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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Sie konnte gegen dies unheimliche Gefühl nicht an – es war nicht ihre Schuld - wenn sie sich auch mit nüchternem Verstande sagte, dies Gefühl werde vorübergehen, diese Bangigkeit werde schwinden und der Vetter wieder nach wie vor der unsinnigen Viertelstunde ihr treuer zuverlässiger Freund und Berather sein.

Ja, das wußte sie gewiß. Aber sie wollte ihn doch etliche Tage nicht wiedersehen. Durchaus nicht! Und sie war auch sicher, daß Otto sich sobald nicht wieder sehen lassen werde. Nicht eher, als bis in beiden jungen Seelen dieser Auftritt tiefer in den Hintergrund geschoben und in der Erinnerung die grellsten Farben etwas abgeblaßt sein würden.

Also nicht nach Otto’s Wiederkehr hatte sie die Nacht gefragt?

Nach Edgar’s?

Er hatte was schönes angerichtet mit seinen dummen Fragen, dieser überweise Vetter Otto! Da saß sie nun, die noch vor wenigen Stunden ein argloser Wildfang gewesen war, und zerbrach sich den Kopf darüber, ob es möglich wäre, daß ein Mann wie Baron Sperber, ein reicher, munterer verwöhnter Lebemann, dem alle Thüren und alle Herzen offen standen, daran dächte, sie zu heirathen.

Nicht als ob sie sich für zu gering erachtet hätte, obwohl sie ganz genau wußte, daß ihr Herr Papa mit keinem Esterhazy oder Schwarzenberg im Entferntesten verwandt war. Aber der beste, der reichste, der schönste, der vornehmste Mann war für sie grade gut genug, denn sie war eine Künstlerin, eine große Künstlerin, und Höheres gab es nicht auf Erden.

Aber ob er, der verwöhnte Springinsfeld, an so etwas dachte, das hätte sie gern den verhüllten Sternen droben abgefragt.

Eigentlich konnt’ es ihr gleichgültig sein, denn sie selber dachte doch nicht ans Heirathen. Nein, gewiß nicht! Noch lange nicht! … Aber wenn er sie ernsthaft lieb hatte, mußte er doch solch ernsthafte Gedanken hegen. Nicht?

Ach, daß er sie lieb hatte, recht sehr lieb, und mit innigem, ganz ergebenem Herzen an ihr hing, daran zweifelte sie nicht. Daran wollte sie nicht zweifeln. Heut Abend nicht! Es hätte sie noch trauriger gemacht –

Wirklich? Ja, warum war sie denn traurig? Die Narren waren traurig, die Verliebten ...!

Um Gotteswillen, war sie in Edgar verliebt?!

Sie blieb mit stockendem Athem mitten im Zimmer zwischen Fenster und Piano stehen und streckte beide Hände aus, als müßte sie sich irgendwo anhalten, um nicht zu schwanken.

Wenn dem so war, so war nur der verdrehte Pater Otto daran schuld, der ihr den lästigen Floh ins Ohr gesetzt hatte! Es war zum Tollwerden. Sie wollte nicht, nein, sie wollte nicht verliebt sein und bekräftigte sich das mit stampfenden Füßchen. Was würde dann aus der Kunst?

„Du holde Kunst! …“ Sie trat hastig ans Klavier und griff sich leise das kurze Vorspiel in D-dur-Accorden.

Frauenportrait.
Von Victoria, Kronprinzessin des Deutschen Reiches.


Aber das Lied sang sie nicht. Sie legte die Finger auf den Mund, bis die Melodie in ihrem Innern verklang. Sie wollte heute Niemand Aergerniß geben. Sie wollte heut an Niemand Aergerniß nehmen.

Hätte sie einen Sternkundigen gekannt, sie würde ihn gefragt haben, was denn heute für eine verwirrende Konstellation am Himmel herrschte, die alle Leute verrückt machte. Denn mit rechten Dingen ging das nicht zu, daß nun auch sie sich den sonst so klugen Kopf darüber zerbrach, ob ein Hamburger Banquierssohn sie heirathen wolle.

Zwar man hatte Beispiele, daß es auch verheirathete Primadonnen gegeben … Indessen sie fingen doch nicht gleich so an. War eine Sängerin berühmt geworden, als sie schön den Ehering am Finger trug? ... Also weg, ihr dummen Gedanken!

Aber Edgar war ein lieber Mensch ...! Und wenn sie nie berühmt wurde ... nie, obwohl sie Alles ihrer Theaterschwärmerei geopfert hätte, was dann?!

So sann und seufzte sie lange, lange … bis es draußen von allen Thürmen Zwölfe schlug. Da erschrak sie und blies die Lampe aus.

Aber sie blieb auch noch im Dunkeln vor dem Klavier sitzen und grübelte – sie wußte endlich selber nicht mehr recht warum und worüber – bis sie das Hausthor unten aufschließen hörte.

Das war der Herr Papa, der von Lerchenfeld heimkam und nun schweren Schrittes und laut sich räuspernd die Treppen hinaufstieg.

Mit dem war nicht zu spaßen. Sie warf eilig ihre Kleider bei Seite und war ins Bett ehe der „Herr von Latschenberger“ mit dem barschen Ausruf: „Noch nicht Feierabend hier?“ die entriegelte Thür aufstieß und sich wunderte, daß er Alles still und dunkel fand, wo er doch eben von der Straße herauf noch Licht zu bemerken vermeint hatte. Brummend zog er sich in seine Kammer zurück, während Bianca auch in ihren Kissen noch lange keinen rechten Schlaf fand über der Frage: Giebt es verheirathete Primadonnen auf der Welt? und wenn ja, hat ihnen die Ehe mehr genützt oder mehr geschadet? In diesem holdseligen Kinde war das Weib noch nicht recht wach geworden, wenn es auch Pater Otto’s unzeitige Frage nahezu munter gerufen hatte. Bianca wog ab, wofür ihr Gewicht und Wage fehlte. Darüber ward sie denn doch müde und schlief endlich ein, wie die Kinder und die Glücklichen einschlafen, mit einem Seufzer mitten im Vaterunser.


Edgar kam wieder und ward gut empfangen. Pater Otto blieb aus und ward nicht vermißt.

Bianca war es recht eigenthümlich zu Muthe. Sie bezog unwillkürlich Alles, was sie Süßes und Zierliches zu singen hatte, auf Baron Sperber. Sie hätte sich darüber ärgern mögen, aber sie zog es vor, sich über den abwesenden Vetter zu ärgern, der allein die Schuld trug, daß ihre sonst so harmlosen Gedanken nun

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_764.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)