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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

das einzige Material, welches das große Kongo-Unternehmen aus dem Inneren geliefert hat. Darauf also stützen sich Ihre und Ihrer Nacheiferer Behauptungen über die weit günstigeren Regenverhältnisse des Inneren! Wie schlimm für Sie, daß diese Ihre Beobachtungen gerade das Gegentheil beweisen! Nicht nur die Länge der Regenzeit, sondern auch die Zahl der Regentage und Stunden nahmen in der Richtung nach dem Innern ab statt zu!

Im Jahre 1882 beobachteten Sie im Herzen des Kongostaates! nach dem 5. Mai keinen Regen mehr. In Vivi fielen dagegen in demselben Mai noch am 12. und 13. schwere Regen.[1] Sie geben selbst zu, daß im Inneren die schlimme Trockenzeit 4 Monate danere. Sie führen sogar die Beobachtungen von Pogge und Wißmann an, die weit im Süden vom Kongo zwischen dem Lubilasch und Lumamifluß ebenfalls eine Trockenzeit von 4 Monaten nachwiesen. Also 8 Monate Regenzeit; 4 Monate dagegen Trockenzeit, während welcher das Land, die Vegetation, die Feldfrüchte verdorren! Und daraufhin wird behauptet, das Innere wäre gesegneter als die Küstenstriche? Wir wollen prüfen, mit welchem Rechte. Von den dreijährigen Arbeiten der deutschen Loango-Expedition haben Sie keine Kenntniß, – sonst wären Sie vorsichtiger gewesen. Die Loangoküste beginnt unmittelbar am untern Kongo und dehnt sich nordwärts gerade über die Breitengrade aus, welche Sie im Inneren durchmaßen, während Sie die Regen nach Tagen und Stunden aufschrieben. An dieser Küste fielen aber zu Tschintschotscho laut exakter Beobachtungen in zwei vollen Jahren nur im Juni und Juli keine meßbaren Regen, die Trockenzeit umfaßte also bloß 2 Monate! Etwas nördlich von Tschintschotscho, im Küstengebiete des Kuilu-Nyadi und in der Landschaft Yumba, namentlich am Westhange des Gebirges, verkürzt sich die Trockenzeit sogar auf den Monat Juni und in normalen Jahren verläuft überhaupt kein Monat ohne Regenfälle.[2]

Um so viel günstiger sind also in gleicher Breitenlage die Gebiete der Küste gestellt, als die des Inneren. Wiederum erkennen Sie, Herr Stanley, wie gefährlich es ist, wenn Sie, statt nur so ganz im Allgemeinen zu rühmen und das Wesentliche zu umgehen, sich mit bestimmten Angaben hervorwagen. Wollen Sie den schönen Glauben bei Anderen erwecken und erhalten, so dürfen Sie am wenigsten Zahlenmaterial veröffentlichen. Sonst müssen Sie vor den exakten Forschungsresultaten die Flagge streichen – und wie soll da der Glaube an Sie fortbestehen? Darum haben Sie wohl auch instinktiv einen so großen Widerwillen gegen die „unreifen Dilettanten“, die Vertreter von „ologien“?

Der deutsche Meteorologe zu Vivi hat nur auf meine dringende Verwendung seine Beobachtungen durchführen können – sonst hätten wir diese nicht einmal. Die Wissenschaft erscheint ja im Kongostaate wie ein gefährliches Element; ihre Resultate bedrohen Utopia. Sie, Herr Stanley, haben in Ihren Stationen weder Instrumente auf-, noch Leute, die sie beobachten könnten, angestellt. Und Sie sprechen vom Klima, als hätten Sie die Tabellen in der Mappe! Ihre Kranken, Ihre Todten, die erlagen nicht der unzureichenden Verpflegung, nicht dem Klima, o nein! nur dem eigenen Unverstand, dem Alkohol und anderen bösen Dingen.

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Und der Handel? Der Handel der Küstenzone des westlichen Kongogebietes im weitesten Sinne ist bedeutend, aber er ist es schon seit langer Zeit. Wir verdanken ihn den Kaufleuten aller Nationen, die in den Küstenstrichen und an den Wasserläufen sitzen, so weit diese vom Meere aus brauchbare Verkehrsstraßen bilden. Durch Jahrzehnte lange mühselige besonnene Arbeit haben diese ihn selber geschaffen. Was da geleistet worden ist, Herr Stanley, daran haben weder Sie noch das Unternehmen irgend welchen Antheil. Ihre Thätigkeit hat nichts daran gefördert.

Die Kaufleute beherrschten die Küstenstriche und die befahrbaren Wasserwege, ehe Sie kamen, und sie sind trotz Ihrer Versprechungen noch nicht weiter vorgegangen. Da die Unternehmung selbst Handel zu treiben begann, hat sie die Kaufleute gezwungen, andernfalls unnöthige Opfer zu bringen und der Konkurrenz wegen ein paar Kilometer weiter am Kongo hinaufzugehen: von Mussuku und Noki – wo bereits im Jahre 1873 Faktoreien bestanden – bis in die Nähe des benachbarten Vivi. Das ist Alles. Eine einzige schlechte Regenzeit wird die Schließung aller dort errichteten Faktoreien im Gefolge haben, trotz Ihrer Expedition, Herr Stanley, ganz wie es an anderen Flüssen des Küstengebietes geschehen ist, die Sie nie befahren haben.

Sie erzählen (I, 171), daß Sie als der erste Mundele (Kaufmann) nach Vivi gekommen seien. Ganz abgesehen von früheren Reisenden waren vor Ihnen (1878) dort bereits der Direktor und Hauptagent des holländischen Handelshauses, errichteten jedoch aus guten Gründen in der wenig versprechenden Gegend keine Faktorei!

Die Handelsfahrzeuge aller Größen, Segler und Dampfer, belebten vor Ihrer Ankunft den Unterlauf des Kongo wie sie ihn heute noch beleben. Keiner der dortigen Kaufleute hat, wie Ihr Apostel so phantasievoll beschrieben, mit staunenden Augen auf den Anbruch einer neuen Zeit geblickt, die durch Ihre Dampfer charakterisirt sein sollte! Wenn die Händler über Etwas staunten, so war es über das Unfaßbare, daß die großartige Opferwilligkeit eines Königs in der gekennzeichneten Weise benutzt wurde.

An die Reichthümer des Inneren, die Sie, Herr Stanley, verheißen, glauben die Kaufleute nicht. Sie beziehen ihre minderwerthigen Massenprodukte, welche alljährlich durch Arbeit erneuert werden, aus den Küstengebieten und angrenzenden Landschaften, wo sie seit Langem anregend gewirkt haben; also aus Entfernungen, welche die Transportkosten nicht in so hohem Maße steigern, daß die Produkte marktunfähig werden. Ueber die derartig umschriebenen äußersten Grenzen hinaus giebt es folgerichtig keine Massenproduktion mehr. Die Jnnerafrikaner müssen erst arbeiten lernen, wie es in verschiedenem Grade die seewärts Wohnenden gelernt haben. Und wenn das erreicht ist, dann bleibt es immer noch sehr fraglich, ob für die ausschlaggebenden Massenprodukte eine hohe Eisenbahnfracht bezahlt werden kann.

Nur die werthvolleren Produkte: Kautschuk, besonders Elfenbein können aus größeren Entfernungen zugeführt werden. Aber nirgends lagern dieselben zum Abholen bereit an großen Stapelplätzen oder auch nur in bestimmten Distrikten, sondern finden sich allenthalben verstreut. Sie wandern von Hand zu Hand, von Stamm zu Stamm und gelangen, je nach Lage der Gebiete in verschiedenen Richtungen zu bestimmten Küstenpunkten, zu den Kaufleuten, die sie dort erwarten.

Die erfahrenen Kaufleute wissen sehr wohl, daß ein überhastetes Vordringen in unproduktive Gebiete, das Einsammeln selbst der kostbarsten Produkte im Innern und das Herausschaffen derselben so bedeutende Kosten und Gefahren mit sich bringen würde, daß der mögliche Gewinn in keinem Verhältniß stünde zu den aufgewendeten Mitteln. Sie wissen ferner, daß die Auslagen für ein solches Vorgehen sich unter allen Umständen nicht verringern würden, während der Preis der Produkte im Innern durch gesteigerte Nachfrage immer höher geschraubt werden würde. Nur zu bald würden die Afrikaner für ihr Elfenbein, und wo sie sich zur Gewinnung von Kautschuk bewegen ließen, auch für dieses, weit im Inneren denselben Preis fordern, für welchen sie dasselbe jetzt noch bis zur Küste liefern. Es ist eben im unkultivirten Afrika kein Transportdienst zu Lande so billig, als der, den die Afrikaner sich selber leisten: das Befördern der Güter durch Träger.

Sie, Herr Stanley, wissen so gut wie alle Kenner Ihrer Kongolinie, daß gerade diese keine Handelsstraße ist, keine Gegend durchschneidet, wo sich etwa die den weiten Transport noch lohnenden Produkte des Inneren ansammelten. Sie wissen, daß das etwa dort wie allenthalben im ungeheuren Gebiete verstreut vorkommende Elfenbein nach ganz verschiedenen Richtungen abfließt und so erst auf die weit ab von Ihrer Linie verlaufenden alten Handelsstraßen zum Meere gelangt. Mit welchen Mitteln wollen Sie diese Produkte an sich ziehen? Welchen Kostenanschlag haben Sie dafür aufgestellt?

Die Resultate der kaufmännischen Unternehmungen der Association am oberen Kongo sind doch abschreckend genug. Was kosten wohl der Expedition die mühsam erlangten wenigen Elefantenzähne, die man doch in gleicher Anzahl und in kürzester Zeit billiger und bequemer an irgend einem Elfenbeinplatz der Küste hätte kaufen können? Wie groß waren wohl bis dahin die Auslagen für ein solches Geschäft? Und was haben Sie um so enormen Preis erworben? Nichts als die Zähne, die einige Wochen oder Monate später, aber nichtsdestoweniger mit unfehlbarer Sicherheit, dennoch in die Magazine der Kaufleute an der Küste gelangt waren. So mögen Sie wohl, Herr Stanley, wenn Gewinn und Verlust nicht in Betracht gezogen werden, mit gewissenhaft rechnenden Kaufleuten konkurriren, die Produkte etwas weiter binnenwärts vorweg kaufen – aber das Gesammtresultat des Handels können Sie damit nicht vergrößern. Die Güter gehen einfach bloß durch andere Hände. Diese Thatsache würde auch dann keine Veränderung erleiden, wenn die Association die wesentlichsten Handelshäuser in sich aufnähme und somit in Wirklichkeit, zum Schaden kleinerer Kaufleute, für sich nichts weniger als ein Monopol schaffte.

Kurzum: Sie haben dem Handel weder neue Produkte zugeführt, noch neue Bahnen gewiesen, noch haben Sie seine Bedeutung in irgend welcher Weise vermehrt – es sei denn durch phantastische ungeheuerliche Exportlisten. Die Produkte Afrikas, welche die Association in Brüssel aufgestellt hat und jetzt wohl auf der Weltausstellung in Antwerpen vorführt, haben Sie nicht aus dem Kongostaate gebracht, Herr Stanley. Sie sind von englischen Kaufleuten in Liverpool zusammengestellt worden. Sollen Sie vielleicht dem Publikum beweisen, welche Schätze der Kongostaat liefert?

Doch halt! ein echtes Produkt des Kongolandes ist – oder war? – in Antwerpen doch zu sehen. Ein Eingeborener, der sonst bei Vivi wohnt, Massalla heißt und im Uebrigen ein recht respektabler Mann ist. Sie selbst, Herr Stanley, erwähnen seiner (I, 135, 142, 145, 498) als eines Dolmetschers, einer untergeordneten Persönlichkeit. Sie zählen ihn nicht einmal zu den Häuptlingen von Vivi, und mit Recht nicht, denn er ist der kleinste der Kleinen, nennt ein Dorf von einem Dutzend Hütten und Land so weit ein Pfeilschuß trägt, sein ganzes Reich! Dieser respektable Dorfschulze ist mit seinen vier Weibern importirt worden und bildet als der große König vom Kongo eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten auf der Weltausstellung zu Antwerpen. Das Volk staunt ihn an, den großen Herrscher vom Kongoland, und kauft seine Büste, die flugs modellirt worden ist. Wer könnte nun noch am Kongostaate zweifeln? Und wäre es wirklich wahr, was man hört und liest, daß dieser Dorfschulze mit entsprechendem Schaugepränge dem König der Belgier vorgestellt und sogar mit königlichen Ehren empfangen worden ist. Was soll man dazu sagen? was wird die Menschheit noch erleben, Herr Stanley?

Es sind merkwürdige Dinge geschehen, und scheinen auch noch zu geschehen. Aber mit alledem werden die Reichthümer Utopias nicht gewonnen, die Großhändler nicht geblendet. Die gehen ihren eigenen übersehbaren Weg! Sicherlich, Herr Stanley, wenn es möglich wäre, das Innere auf so billige Weise zu erreichen, daß dort baldigst lohnende Geschäfte betrieben werden könnten – die Kaufleute, welche doch weder des gesunden Menschenverstandes noch der Rührigkeit entbehren, die wären schon vor Ihrer Geburt in Innerafrika eingezogen. Der letzte Elefant hätte sein Leben gelassen. Die unsere Gemüther erregende Frage wäre endgültig beantwortet.

Dann wäre auch das Problem der Besiedelung gelöst, welches nicht minder kühn befürwortet wird. All unser Wissen, welches wir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_749.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)
  1. Dr. A. von Danckelman: Mémoire sur les Observations Météorologiques faites à Vivi. Berlin 1884. Asher et Co. Diese Arbeit des auf mein Verwenden nach Vivi gesandten deutschen Forschers ist die einzige wissenschaftliche von der Association unterstützte Publikation.
  2. Die Loango-Expedition. Abtheilung III, Seite 63 und ff.