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Dies geschah und der gehorsame Ehemann trieb die Gefälligkeit so weit, daß er, so zu sagen, den Brautführer machte, als Octavian mit der Livia Hochzeit hielt. Drei Monate später gebar sie den Claudius Drusus Nero, welchen Sohn Octavian dem ersten Gemahl seiner Frau zustellen ließ. Tiberius Claudius Drusus Nero starb unlange darauf, nachdem er den Octavian zum Vormund seiner beiden Söhne Tiberius und Drusus bestellt hatte.

Tibers Kindheit und Jugend war eine nichts weniger als glückliche und es bewahrheitete sich an ihm auch der göthe’sche Ausspruch, daß niemand die ersten Eindrücke des Daseins je zu verwinden vermöge. Erst neun Jahre ist er alt gewesen, als er, römischem Gebrauche gemäß, seinem Vater auf dem Forum die Leichenrede halten mußte. Von Natur scheu und verschlossen, wie er war, konnte sein Aufenthalt im kaiserlichen Palatium ihn immer nur mißtrauischer gegen sich selbst und gegen andere machen. Er vereinsamte schon als Knabe. Zwar seine Mutter liebte ihn und baute, wie nicht zu bezweifeln, auf die unverkennbarst bedeutenden Geistesgaben ihres ältesten Sohnes um so mehr hochfliegende Pläne, als ihre Ehe mit dem Cäsar Augustus, wie Octavian jetzt hieß, kinderlos blieb. Aber sein Stiefvater konnte ihn nicht leiden und zog ihm nicht nur, wie natürlich, die eigene Tochter Julia, sondern auch seinen jüngeren Bruder Drusus augenscheinlich weit vor. Tiberius fühlte, daß er überflüssig, daß er diesen und jenen im Wege. Das machte ihn ungesellig und, weil er sich nicht an den Leuten abschleifen konnte, eckig und steif in seinem Gebaren. Dazu kam, daß er infolge der Frühreife seines Verstandes wie infolge der Verhältnisse schon in Knabenjahren ein scharfer Beobachter wurde, und was er in seiner Umgebung vom Thun und Treiben der Menschen sah, mußte in seiner Seele den Keim der Menschenverachtung und des Menschenhasses entstehen und wachsen machen.

Schon frühzeitig hieß er seines unjugendlichen, ernsten und zugeknöpften Wesens wegen bei Hofe spöttlich „der Alte“. Gerechter wäre es gewesen, ihn einen „Reifen“ zu nennen. Denn schon als Jüngling war er zu einer geistigen Entwickelung gelangt, welche ihn fraglos zu den gebildetsten Männern seiner Zeit stellte. Und das muß man dem Augustus nachsagen, daß er, obzwar er es nur seiner Frau zuliebe that, umsichtig und treulich dafür besorgt war, seinem Stiefsohn alles zufließen zu lassen und zu gewähren, was zu Entfaltung der glänzenden Anlagen desselben beitragen und ihn zur späteren Uebernahme der wichtigsten Stellen und Aemter befähigen und tüchtig machen konnte. In Jahren, wo andere Knaben das Leben nur erst für einen Tummelplatz für knäbische Spiele ansehen, wurde Tiber schon in das Verständniß von Staats- und Kriegsgeschäften eingeführt und zur Handhabung von Verwaltungssachen und militärischen Aufgaben angeleitet.

Daß er und was er gelernt, hatte er schon als Neunzehnjähriger zu zeigen Gelegenheit. Da machte er als Brigadegeneral – denn diesem modernen Officiersrang entsprach etwa der eines römischen Kriegstribuns – den ersten Feldzug mit, gegen die Kantabrer in Spanien. Von da an ist er viele Jahre lang fortwährend, im Krieg und im Frieden, an der Verwaltung des römischen Weltreichs in vorragender Weise betheiligt gewesen. Im Alter von vierundzwanzig Jahren leitete er einen Feldzug in Armenien. Zwei Jahre später wurde er zum Civil- und Militärstatthalter von Gallien, also zur Regierung einer der wichtigsten Provinzen des Reiches berufen. Dann wieder hatte er in Pannonien (Ungarn und Dalmatien) den Heerbefehl zu führen und in allen diesen mit großer Verantwortlichkeit, mit vielen Anstrengungen, Gefahren und Mühsalen beschwerten Aemtern gelang es ihm, mehr und mehr das Vertrauen seines kaiserlichen Stiefvaters, sowie die Zuneigung seiner Untergebenen und die Achtung der öffentlichen Meinung zu gewinnen.

Wir besitzen dafür Zeugnisse von unanzweifelbarer Echtheit. Viel schon hatte es zu bedeuten, wenn ein junger Mann in Tibers Stellung, ein Prinz des kaiserlichen Hauses, im damaligen Rom ein geregeltes und wohlanständiges Leben führte. Im damaligen Rom, diesem ungeheuren Lasterpfuhl, dessen giftfarbigschillernde Oberfläche zwei bekannte Gedichtesammlungen des Zeitgenossen Ovid („Liebschaften“ und „Liebeskunst“) verführerisch genug widerspiegeln. Kein Zeitgenoß Tibers, überhaupt keiner unserer antiken Gewährsmänner weiß uns von Ausschweifungen des jungen Prinzen zu melden. Dagegen war seines Lobes voll ein so klassischer Zeuge wie Horaz, wohl der feinste Menschenkenner, der uns im ganzen Bereiche der römischen Literatur begegnet. Wenn seine Beziehungen zum Hofe und insbesondere zu seinem Wohlthäter, dem kaiserlichen Minister Mäcenas, ihn zwangen, gelegentlich dicke und nicht sehr wohlduftende Weihrauchswolken vor der Nase des Augustus aufsteigen zu lassen, so hat er sich doch anderwärts, wie seine Satiren und Episteln beweisen, die Freiheit des Urtheils und den Freimuth des Wortes durchaus bewahrt. In den zuletzt erwähnten seiner Werke hat er Beweise seiner Hochachtung für Tiberius niedergelegt, welche, fern von jeder Uebertreibung, schon durch die Einfachheit des Ausdrucks ihre Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit bezeugen. An einer Stelle kennzeichnet er den Prinzen als mannhaft und bieder („fortem bonumque“), an einer andern nennt er ihn gut und ruhmreich („bonus clarusque“), an einer dritten preis’t er ihn als den tapfern Besieger der Armenier („Claudi virtute Neronis Armenius cecidit“).

Also war mit der Zeit in das Dasein Tibers mehr Sonnenschein gekommen. Der hellste Stral desselben kam aus seiner glücklichen Ehe mit der Tochter von des Augustus berühmtem General und Minister Agrippa aus dessen erster Ehe mit einer Tochter des als Ciceros Freund bekannten Ritters Atticus. Diese Dame, Vipsania Agrippina, mit welcher der Prinz frühzeitig vermählt worden, nennt Sueton eine vortrefflich zu ihm passende Frau („bene convenientem“). Tiberius liebte sie innig und dieser Ehebund war einer der wenigen, der sehr wenigen in Rom, welcher für die verschiedenen daselbst aufgethanen „Lästerschulen“ kein Abhandlungsthema abgab. Vipsania hatte ihrem Gatten einen Sohn geboren, welchem er seinem Vater und seinem Bruder zu Ehren den Namen Drusus gegeben. Sie ging mit ihrem zweiten Kinde, als es dem Augustus beliebte, das Glück der Gatten brutal gewaltsam zu vernichten.

(Fortsetzung folgt.)

Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.
(Fortsetzung.)

Es ist manchmal verblüffend, wie zwei Menschen in derselben Zeit, ja fast in derselben Stunde, ohne daß einer dem andern ein Sterbenswort mittheilt oder zielende Anregung zugehen läßt, auf denselben Gedanken, auf den nämlichen Entschluß verfallen. Gewisse Ideen liegen in der Luft, und greift sie der Eine heraus, hat sie der Andere schon in der Hand.

Pater Otto hatte sicher kein Wort mit Vater Latschenberger in der Sache gewechselt, die seiner Freundin heilig war. Ja, sie wußte gewiß, daß Einer den Andern seit Wochen nicht gesehen, und daß der Vater über seines Neffen Ausbleiben sich ärgerte. Und doch, wie kam er nur auf denselben Einfall?

Er hatte sich schon einige Tage mürrischer gezeigt, als gewöhnlich. Plötzlich fing er bald nach Otto’s letztem Besuch einmal beim Fleischtranchiren an – er hatte so die Art menschenfreundlicher Hausväter, alles Unangenehme, was ausgesprochen werden mußte, bei Tisch abzumachen; seine Verdauung schien durch Verdruß und Kummer der übrigen Familienmitglieder nicht empfindlich beeinträchtigt zu werden – „Hörst einmal, Blankerl,“ rief er und wetzte gar derb das Messer dabei, „die dumme Geschicht’ mit dem Herrn von Sperber muß ein Ende nehmen! So oder so! Will er Dich heirathen, mir kann’s recht sein, obschon mir ein Schwiegersohn lieber wär’, der kein Norddeutscher und kein Protestant wär! … Meint er aber nur so sein G’spusi mit Dir zu treiben und Dich womöglich ins Gerede zu bringen, da werd’ ich ihm das nächste Mal zeigen, wo der Zimmermann das Loch für ihn gemacht hat. Und das fix! Eins, zwei, drei! … Und Du wirst Dich halt darnach richten! Schreib Dir das hinter die Ohren! Dixi! Punktum!“

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