu, und selbst ein vierter möchte noch etwas von der leckeren Beute erhaschen, wenn er nur den Muth dazu hätte, darum mitzuraufen. Für den Fliegenschnäpper, der im vorigen Frühling in der Dorfschule auf dem um das Kaiserbild gehängten Kranz genistet, hat man in diesem Jahre vorsorglich einen Nistkasten in den Zweigen der Platane ausgehängt; er steht jetzt leer und verlassen, das scheint aber unsern Spatzen gerade willkommen zu sein. Im Fluge ist der Kasten bezogen, und nun bildet er den fortwährenden Streitpunkt oder Zankapfel im Spatzenklub.

Während ein Weibchen schon darin sitzt und sein Männchen vor der Thür, kommt ein zweiter Spatz mit einer großen Feder herbei, und ein dritter mit Halmen im Schnabel wird nur noch einen Augenblick aufgehalten durch die Balgerei um den Käfer. Sobald eine solche aber hier beginnt, eilen sie alle, auch noch ein vierter oder fünfter heran, um auch dabei zu sein. Oberhalb sitzt ein Paar, welches sich um diesen Krakehl nicht bekümmert, denn sie haben beide mit dem ihrigen genug zu thun; sie schelten einander weidlich aus oder zanken und streiten um des Princips willen. Weiter abseits sitzt ein Pärchen, welches sich erst recht nicht um das Treiben rings umher kümmert; sie liebkosen mit einander, als wenn außer ihnen beiden Niemand auf der Welt vorhanden wäre. Unten in der Ecke kauert einer tief in philosophische Betrachtungen versunken. Noch einer oben hockt anscheinend trübselig da; er ist offenbar ein Idealist, der am besten durch das Leben zu kommen glaubt, wenn er die Augen zukneift und sich um die harte, alltägliche Wirklichkeit gar nicht kümmert.

Ueberschauen wir das ganze Bild nochmals, so sehen wir den Spatz als getreues Ebenbild des Menschen vor uns. Alle Neigungen und Regungen, Freude und Leid, Zank und Streit, Liebe und Haß giebt es im Spatzenleben ebenso wie bei uns. Müssen wir da nicht unwillkürlich fragen, wie würde die Welt aussehen, wenn wirklich das grausame Wort Ausrottung dem Vogel gegenüber, der uns am nächsten steht und in gar mancherlei Dingen auch am ähnlichsten ist, hart und unerbittlich zur Geltung gebracht werden sollte – wie würde die Welt aussehen ohne Spatzen! Karl Ruß.     


Der kleine Widerspenstige. (Mit Illustration S. 785.) Wer in dem Löffel, welchen die Mutter lachend ihrem ungebärdigen Jungen aufnöthigen will, irgend eine widerlich schmeckende Arznei vermuthet, ist im Irrthum.

„Ich wurde mit dem Fläschchen aufgezogen
Und hab’ mir’s niemals wieder abgewöhnt –“

so singt Emil Rittershaus im Geiste deutscher Jugend, und das entschiedene Verlangen nach seinem Fläschchen, das die fortschrittliche Mama nun hinter die Milchsuppenschüssel gestellt hat, reizt den tapferen Jungen zu solchem gesichtverzerrenden Widerstand. Die Mama hat gut lachen, sie ist ja eine Frau und kennt das männliche Gefühl für die Flasche nicht; aber selbst wenn sie mit ihrer Löffelei endlich den vollen Sieg gewinnt, wird sie später doch die Tiefe der angeborenen Ueberzeugung bewundern, die einst so energisch aus ihrem Knaben gesprochen hat, und welche ein weises Bardenlied mit dem Worte verewigt: „Das Essen, nicht das Trinken, bracht’ uns ums Paradies.“ F. H.     


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

A. Sch. in M. Seit Heinrich Schütz’ Geburt waren Anfang Oktober 300 Jahre verflossen. Die Hauptmeisterschaft des berühmten Tonkünstlers lag auf dem Gebiete der kirchlichen Komposition, auf welchem er als größter Vorläufer Johann Sebastian Bach’s erscheint. Ein zweites ganz hervorragendes Verdienst erwarb er sich aber namentlich dadurch, daß er das unter den Mediceern in Toskana emporgekommene Musikdrama nach Deutschland einführte: die „Daphne“ des Rinuccini, nach Martin Opitz’ Umdichtung von Schütz mit einer eignen neuen Musik versehen, war die erste Oper, welche in Deutschland komponirt und am 13. April 1627 am Hofe des Kurfürsten Johann Georg’s I. von Sachsen, an welchem Schütz Kapellmeister war, aufgeführt wurde. Als Schütz’ Geburtstag werden übrigens drei Tage angeführt: der 5., 8. und 14. Oktober 1585. Er selbst giebt nach der „Sachsen-Chronik“ den „Tag Burkhardi“, also den 14. Oktober, an.


Inhalt: [ Verzeichnis zu diesem Heft, hier noch nicht transkribiert. ]



Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!

Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

[ Verlagsanzeige, hier derzeit nicht übernommen. ]



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_788.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)