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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

eines Weltgeistlichen, einen schlichten schwarzen Gehrock und die weißeingefaßte violette Halsbinde. Es fehlte nichts, aber man mußte doch genau zusehen, um den geistlichen Herrn zu erkennen. Bei Anderen springt’s oft in die Augen. An ihm war eben nichts Auffallendes, aber auch nichts in seiner Kleidung, was dem Stande zuwiderlief.

Ju der lezten Zeit kam Pater Odysseus um vieles häufiger in die Stadt als im verwichenen Jahre. Wir merkten es, obwohl er es keineswegs angezeigt fand, sich jedesmal bei uns einzufinden, ja, wenn ich richtig beobachtete, von uns lieber gar nicht gesehen wurde.

Indessen hatt’ er auf Befragen kein Hehl daraus, daß ihn Klosterangelegenheiten jede Woche drei- bis viermal hierherführten und daß er, weil dies mit solcher Regelmäßigkeit sich wiederholen müsse, die Gelegenheit benutze, um einer kleinen Muhme, die heranreise, Stunden in der Geschichte, Litteratur und schriftlichen Ausarbeitungen deutscher und französischer Sprache zu ertheilen.

Das Mädchen sei sehr begabt und mache ganz erstaunliche Fortschritte, so daß ihm diese regelmäßigen Unterrichtsstunden die größte Freude bereiteten.

An die Freude glaubt’ ich nun gerne, denn ich kannte dieses himmlische Mühmchen mit dem musterhaften Gretchengesicht und den großen blauen Madonnenaugen. Es ist niemalen ein zierlicheres, verführerisches Geschöpfchen auf so winzigen Füßen über die Welt gelaufen.

Es war ausgemacht, daß Bianca sich der Bühne widmen sollte. Denn die verschwenderisch liebende Natur hatte diesem Wunderding von Menschenkind nicht nur alle Schönheit und Anmuth des Leibes mit auf den Weg gegeben, es hatte auch die Stimme einer Nachtigall in diese jungfräuliche Kehle gezaubert, so daß sie häßlich wie der unscheinbare Singvogel hätte sein können und doch die Herzen aller, die sie hörten, erobert hätte.

Auch der geistliche Herr Vetter hatte gar nichts gegen diese weltliche Bestimmung seiner Kousine. Er hoffte durch seinen Unterricht viel zu ihrer künstlerischen Entwickelung beizutragen. Er hatte ihr sogar einen Theaternamen zurechtgedrechselt. Denn mit ihrem gewiß sehr ehrbaren Vatersnamen Latschenberger war in künstlerischer Karrière nichts anzufangen. Man denke sich: Zerline ... oder Susanne ... Fräulein Latschenberger ... Blanche Latschenberger! Unmöglich! ... Scandrini sollte sie sich nennen. Bianca Scandrini, das klang, das sang schon von selber und nahm sich auf einem Theaterzettel vielversprechend und mustergültig aus.

Bianca Scandrini war gar nicht weit mehr von ihrem ersten Auftreten entfernt. Sie war nur noch zu jung. Siebzehn Jahre! Und sie erschien noch jünger, weil sie so klein war. Klein und niedlich und zierlich, aber doch voll und rund. Eva, wie sie im Buche steht!

Sachverständige weissagten ihr ganz ernsthaft eine große Zukunft. Wenn mein guter Freund, der berühmte Gesangsprofessor, von ihr sprach, zog er die Augenbrauen ganz hoch in die Stirn und schloß die Augenlider und ließ den Mund ein Weilchen halb offen stehen, sowie er etwa über dem feinsten Rheinwein und der theuersten Havannazigarre sich zu verhalten pflegte, und nach einer Weile dieses nur in einem leisen unartikulirten Tone geleisteten Lobes ihrer Kunstfertigkeit fügte er die Versicherung hinzu, daß Bianca Scandrini schon jetzt Alles an sich habe, was sonst noch zu einer Primadonna gehöre, die reüssiren wolle. Er habe allerhand Sterne aus seiner Opernschule aufsteigen sehen, aber solch ein Konsum von Blumen und Bonbons, wie er diesem Kinde schon in den ersten Klassen ermöglicht worden und von demselben mit eleganter Selbstverständlichkeit tagtäglich vollzogen werde, sei ihm noch nie vorgekommen.

Der schlaue Vetter hörte das lachend mit an und fuhr fort, ihr gute Lehren und erbauliche Stunden zu geben. Ihr Lob in seinem Munde klang maßvoll und zurückhaltend. Er bewunderte nichts und gab über Allem Gott die Ehre. Aber daß er in Gottes Geschöpf verliebt sein konnte, wie ein anderer Sterblicher auch, stand mir fest, wenn ich auch keinem hätte rathen mögen, den hochwürdigen Herrn darum zu fragen.

Darum aber durft’ ich ihn fragen, ob seine schöne Kousine Bianca Scandrini am Ende auch mehr oder weniger sorgfältig vermummt hier auf dem Maskenballe sei.

Und da ich ihn also fragte, lachte er, wie es sein Brauch war, und sagte dann: „Deßwegen bin ich ja hier. Ich lasse sie nicht lang aus den Augen.“

Nicht? Also war sie gar nicht weit! Und ich strengte all meine Schkraft an, in diesem Menschengewimmel trotz alles Mummenschanzes jenes entzückende Wesen zu entdecken, das mir, sobald mir seine Anwesenheit verrathen war, das wichtigste von allen war, wie viel ihrer auch sich hier herumtrieben.

Richtig, das mußte sie sein! Das war sie! Ihre Kleinheit verrieth sie und die auszeichnende Eleganz ihrer holdseligen Erscheinung, holdselig auch in dieser schwarzen Verkleidung, und mir verrieth sie auch noch eine Strähne des lichtblonden Haares, die sich zwischen Maske und Kapuze fürwitzig in die Welt drängte. Jenes eigenthümliche Wiener Blond, wie es anders in dieser Nuance kaum vorkommt, weizenblond mit einem sanften Hauch von Schatten darüber.

Auch ihre Begleitung stimmte. Der Vater, wohlgemuth, ein Kaufmann aus der Josephstadt, klein und breitschulterig, mit einem Schmeerbauch, der seines faltenreichen Dominos spottete. Er ging herum, den Anderen voraus, als wollt’ er ihnen den Weg frei beißen. Man sah’s ihm an, er hätte weit lieber in Lerchenfeld bei der „blauen Flasche“ gesessen, als hier herumzutrollen. Aber Bianca hatte alle Welt und auch den Vater unter dem Pantöffelchen. Da sie sich in den Kopf gesetzt, wie andere berühmte Künstlerinnen einen Maskenball im Theater an der Wien mitzumachen, und da sie sich königlich dabei in drei Sprachen, französisch, italienisch und deutsch, mit aller Welt unterhielt, so hieß es ausharren ohne Widerrede.

Die beiden Tugenddrachen von Schwestern nebenher dachten auch nicht an Widerrede. Sie waren nicht schön, diese beiden älteren Schwestern, nein, sie waren sogar abscheulich, feist, schleppfüßig, unelegant in des Wortes verwegenster Bedeutung und ohne jegliche Begabung als die, den Kochlöffel und die Nähnadel zu schwingen und ihrem Kleinod von Schwesterchen zu Willen und zu Diensten zu sein alle Stunden des Tages und der Nacht.

Die Natur hatte die ganze Familie stiefmütterlich behandelt, um auf den einen Liebling der Musen und der Menschen alle Gaben zu häufen, die ein sterbliches Wesen ob der Menge hoch emporheben.

Mir graute vor diesen Schwestern, die gar nicht wie Schwestern aussahen, sondern wie Tanten, oder richtiger, wie der Berliner sagt, wie Tunten, „olle Tunten“, womit eben Alles gesagt ist.

Aber Bianca gehörte zu den wenigen weiblichen Wesen, die zwingenden Zauber auf mich ausübten. Ich gefiel ihr nicht. Ich schob es auf die Tunten. Aber daß ich ihr nicht gefiel, war mein Glück. Denn ich hätte im andern Falle die größten Thorheiten meines Lebens für sie begangen, und zwar mit unsagbarem Vergnügen.

Ich erwähne das nur, um die Wirkung begreiflicher zu machen, die sie auf Andere, die sie auf Jeden ausübte.

Ich gefiel ihr nicht, aber wir waren ganz gute Freunde und unterhielten uns auch jetzt auf dem Maskenballe vortrefflich mit einander, während Pater Odysseus, der sofort, als er in die Nähe seiner Muhme gelangt war, die Maske wieder vors Gesicht gebunden, gravitätisch und stumm neben uns herschritt, einem Erzengel Michael im Domino vergleichbar, der sich nicht ganz à son aise fühlt, weil er sein flammendes Schwert in der Garderobe hat abgeben müssen.

Wie wir nun so, eine ganze mehr oder weniger vermummte Karawane von lustigen Freunden, durchs Menschengewühle ruderten, kam uns wieder der hübsche Baron Sperber in die Quere. Er erschien mir erschöpft und athemlos, und keineswegs durch freudige Veranlassung, denn er machte ein Gesicht, welches mit der allgemeinen Stimmung und der unsrigen wenig übereinstimmte. Es hatte offenbar Mühe gekostet, seine alte Geliebte Philomen abzuschütteln, die es vielleicht auf eine Ueberrumpelung des ausgeflogenen Vogels unter Maskenfreiheit abgesehen hatte, es hatte Mühe gekostet, sich vor ihren ferneren Vorwürfen, Zumuthungen und Bitten, vor der ganzen unliebsamen Scene zu uns zu retten.

Als er nun so aufathmend vor uns dastand und sich die hohe Stirn mit seidenem Tuche trocknete – denn auf seiner Stirn lichtete sich bereits das Ringelhaar, obwohl er noch in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_730.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)