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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Na – na – so viel Elend – so viel Elend auf an einzigesmal! Aber – laß Dir’s gesagt sein, Enzi – paß’ auf – der Hanni ihr g’spaßiges Sterben, dem Ferdl sein’ traurige G’schicht’ und – und noch ’was, was mir im Kopf umgeht, das hängt mit einander z’samm’ – da is was g’schehen, was sich kein Mensch net denkt.“ Lauschend fuhr Gidi auf; dumpfe Schläge hallten aus dem Flur des Wohnhauses. „Da – jetzt nageln s’ den Sarg schon zu. Also, Enzi – gelt – red’ vorderhand nix – und – b’hüt’ Dich Gott derweil.“

Fest und lange schüttelten sie sich die Hände; der Ernst der Stunde hatte die Beiden ihres Haders vergessen lassen. – –

Die letzte Schaufel Erde ward über dem frischem Grab geworfen. Dann verloren sich die Leute in die Kirche, um der Todtenmesse beizuwohnen. Nach derselben ging man im Zuge dem Bräuhause zu, wo das Todtenmahl bereitet war.

Dort unter der Thür faßte Jörg die Hand seines Weibes. „Gelt, Mariann’, bleib Du bei die Leut’ – und mich laß’ heimgeh’n.“

„Um Gotteswillen, Jörg,“ stammelte die Bäuerin, „ich bitt’ Dich, schau, nimm Dich doch g’rad a ganz a kleines bißl z’samm’. Was mochten d’ Leut’ denn reden, wann Du net bei’m Mahl bist!“

„Laß s’ reden, was s’ wollen. Ich geh’ heim – ich halt’s net aus – ich muß ’was derfahren!“

Und ehe die Mariann’ noch antworten konnte, rang er seine Hand aus der ihren und wandte sich eilenden Ganges durch das Gärtchen des Bräuhauses den Wiesen zu.

Er erreichte seinen stillen Hof und wankte in die Stube, die von schwerem Weihrauchdufte erfüllt war. Er trat in die Schlafkammer, öffnete eines der Fenster, die nach dem Garten führten, lauschte hinaus und blickte mit starren Augen der Höhe zu. Dann kehrte er wieder in die Stube zurück und sank auf eine Bank. Doch wenige Minuten nur saß er so, dann sprang er zitternd empor. Draußen lenkten flüchtige Tritte um das Haus – die Thür öffnete sich, und Dori erschien über der Schwelle; er hatte zum äußeren Zeichen seiner Trauer die lichtgrünen Schnüre seines Hutes mit einem schwarzen Tuche überbunden, sein Gesicht war blaß vor Erschöpfung.

Jörg war auf ihn zugestürzt und hatte ihn beim Arme in die Tiefe der Stube gezogen.

„Red’, Dori – red’ – red’!“ stieß er mit heiserer Stimme hervor.

„Ja –Bauer – ja –“ keuchte der Bursche, der kaum Athem und Worte fand, „so – so bin ich g’rennt! Der ander’, der fremde – das hab’ ich gleich derfahren – der – der is in der Nacht noch fortg’ritten – und – und – und die andern zwei – g’rad sind s’ heim’kommen – der Kommandant und der ander’ – vom Höllberg her über d’ Wiesen – ganz – ganz allein!“

Ein tiefer Seufzer schwellte die Brust des Bauern. „Unserm Herrgott sei Lob und Dank! Er – er is über der Grenz!“ Doch als er sich nun straff emporrichtete, fiel sein Blick auf die offene Thür und – auf den Grafenjäger, der regungslos über der Schwelle stand.

„Um aller Heiligen willen,“ fuhr der Bauer stammelnd auf, „Gidi, Du bringst nix Guts net!“

„Na, Finkenbauer, na – unserm Herrgott muß ich ’s klagen! Schau – nimm Dich z’samm – ich – ich weiß ja so net, wie ich Dir ’s sagen soll – der Ferdl – Dein Ferdl – –“

„Na, na, na, Du weißt nix anders, als was ich selber weiß! Der Ferdl is über der Grenz’ – lang über der Grenz’!“

„Ja – über der Grenz’, wo zwisch’m Leben is und zwischen der Ewigkeit. Im Höllbachgraben liegt er drunt’ – und ich hab’s mit anschaun müssen – und – ‚Jesus Maria! Grüßt’s mir mein Jörgenbruder!‘ – das war sein’ letzte Red’.“

Weiß quollen dem Bauern die Augen aus den Höhlen, sein Gesicht wurde lang und schmal, und weit klaffte sein Mund, in dessen Winkeln dünne Schaumbläschen sich sammelten. So stand er eine Weile regungslos. Dann tastete er sich an der Tischkante entlang der Bank entgegen und sank darauf nieder unter den stöhnenden Worten: „Meine Füß’ – oh – meine Füß’ –“

Dem Dori aber begannen die Zähne zu klappern, und er brachte die Hand kaum zum Gesichte, um ein Kreuz zu schlagen.

Zögernden Schrittes ging Gidi auf den Bauer zu und rüttelte ihn an der Schulter: „Finkenbauer – Finkenbauer – Jörg!“

Da kam ein Schauer und ein Zittern über ihn; er betastete mit den Händen seinen Kopf und seine Brust und lallte mit schwerer Zunge: „Ja – ja – ich g’spür’ mich noch und – und – ich weiß – ich weiß ja g’wiß – g’fangt wann s’ ihn hätten und hätten ihn eing’führt ins Zuchthaus, wo einer net ’neing’hört, der Ferdl heißt – und – und der mein Bruder is – ich weiß ja g’wiß, das hätt’ mich um’bracht. Und jetzt – jetzt is er dahin – aus und gar is mit ihm – und ich kann’s wissen, und ich kann’s sagen! Er und d’ Hanni bei ’nander – und ich bin noch übrig! Is das a Lieb’? Is das a Lieb’?“ Immer und immer wieder stöhnte er dieses eine Wort vor sich hin, dann plötzlich stürzten ihm die Thränen aus den Augen, und schluchzend warf er die Arme über den Tisch. Dann wieder sprang er auf, und in wilder Hast sprudelten ihm die Worte von den Lippen: „Ich bin Einer! Ich bin Einer! Da kann ich sitzen und kann reden – und reden – und – Jesus, und kein Mensch daheim! Wo sind denn Leut’? Wo sind denn Leut’?“

Er wollte der Thür zustürzen, aber Gidi hielt ihn am Arme fest. „Sorg’ Dich net, Jörg – wir brauchen keine Leut’ – Du und der Dori und ich, wir Drei sind g’nug – und droben im Höllbergschlag, da arbeiten a sieben an acht Holzknecht’, und die haben Alles, was zum brauchen is, Strick’ und Hacken und Beiler und Alles!“

„Ja, ja – is schon g’nug – is schon g’nug – kommt’s nur g’rad – kommt’s – kommt’s – a jede Minuten is a Sünd’ –“ stotterte Jörg und eilte den beiden Anderen voraus dem Hofe zu.

Sie schlugen den nächsten Weg durch den Garten ein – Jörg immer voran um ein Dutzend Schritte.

Auf dem Höllbergschlage fanden sie die Holzknechte, die bei der ersten Kunde von dem Unglück ihre Arbeit ruhen ließen, der eine und andere dieser Männer hatte wohl ein Wort über die Nutzlosigkeit aller Rettungsversuche auf der Zunge, doch als sie dem Finkenbauer in das Gesicht sahen, schwiegen sie und eilten willig mit ihm der Höhe zu.

Als Jörg mit den Männern die hohe Platte erreichte, wurde einer der Holzknechte an langem Seile in die Schlucht niedergelassen, aber er mußte wieder emporgezogen werden, noch ehe er zur Wassertiefe hatte gelangen können. Auf eine weite Strecke war der Weg zum Grunde durch zwei von den beiden Klammwänden aus schief in einander greifende Felsgefüge versperrt.

„A Lucken is schon da, daß Einer durchkönnt’ – und da muß’s ihn auch durchg’rissen haben, den armen Teufel,“ berichtete der Mann, wobei er aus Mitleid für den Finkenbauer verschwieg, daß er auf einer steil abfallenden Platte reichliche Blutspuren gefunden. „’s Kurasch is g’wiß net z’weng bei mir – aber da dürft’ so a Seil von Eisen sein – wenn’s zweimal um’s Eck ’rum muß – bei dene kantigen Steiner, die haben Dir ja a Schneid’ wie a Messer – da kost’s g’rad a Ruckerl, nachher liegst drunten und hast ausg’schnauft – und g’holfen is auch nix. Aber – wenn ich rathen möcht’ – probiren wir’s a bißl weiter drunten, wo die Klamm den Kessel macht – ’leicht daß man von unten auf zukönnt’.“

Alle, auch Jörg, wußten, daß der Mann sein Möglichstes gethan hatte, und Alle sahen ein, daß sein Rath der beste war.

Schweigend eilten sie am Rande der Schlucht jenem Kessel zu. Dort trafen sie schon mit Leuten zusammen, die aus dem Dorfe kamen, in welchem sich die Nachricht von dem Unglücke auf die vom Kommandanten beim Bürgermeister erstattete Anzeige hin rasch verbreitet hatte. Von den Finkenhofleuten kam als Erste die Emmerenz, wortlos reichte sie dem Bauer die Hand, dann streifte sie die Aermel an die Schultern und stellte sich zu den Holzknechten an das Seil, während sie da hielt und zog, daß ihr vor Anstrengung die Schläfenadern schwollen, schien sie gar nicht zu bemerken, daß es Gidi’s Hände waren, welche hart neben den ihrigen das Seil umklammerten.

Es kam die Finkenbäuerin, die sich schluchzend an den Hals ihres Mannes hing – und Veverl kam, bleich, zitternd und athemlos.

Da waren nun hundert Arme zur Hilfe bereit, doch war außer Jörg unter Allen nicht Einer, der unter dieser „Hilfe“

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