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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mehrere Tage. Diese Wege und Fahrten hatten stets eine triftige Ursache, welche für die Dieeestboten durchaus kein Geheimniß war, ihnen im Gegentheile von der Bäuerin immer mit vertraulicher Genauigkeit klargelegt wurde. Bald war es ein Kauf- oder Tauschgeschäft mit Vieh und Pferden, was den Bauer vom Hofe entführte, bald ein Holzhandel, bald der nöthig gewordene Ankauf von Sämereien und Getreide, von Geräthen und Dingen für die Wirthschaft, bald Dies bald Jenes. Diese Wege und Fahrten häuften sich aber so sehr, daß trotz aller Triftigkeit nicht nur unter den Dienstboten, sondern auch im Dorfe ein Gemunkel darüber entstand. Auch hier war es Emmerenz, die ein erklärendes Wort gleich bei der Hand hatte. „Daheim, wo ihn Alles an die traurigen Tag’ vermahnt, kann halt der Bauer sein Humor nimmer finden – drum sucht er ihn draußt um anand’ und b’sorgt halt selber jetzt, was er sonst von Andere hat b’sorgen lassen.“

Bei Gelegenheit eines Kirchganges gerieth sie einmal hart mit dem Valtl zusammen, der wirklich bei dem übel berüchtigten Leithenbauer in Dienst getreten war und nun offen das Gerede im Dorfe schürte und die Leute gegen seinen ehemaligen Dienstherrn hetzte; als sie dem Bauer in entrüsteten Worten davon Mittheilung machte, schwieg Jörg eine Weile und sagte dann: „Ich dank’ Dir, Enzi! Aber den Valtl laß reden – dem sein Reden thut mir net weh!“

Doch war er von nun an seltener vom Hause abwesend; daß er sich häufig in der dunklen Abenddämmerung durch den Garten davonschlich, mit schwer beladenen Schultern, und bei grauendem Morgen wieder heimkehrte – das wußte ja nur die Mariann’. Viel begann sich Jörg in dieser Zeit mit seinen Kindern zu beschäftigen, die sich ihrerseits wieder eng und herzlich an den Vater anschlossen. Waren sie doch mit der Veverlbas’ seit langen Wochen gar nicht mehr zufrieden! Früher, wenn sie mit ihnen in der Stube oder im Garten beisammen gesessen war, da war sie ein Kind mit den Kindern gewesen, hatte ihre Spiele getheilt und hatte ihnen stundenlang vorgeplaudert von Allem, was sie wußte, was sie in Herz und Köpfchen trug. Jetzt aber war sie so schweigsam und verschlossen; aus einer Genossin der Kinder war sie zur stillen Wächterin geworden; wenn die Kinder zu ihren Füßen spielten, saß sie mit verschränkten Armen oder mit im Schoße gefalteten Händen, aufstarrend zur Stubendecke oder hinausblickend in ziellose Ferne, ernster noch und träumerischer als früher staunten die dunklen Rehaugen aus ihrem lieblichen Gesichte, das manchmal blaß und durchsichtig war wie die Kelchblätter einer Schneerose, dann wieder blühte und glühte in duftigem Roth wie ein Apfel bei beginnender Reife. Dabei streckte sich die Gestalt des Mädchens fast sichtlich von Tag zu Tag, und runder und voller wurden ihre Formen. Wenn auch nur Jörg allein diese plötzliche Wandlung zu verstehen meinte, so fiel sie doch allen im Finkenhofe auf. Ein Einziger nur hatte keine Augen dafür – der Dori. Veverl war ihm eben Veverl, und so, wie sie war, war sie ihm Alles.

Gar fleißig während all dieser Zeit sprach Herr Simon Wimmer im Finkenhofe vor, wenngleich ihm Dori’s Neckereien diese Besuche recht sehr verbitterten. Der Bursche hatte es bald gewittert, auf welch geheimen, absichtsvollen Wegen die „Verfluchte Geschichte“ wandelte, und da sann er nun allnächtig lange Stunden nach, welch einen Schabernak er am kommenden Morgen dem Didididi wohl spielen könnte. Redlich wurde Dori von Veverl unterstützt, um Herrn Wimmer’s hoffnungsvolle Laune zu trüben. Ein einziges Mal nur war es ihm gelungen, das Mädchen zu sprechen – und Veverl hatte nach dieser Unterredung, so kurz sie gewesen war, durch lange Stunden ein rothes Mal auf der Wange umhergetragen. Seitdem floh sie wie ein gescheuchtes Reh in die verborgensten Winkel des Hauses, wenn sie vom Hofe her das bekannte, würdevolle Räuspern hörte, oder wenn Dori ihr die Ankunft des Gefürchteten meldete. In der Hoffnung, Veverl zu treffen, stellte sich Herr Simon Wimmer sogar manchmal beim „Dreiß’gerbeten“ ein, aber nur ein einziges Mal glückte es ihm, den Platz an Veverl’s Seite zu erobern, so oft er dann wiederkam, fand er die Emmerenz zur Linken, den Dori zur Rechten des Mädchens. Dafür trug er aber vom letzten „G’sturitrunk“, der am fünfundzwanzigsten Mai gehalten wurde, ein seiner „Büldung“ wenig entsprechendes Räuschlein mit nach Hause. Die Leute wunderten sich damals, daß Jörg zugleich mit dem Rosenkranz für die Hanni auch die Gebete für den Ferdl schließen ließ, für welchen doch nach Recht und Brauch zwei Tage länger hätte gebetet werden sollen. Das Benehmen des Finkenbauern in dieser Sache hatte überhaupt manches Verwunderliche. Während er den Rosenkranz für die Hanni stets mit lauter Stimme mitzubeten pflegte, rührte er bei den Gebeten für den Ferdl keine Lippe, oder verließ wohl auch, wenn sie begannen, die Stube. Die Leute machten natürlich ihre Glossen – und die Meisten meinten: „Er zürnt sei’m Bruder noch im Tod – er kann’s ihm halt net vergessen, daß er ihm d’ Schandarm’ ’rein’zügelt hat in sein rechtlichen Hof!“

So nahte Ende Mai.

Die Zeit der Almfahrt war schon nahe, und da stieg bei grauendem Tage Emenerenz zu Berge, um Nachschau zu halten, wie ihre liebe Bründlalmhütte sich „g’wintert“ hätte und ob sie nicht durch die Lawinenstürze und Föhnstürme zu Schaden gekommen wäre.

Die Dirne kehrte von ihrer Bergfahrt früher zurück, als man erwartet hatte. In heller Aufregung suchte sie den Bauer und fand ihn in der Stube.

„Denk’ Dir g’rad, Finkenbauer,“ berichtete sie unter Thränen der Entrüstung, „mein’ ganze Hütten is ausg’raubt worden! ’s eiserne Oeferl haben s’ ’rausg’rissen aus der Holzstuben, ’s ganze Kreisterbett haben s’ davon, den Tisch mitsammt der Bank und die zwei Stühl’, alles G’schirr, was droben g’wesen is über’n Winter, und – noch net g’nug – mein’ Herrgott haben s’ mir mitg’nommen, die unchristlichen Halunken, und all meine Heiligenbildln dazu!“

„Ja was D’ sagst – was D’ sagst!“ that der Bauer ganz erschrocken und erzürnt.

„Ja – und g’wiß vor a drei, vier Wochen muß die Rauberei schon g’schehen sein. A Fährten siehst gar nimmer net – und wo s’ den Ofen ’rausg’rissen haben aus der ang’mauerten Wand, da sind die Riss’ und Brüch’ ganz alt schon zum anschaun. Und an Schlüssel zur Hüttenthür müssen s’ auch g’habt haben – oder es is gleich gar a Schlosser dabei g’wesen – denn an der Thür kannst gar nix sehen, daß ’was aufg’sprengt wär’ – ganz schön is ’s Schloß wieder zug’sperrt. So a Lumperei!“

Die Hände auf dem Rücken, wanderte Jörg in der Stube auf und nieder und schalt und wetterte, daß die Fenster klirrten.

„Ja mein, Bauer – mit’m Schimpfen is gar nix g’holfen! Da muß ’was g’schehen! Was is denn – soll ich ’leicht zum Kommandanten ’nauflaufen, daß er herkommt und die Sach’ zur Anzeig’ nimmt?“

„Was? Anzeigen? Das wär’ mir noch ’s Rechte!“ fuhr der Bauer auf. „Daß ich zum Schaden den Spott auch noch tragen müßt’. Meinetwegen sollen s’ hin sein, die paar lumpigen Mark, wo das Sach’ werth is – is mir lieber, als daß mich d’ Leut’ auslachen thäten im ganzen Ort. Und drum brauchst weiter nix z’ reden – ich laß Dir Dein’ Hütten schöner wieder herrichten, als wie’s z’erst g’wesen is!“

Das geschah nun auch in den nächsten Tagen, und zwar auf eine Weise, daß Niemand Ursache fand, nach dem Verbleib der alten Geräthe zu fragen.

Der Sonntag kam, an welchem im Wirthshause der Almtanz abgehalten wurde, eine Art von Abschiedsfeier für die Sennerinnen, die in den folgenden Tagen den Auftrieb nach den Almen vollführen sollten.

Da war es zur Nachmittagszeit, als Gidi von den Bergen niederstieg ins Thal. Von weitem schon hallten ihm die fröhlichen Tanzweisen, die johlenden Jauchzer und lustigen Gesänge entgegen. Was aber ging ihn all dieser Jubel an? Vierzehn volle Tage hatte er droben in seiner Jagdhütte verbracht; sein Mundvorrath war aufgezehrt, und um ihn zu erneuern, kam er nun niedergestiegen in das Dorf. Bei grauendem Abend wollte er wieder hoch oben sein im schönen, geliebten Bergwald.

Doch als er am Wirthshause vorüberschritt, rief ihn der Wirth mit so freundlichen Worten an, und manch ein Bekannter winkte ihm mit dem Kruge den Willkomm’ zu. Da konnte Gidi nicht anders. „No – meinetwegen – auf a Stamperl!“ lächelte er und schritt auf die mit grünendem Birkenreis geschmückte Thür zu. Vielleicht zog ihn neben Durst und Höflichkeit doch auch noch etwas Anderes in das lustige Haus, denn mit forschenden Blicken musterte er die offenen Fenster des im oberen Stocke liegenden Tanzsaales.

Er betrat die Stube, deren Decke unter den Füßen der Tanzenden zitterte und dröhnte. Eine Weile währte es, bis er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_775.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)