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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Gidi machte sich bei seinem stummen Zuhören das Nebenvergnügen, den zwischen Neugier, Verwunderung und Verlangen wechselnden Ausdruck in den Zügen des Herrn Kommandanten zu beobachten.

Nun folgte eine Viertelstunde, in welcher Herr Simon Wimmer mancherlei von Gidi zu leiden hatte, der ihn tüchtig in die Zwickmühle nahm. Vorerst begann der Jäger ausführlich von verschiedenen Mädchen des Dorfes zu sprechen, deren Namen allein schon genügt hätten, den Herrn Kommandanten in mißbehagliche Unruhe zu versetzen. Dann kam er mit breitem Lobe auf das „Fräulein Hanni“ zu reden, wußte nicht genug davon zu sagen, wie sehr „der Zukünftige von der Finkenhofschwester zum neiden“ wäre, und konnte dabei nicht genug bedauern, daß im Dorfe Niemand zu finden sei, der ihrem Werthe und ihrer „Büldung“ das Gleichgewicht hielte.

Herr Simon Wimmer schien auf einem recht unbequemen Stuhle zu sitzen, so unruhig rückte er hin und her; dabei verhielt er sich gar schweigsam; manchmal nur nickte er hastig vor sich hin oder begleitete des Jägers Worte mit einem gezwungen klingenden: „Didididi!“ Seinem Gesichte war es deutlich anzusehen, daß er mit sich selbst im Zweifel war, ob Gidi auf ihn stichelte oder bei seinem so harmlos sich anhörenden Geplauder nur zufällig gerade auf diese Dinge zu reden käme, ohne zu ahnen, wie unwillkommen sie den Ohren des Herrn Kommandanten sein mußten. Schließlich schien ihn sein Selbstbewußtsein vollständig zu der letzteren Ansicht zu überreden; überdies wich seine Unruhe einer ungetheilten Aufmerksamkeit, als er den Jäger sagen hörte:

„Jetzt ich – wenn ich mich mit Heirathsgedanken tragen thät’, ich haltet[1] mich deßwegen doch mit alle zwei Händ’ am Finkenhof an, und wenn ich mir auch zehnmal sagen müßt’, daß d’ Hanni für mich net g’wachsen is! Sein Weiberl aus’m Finkenhof ’rausholen – das heißt a Nummer ziehen! Und es muß ja net g’rad d’ Hanni sein! A Jahrl noch – und ’s Veverl is im besten Alter – und – gelt Finkenbauer? – da wirst Dich auch net spotten lassen, wenn der Kummetwagen[2] von Dei’m Schwagerkind ’nausfahrt aus’m Finkenhof?“

„Das versteht sich! Didididi! Das versteht sich!“ fiel Herr Wimmer mit erregten Worten ein und pries dann des Langen und Breiten die „großmüthige Nobligkeit“ des Finkenbauern, der diese Lobrede mit wortloser Geduld über sich ergehen ließ. Man konnte es dem Bauer wohl ansehen, daß er im Stillen an andere, ernstere Dinge dachte; er gewahrte es kaum, wie ihm Gidi so lustig zublinzelte und verstohlen mit dem Daumen nach dem vor Eifer und Erregung glühenden Gesichte des Herrn Kommandanten deutete, der jetzt von seiner angesehenen Stellung sprach, von seinem sicheren Einkommen und einer ihm in Aussicht stehenden Gehaltserhöhung.

Jörg athmete erleichtert auf, als Herr Simon Wimmer sich endlich zum Abschied erhob.

„Wart’, ich heiz’ ihm noch a bißl ein auf’m Heimweg. Da kriegen wir noch amal an G’spaß – mit dem!“ wisperte Gidi dem Bauer zu; dann nahm er Büchse und Rucksack von der Ofenbank.

„Geh’, laß!“ erwiderte Jörg. „Der is ja z’letzt imstand und redt der Vevi ’was vor, an was das Deandl noch net denken soll. Und überhaupts –“

Er verstummte und gab mit verdrießlicher Miene seinen beiden Gästen das Geleite durch den Hof.

Vor dem Zaunthor setzte Herr Wimmer zu einer Abschiedsrede ein, deren Ende wohl kaum „zum derwarten“ gewesen wäre, hätte nicht Gidi den Herrn Kommandanten mit einem energischen: „Jetzt aber weiter amal –“ durch das Thor auf die Straße geschoben.

Nachdenklich gesenkten Kopfes kehrte Jörg zum Hause zurück. Schon wollte er die Schwelle betreten, da hörte er hinter sich am Straßenzaune das Pförtchen knarren, als er sich wandte, sah er einen Mann in blauer Jacke und Mütze auf das Haus zu kommen; es war ein Postbote, doch nicht der gewöhnliche, welcher alltäglich die Briefe und Zeitungen in das Dorf brachte.

„Bin ich da im rechten Haus,“ frug der Bote, „beim Bauer Georg Fink?“

„Ja, ja, ganz recht,“ erwiderte Jörg mit unsicherer Stimme und eilte hastenden Ganges in den Hof, beim ersten Schritte schon die Hand nach dem Briefe streckend, von welchem der Bote den Namen des Bauern abgelesen hatte.

„Da hab’ ich einen Expreßbrief – kostet eine Mark achtzig Pfennig für direkte Zustellung.“

„A Mark achtzig! Das is aber a bißl viel!“ murmelte Jörg zerstreut.

„No – und ich mein’, es wär’ wenig g’nug für die drei Stund’ von der Station bis da ’raus.“

Jörg griff in die Tasche, und die Hand zitterte ihm, als er dem Boten das Geld hinzählte. Dann nahm er den Brief, ging mit ihm in die Stube, und immer starrte er die Adresse an, als hätte er nicht den Muth, den Brief zu öffnen. Auf den ersten Blick hatte er die etwas ungeübte, kraus durch einander fahrende Schrift seiner Mariann’ erkannt. Eine Mark achtzig! Was mußte ihm da die Mariann’ zu schreiben haben!

Endlich schüttelte er, hoch sich aufrichtend, wie in Unwillen über sich selbst, den Kopf und löste das Messer, das er bei sich trug, aus der Scheide. Dabei hoffte er, daß Gidi mit seinen Vermuthungen vielleicht doch das Richtige getroffen haben mochte, daß seine Mariann’ trotz ihrer rühmenswerthen Pünktlichkeit dieses Einemal wenigstens sich versäumt haben könnte – und da war ja dann nichts natürlicher, als daß sie durch einen solchen Brief ihren Jörg aller Sorgen enthob.

So dachte Jörg auch noch, als er den geöffneten Brief schon entfaltete – doch als er auf dem Blatte die Thränenspuren gewahrte, unter denen die Schriftzüge häufig verschwammen und fast erloschen, da wußte er, daß er hier noch Schlimmeres erfahren würde, als er anfangs selbst gefürchtet hatte. Seine starke Mariann’ – und Thränen!

Die Hände zitterten ihm, als er das Blatt näher an die Augen hob – und er konnte die ersten Zeilen kaum durchflogen haben, da verfärbte sich sein Gesicht, und tastend suchte seine Hand nach einer Stütze. Schwer sank er auf die Holzbank nieder, mit zuckenden Lippen stammelnd. „Mein lieber Herrgott! Wie kann so ’was g’schehen!“ Wieder begann er zu lesen – Zähre um Zähre troff ihm über die Wangen, und keuchend ging sein Athem.

Lange schon hatte er zu Ende gelesen, doch immer noch starrten seine brennenden Augen nieder auf das zitternde, knisternde Blatt. Dann plötzlich schlug er die Hände an die Schläfe, und in lautem Aufschluchzen, das den mächtigen Körper des Mannes schüttelte wie ein jäher Windstoß die Tanne im Bergwald, brach es von seinen Lippen.

„Mein’ arme Hanni! Mein armer, armer Ferdl!“

Die Fäuste sanken ihm über den Tisch, und schluchzend barg er das Gesicht in beiden Armen.

Lange lag er so – sein Schluchzen verstummte – doch immer noch von Zeit zu Zeit überrann unter einem dumpfen Stöhnen ein zuckender Schauer seinen Leib.

Er schien es nicht zu hören, als die Thür sich öffnete und Veverl die Stube betrat, sie mochte wohl glauben, daß der Bauer schliefe, denn ruhig trat sie auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief ihn mit halblauter Stimme an.

„Jörgenvetter!“

„Was willst?“ fuhr Jörg mit heiserem Rufe empor und starrte gläsernen Blickes in das erschrockene Gesicht des Mädchens.

Mit scheuen ängstlichen Augen blickte Veverl auf die verstörten, von Schmerz verzerrten Züge des Bauern, auf die vom Weinen gerötheten Lider und auf seine beiden Hände, die vor den Blicken des Mädchens in so furchtsamer Hast jenen Brief zu bergen suchten, als könnte schon sein bloßer Anblick all das Entsetzliche verrathen, das ihn getroffen und erschüttert hatte bis ins Innerste seines Herzens. Kaum wollten dem Mädchen die Lippen gehorchen, als es auf die Frage des Bauern zur Antwort gab: „Den – den – Tisch hab’ ich decken wollen – 's Abendessen is fertig.“

„So – so –“ stammelte Jörg, „ja, ja – schau nur, daß die Kinderln ihr Sach’ richtig kriegen. Auf mich – brauchst net zum warten mit dem Essen – ich – ich hab’ noch an Gang zum machen – ja – an Gang.“ Zwei schwere Zähren rannen ihm über die Wangen, als er dieses letzte Wort wiederholte. Unsicheren Schrittes ging er auf einen Wandschrank zu und

versperrte den Brief in eines der Fächer. Dann zog er den mit

  1. hielte.
  2. Der Wagen, welcher die Aussteuer trägt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_719.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2023)