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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Als sie die Stube betrat, sah sie den Bauer und die Bäuerin vor dem Tische stehen; die beiden waren damit beschäftigt, allerlei Gewandstücke und Eßwaaren in einen Rucksack zu verpacken. „Ich hab’ fragen wollen, Bauer –“ begann Emmerenz noch auf der Schwelle; aber sie kam mit ihrer Frage nicht zu Ende. Während die Bäuerin in ängstlicher Hast ein Tuch über die Gegenstände warf, die auf dem Tische lagen, fuhr Jörg, der über Enzi’s Eintritt mehr erschrocken als erzürnt schien, die Dirne mit heftigen Worten an: „Was willst? Was hast denn jetzt auf amal in der Stuben herin zum suchen ? Das taugt mir net – das Umstreunen am hellen Tag. Mach’ weiter und schau, daß zu Deiner Arbeit kommst!“ Und da wußte Emmerenz in ihrer Verblüffung über diesen Empfang nichts Besseres zu beginnen, als wortlos und hurtig den Rückzug anzutreten. Eine Weile stand sie im Flur, nachdenklich vor sich niederblickcnd; dann ging sie kopfschüttelnd der Hofthür zu. Draußen begegnete sie dem Kommandanten, der sich mit zögernden Schritten von der Straße her näherte: er war ohne Gewehr und trug die „Feiertagsmontur“. Der Ausdruck ängstlicher Unbehilflichkeit, welcher auf seinen sauer lächelnden Zügen lag, war beinahe mitleiderweckend.

„Ischt der Finkenbauer daheim?“ frug er die Dirne mit lispelnder Stimme, während seine scheu verlegenen Blicke die Fensterreihe des Hauses musterten.

„Ja, daheim is er schon – aber –“ erwiderte Emmerenz, den Nachsatz verschluckend, der ihr auf der Zunge gelegen.

Herr Wimmer rückte die Mütze in die Stirn und kraute sich den Hinterkopf. „Das ischt eine verfluchte Geschichte!“ murmelte er vor sich hin und betrat, mit vollen Backen blasend, die Schwelle.

Sachte klopfte er an die Thür; er hörte in der Stube ein hastiges Flüstern, rasch enteilende Tritte, und dann des Bauern laute Frage: „Wer is da?“’ Herr Wimmer trat ein und fand sich wenig ermuthigt, da er den Bauer bei seinem Anblick zurücktaumeln sah, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. „Nix für ungut, Finkenbauer, nix für ungut – aber – aber ich hab’ kommen müssen – ich hab’ müssen – es hat mich nimmer g’litten –“ stammelte Herr Wimmer, während ihm der Schweiß in dicken Tropfen aus Stirn und Schläfen brach. Da er die steifen Blicke krampfhaft in die Dielen bohrte, konnte er nicht gewahren, wie Jörg seine Züge zur Ruhe, seine Lippen zu einem Lächeln zwang. „O mein Gott – gelt Finkenbauer, „schreckliche Sachen hat’s ’geben, seit wir uns nimmer g’sehen haben. Aber – Gott soll mir’s bezeugen – ich, Finkenbauer, ich kann nix dafür, daß’s so bös aus’gangen ischt!“

„Ich weiß schon, Herr Kommandant – Sie hätten’s anders g’macht, wenn’s anders zum machen wär’ g’wesen – ich weiß schon – ich weiß schon – und – und was von Ihnen aus g’schehen is, hat g’schehen müssen – Sie sind ja ang’stellt dafür und haben g’schworen.“

Herr Wimmer traute seinen Ohren kaum, als er den Bauer solche Worte sprechen hörte. Ueber ihrem seinen stillen Plänen so hoch willkommenen Sinne übersah er völlig die hastige, zitternde, ängstliche, fast lauernde Art, in der sie gesprochen waren. Und als er nun gar die vor Staunen weit offenen Augen hob und den Bauer mit ausgestreckten Händen auf sich zukommen sah, wußte er vor Verblüffung und Verwirrung für sein Schnupftuch, mit dem er sich Stirn und Wangen trocknete, kaum die Tasche zu finden. Früher als sein Verstand kam seine Zunge zur Besinnung. Er faßte Jörg bei den Händen, zog ihn nach dem Tische und übersprudelte ihn mit Trostesworten und mit Versicherungen seiner Theilnahme und Freundschaft. Er beklagte Ferdl’s Schicksal und sprach unter Thränen, auf die er durch häufiges Wischen der Augen aufmerksam zu machen suchte, von dem plötzlichen Tode des „lieben, schönen Fräuleins Johanna“. Dann wieder erzählte er in überhasteten Worten von jenem traurigen Morgen. Er war dabei allzu sehr mit dem beschäftigt, was er in jenen „fürchtigen Stunden“ gedacht, empfunden und gethan, um ein Auge für die zitternde Unruhe zu haben, mit welcher Jörg ihm gegenüber saß.

„Aber jetzt – aber jetzt,“ unterbrach der Bauer plötzlich den Redefluß des Kommandanten, „aber jetzt, wo’s aus is und gar mit ihm –, was is nachher jetzt? Is jetzt a Ruh’? Is jetzt a Fried’? Sind s’ jetzt z’frieden, die drin in der Stadt? Wird keiner mehr kommen und fragen, wie’s war und wie’s sein könnt’?“

„No freilich – no freilich ischt jetzt a Ruh’, no freilich ischt jetzt a Fried’!“ betheuerte Herr Wimmer. „Was wollt’ man denn da noch wollen, wo nix mehr zum haben ischt! Wo der Tod sein Wörtle g’sprochen hat, da steckt auch die G’rechtigkeit ihr Schwert in d’ Scheid’. Da kann der Finkenbauer ruhig sein – ganz ruhig. Da hab’ ich schon g’sorgt dafür, denn ich bin dem Finkenbauer sein Freund. Ja, ja – da hätt’ der Finkenbauer nur amal den Bericht lesen sollen, den ich aufg’setzt hab’ und ’neing’schickt in d’ Stadt. Wenn S’ da g’lesen hätten, wie ich die Sach’ mit der Fluchtunterstützung darg’stellt hab’, und alles Andere, was da noch drin g’standen ischt – nachher möchten S’ mir alle beide Händ’ drucken und möchten sagen: der Herr Kommandant ischt mein Freund, und dem hab’ ich’s zum verdanken, wenn jetzt a Ruh’ ischt und a Fried’. Ja – so ischt die Sach’ – da beißt kein Mäusle mehr an Faden ab!“

Das Gesicht des Kommandanten erglänzte vor freudiger Erregung, als Jörg nun wirklich that, was ihm so nahegelegt worden war.

„Ich dank’, Herr Wimmer! Das vergiß ich Ihnen nie nimmer – nie in mei’m ganzen Leben!“ stammelte der Bauer mit schwankender Stimme, während er unablässig die Hände des Kommandanten drückte und schüttelte, „Und gelten S’, Herr Wimmer, wie ’s jetzt auch sein mag – und was kommt – wir Zwei bleiben gute Freund’ mit einander!“

„G’wiß, Finkenbauer, g’wiß – älleweil gute Freund’ – älleweil!“ versicherte Herr Wimmer, der sich bei der Wahrnehmung, welch’ ein begehrter Gegenstand seine Freundschaft wäre, vor Stolz und Selbstbewußtsein ordentlich dehnte und streckte. In diesem Gefühle seiner Würde und seines Werthes begann er nun gar gnädig, so recht von oben herab gnädig mit Jörg zu reden. Als er sich endlich zum Abschied erhob, klopfte er Jörg vertraulich auf die Schulter und versicherte ihm zu wiederholten Malen, daß er „ganz ruhig“ sein und sich auf ihn verlassen könnte. Stolz erhobenen Hauptes stapfte er der Thür zu. Bei all seinem Selbstbewußtsein aber hätte es ihn stutzig machen müssen, wenn er das geringschätzende Lächeln gewahrt haben würde, mit welchem Jörg ihm bis zur Schwelle das Geleite gab, und wenn er durch die geschlossene Thür hätte sehen und hören können, wie der Bauer aufathmend sich emporrichtete und mit nickendem Kopfe vor sich hin murmelte: „Den hab’ ich mir ’kauft – den brauch’ ich net zum fürchten!“

Bald nach ihm verließ der Finkenbauer den Hof, den schwer bepackten Bergsack auf dem Rücken.

Als am Abend die Nachbarsleute zum „Dreiß’gerbeten" kamen und nach dem Bauer frugen, sagte ihnen die Mariann’, daß ein dringendes Geschäft ihn nach einem weit entfernten Dorfe gerufen hätte, von wo er wohl erst nach einigen Tagen zurückkehren würde.

Fast eine Woche blieb er aus. Spät an einem Abende kehrte er zurück und betrat das Haus durch den Garten. Der Zufall wollte es, daß ihm Emmerenz mit einem Lichte im Flur begegnete. Als sie den Bauer betrachtete, meinte sie, er könnte eher von schwerer Arbeit zurückkommen, als von einer Fußreise und von Geschäften; wenigstens sahen seine schrundigen Hände und seine arg mitgenommenen Kleider darnach aus. In der Wohnstube brannte in dieser Nacht die Lampe bis in den Morgen hinein.

Tage und Wochen vergingen; das Leben auf dem Finkenhof schien wieder im alten Geleise zu rollen – und dennoch hatte es ein anderes Gesicht bekommen. Die Mariann’, die sonst so resolut in ihrer Wirthschaft geschaltet und gewaltet hatte, war so still geworden, so in sich gekehrt; wer sie beobachtete, konnte gewahren, wie immer und immer ihre gutmüthigen Augen mit dem Ausdruck tiefer Sorge auf dem ergrauten Haupte ihres Mannes ruhten. Der hatte sich in seinem Wesen wohl ein wenig zum Besseren verwandelt; aber die schweigsame Zerstreutheit und eine Art „schreckhafter“ Unruhe waren ihm verblieben. Wenn die Ehhalten darüber ihr Gerede führten, pflegte Enzi zu sagen: „Laßts den Bauern in Fried’! Der hat halt a Herz – und das trauert sich so g’schwind net aus.“

Häufig war Jörg vom Hause abwesend; entweder wanderte er mit dick angepacktem Rucksack die Straße hinaus, oder er fuhr in seinem einspännigen Bernerwägelchen davon, welches fast immer mit mancherlei Kistchen und Schachteln beladen war; zumeist blieb er nur eine Nacht vom Hofe fern, manchmal aber auch durch

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