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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Fassen wir uns kurz: Ihre ganze Liste, Herr Stanley, über die Exporte des Inneren, namentlich auch über die alljährlich durch Feldbau zu gewinnenden Handelsprodukte, Ihre imponirenden Zahlen sind eitel Phantasie, um ein Jahrhundert verfrüht!

Gerade die das afrikanische Geschäft beherrschenden Großhändler sind darüber gar nicht in Zweifel. Wenigstens deutsche nicht. Sie haben sich eines Fehlers von großer Tragweite schuldig gemacht, Herr Stanley: Sie sind nicht auf dem deutschen Geographentage zu Hamburg erschienen. Gerade dort hätten Sie aber auftreten müssen. Dort hätten Sie die gewichtigen Zweifel an Ihrer Zuverlässigkeit vor Allem persönlich bekämpfen müssen!

Sie haben nicht gezögert, englischen Kaufleuten die Herrlichkeiten des Kongostaates in eigener Person zu verkünden; warum traten Sie nicht auch hin vor unsere deutschen Kaufherren, vor die Enkel der alten Hanseaten?

Das Bekannte anzuführen, haben Sie sich wohlweislich gehütet. Die Kongomündung als einziger Hafen ist ein Sammelplatz für die Produkte, welche an langgestreckten Küstengebieten im Norden und Süden eingekauft werden. Und die von dort kommenden minderwerthigen Massenprodukte sind wiederum in einer relativ schmalen Zone erzeugt worden, wo der Handel seit langer Zeit anregend gewirkt hat. Das werthvollere Kautschuk wird aus entsprechend größerer Entfernung – nicht aber vom Kongo! – gebracht. Das kostbare Elfenbein allein kommt aus dem Inneren. Davon können Sie aber an einem beliebigen Elfenbeinplatze der Küste, fern vom Kongo, in einem Monat mit geringeren Kosten mehr Zähne erwerben, als Ihr Unternehmen überhaupt seit seinem Bestehen im Inneren am Kongo erworben hat.

Ich wiederhole hier: die von der Reklame als Export vom Kongo aufgezählten Produkte, deren Quantität meistentheils viel zu groß angegeben wird, entstammen nur zum kleinsten Theil dem Kongo selbst (und zwar bloß dem unteren, nicht dem oberen Kongo), zum bei Weitem größten Theil dagegen den Küstengebieten im Norden und Süden. Sie dem Kongo selbst zuzuschreiben, wäre etwa so fehlerhaft, als wenn man die von Hamburg ausgeführten Güter als Erzeugnisse Hamburgs oder der Elb-Ufer aufzählen wollte.

Bei der Aufstellung Ihrer phantastischen Liste von Exporten erstreben Sie einen doppelten Zweck. Nicht nur wollen Sie dem unaufmerksamen Leser die gerühmten Reichthümer des Inneren durch Zahlenangaben beweisen: Sie wollen ihn mittels dieser Liste auch von der Nothwendigkeit und der Lebensfähigkeit einer Eisenbahn überzeugen. Sie berechnen danach, daß die Bahn täglich allein 427½ Tonnen Produkte zur Küste zu befördern haben würde, was bei einer Fracht von 8 bis 9 Pfennig per Tonne und Meile, nebst Hinfracht und Passagiergeld Alles in Allem eine jährliche Einnahme von 6 Millionen Mark ergeben würde. Sie behaupten sogar (II, 385):

„Als bloße Spekulation stellt nichts auf der ganzen weiten Welt einen solch großen Nutzen in Aussicht wie diese kleine Eisenbahn.“

Beneidenswerthe zukünftige Aktionäre! Sätze wie dieser muthen doch an wie Prospekte aus der Blüthezeit des Gründerthums. Wenn nun aber die Frachten der Berechnung nicht entsprechen? Wenn nun nach vielen Jahren des Bahnbetriebes mühsam und allmählich kaum der zehnte Theil der veranschlagten beschafft werden kann? Wenn nun die Händler für die minderwerthigen Massenprodukte die Frachttaxe gar nicht zahlen können?

Wie zuverlässig sind Ihre Angaben hinsichtlich der Konstruktion dieser Eisenbahn! Da schreiben Sie (II, 385):

„Selbstverständlich würde letztere eine Niveaubahn sein, an welcher außerordentliche Kosten nur durch einige wenige Brücken verursacht werden.“

Vorher aber, da Sie noch nicht von der Bahn sprechen, sagen Sie (II, 354) über das nämliche zu durchmessende Gebiet:

„– – die gebirgige Region mit unzähligen Linien und Gruppen geringerer Hügel, welche noch mit einander zusammenhängen und nach einer ungeheuren Menge von Unebenheiten bis zur Höhe von 700 Meter über dem Niveau des Meeres aufsteigen.“[1]

Und die Niveaubahn mit nur wenigen Brücken? Als es gilt, dem Komité die von Ihnen geleistete riesige Arbeit recht eindringlich darzustellen, schreiben Sie (I, 247):

„Wir haben drei Brücken gebaut, etwa zwanzig Schluchten und Spalten an den Kreuzungspunkten ausgefüllt, sechs Hügel planirt, uns durch zwei dichte Wälder von hartem Holz hindurchgehauen und eine Straße von 38 Kilometer Länge hergestellt.“

So viele Hindernisse also allein auf einer recht kurzen Wegstrecke in dem verhältnißmäßig günstigsten Theile des Gebietes! Und die Niveaubahn mit nur wenigen Brücken? Noch deutlicher schreiben Sie (II, 213), wo Sie von dem Bau des Gebirges reden:

„– – wird er“ – nämlich der verständig nachdenkende Beschauer – „die geologische Geschichte, welche die Zeit mit tiefen Furchen in das enge Becken des Kongo geschrieben hat, und das verwickelte System der gewaltigen Schluchten verstehen, welche sich von Norden und Süden her demselben zuwenden.“

Sehr richtig und klar gesagt, Herr Stanley. Aber die Niveaubahn mit nur wenigen Brücken? Erwarten Sie etwa, daß noch Wunder geschehen? Daß die zahllosen eng bei einander liegenden Unebenheiten des Terrains sich selbst verwischen werden? Daß diese zahlreichen 30 Meter, 50 Meter, sogar 100 und mehr Meter tief in den festen Felsen oder in den mürben, bröckligen Laterit eingeschnittenen Klüfte und Schluchten, in welchen zur Regenzeit die Gebirgswässer entlang tosen – daß diese sich schließen werden, wenn die Bahn, die sie überschreiten muß, sich ihnen nähert? Wenn es möglich wäre, sie zu umgehen, würde die zwanzigfache der angenommenen Bahnlänge dazu ausreichen?

Sie berechnen sogar die ungefähren Kosten der Eisenbahn, als hätten Sie Vermessungen der Route, die Einzelheiten darüber in der Mappe. Ohne diese ist doch selbst die roheste Abschätzung des Werkes unmöglich.

Sie besitzen dieselben jedoch nicht! Sie und Andere sprachen von der Bahn wie von einem Luftschloß. Sie und das Unternehmen besitzen keine Vermessungen des zu überschreitenden übermäßig schwierigen Gebirgslandes! Sie kennen nicht die Höhe der Bergzüge, nicht die Tiefe der Schluchten, nicht die Weite der steilwandigen Thäler, nicht die Breite der Flüsse. Sie kennen also gerade nicht die Hindernisse, die in abschreckender Zahl und Größe außer sonstigen Schwierigkeiten dem Bahnbau entgegenstehen und deren Ueberwindung doch gerade die größten Kapitalien verschlingt. Sie haben keine Uebersicht, welche Aufmauerungen, welche enormen Ueberbrückungen zur Bewältigung der Hindernisse nöthig sein werden, für welche Richtung man sich auch entscheiden möge. Trotzdem beantworten Sie ohne Zögern die während der Konferenz zu Berlin an Sie gerichteten officiellen Fragen.

Sie sagen aber nicht, daß in den verstreuten, hauptsächlich buschähnlichen Galleriewäldern des Kongolandes harte, zu Zimmerarbeiten verwendbare Hölzer überaus selten vorkommen.

Im Gegentheil, Sie versäumen keine Gelegenheit, immer wieder das Vorhandensein von Wäldern und vorzüglichen Nutzhölzern zu betonen. Wo finden sich dieselben?

Vielleicht sind Sie und Ihre Anhänger der Ansicht, daß mein Urtheil neben dem Ihrigen keinen Werth besitze, weil ich Ihren Spuren nicht bis zum äußersten Punkte gefolgt bin. Auch ist es ja, wie weiter unten deutlich zu ersehen, eine beliebte Weise, die Herrlichkeiten des Kongostaates stets in die Gegenden zu verlegen, die noch kein unbefangen Urtheilender besucht hat. Ich kenne jedoch am Kongo selbst sowie abseits von ihm liegende große Gebiete gründlich genug, um angrenzende danach beurtheilen zu können, und vermag dies doch gewiß mit nicht geringerer Sicherheit als Sie, Herr Stanley, da Sie überhaupt bloß die Kongo-Ufer gesehen haben, nicht darüber hinaus in das Land selbst gekommen sind. Die Strecken, die ich nicht betrat, sind Anderen bereits vertraut geworden, und noch viele Reisende werden Gelegenheit finden, Schritt für Schritt die Wahrhaftigkeit Ihrer sonstigen Angaben zu prüfen.

Hier gleich ein neues Beispiel. Sie sprechen mit Enthusiasmus von dem Walde von Lukolela (II, 68), dessen brauchbare Bäume Sie auf 460000 Stück schätzen, welche etwa 9 Millionen Kubikmeter Holz liefern würden. Man erstaunt, wie gewissenhaft Sie untersuchen!

„Besonders zahlreich sind Platanenbäume (?), welche leicht zu bearbeitendes Holz für Planken zu Flachbooten und Dampfern, Bretter für Tische, Thüren, Fußbodendielen, Dachsparren, Fensterrahmen u. s. w. haben, während das prachtvolle Teakholz (!) zu Kielen, Vorder- und Hintersteven, Deckplanken, das herrliche Mahagoni-, Roth- und Guajakholz (!) zu Möbeln verarbeitet werden könnte. Eine Dampfsägemühle würde aus diesem einen Walde auf Generationen hinaus alles Holz liefern, dessen die Handelsfaktoreien bedürfen. Obgleich das Holz auch in anderen Gegenden am Kongo nicht gerade spärlich war, ist diese Region doch die einzige zwischen der See und Lukolela, wo man so wenig unbrauchbare Bäume findet.“

Hier haben wir also ganz bestimmte Angaben von Ihnen, Herr Stanley, so positiv gehalten, daß daran nicht gedeutelt werden kann. Nun ist nach Ihnen ein anderer, kenntnißreicher und in Afrika sehr erfahrener Mann auch in diesem unvergleichlichen Wald gewesen. Er hat beobachtet und beurtheilt.

Lesen Sie unten nach, Herr Stanley, ob das, was der Vorsteher der englischen Mission, Herr Comber, über den Werth der Hölzer im fernen Inneren und besonders zu Lukolela berichtet, die Zuverlässigkeit meiner oder Ihrer Anschauung bekräftigt.[2] Lesen Sie ferner nach, ob der Bericht des Kommissars der amerikanischen Regierung mein oder Ihr Urtheil über die Bewaldung des Gebirgslandes am Kongo beglaubigt.[3] Und warum sollten Diejenigen, welche Nutzhölzer ausführen wollen, nach dem Inneren gehen, wenn die Forsten der Loangoküste, z. B. der Galleriewald des Kuilu-Nyadi, des Luëmme Tschiloango, der Yombesche Wald, deren Großartigkeit in Afrika gewiß nirgends wo übertroffen wird und die vom Meere aus auf trefflicher Wasserstraße zu erreichen sind, dem Unternehmer sich darbieten?

Sie hüten sich auch, den wichtigen Umstand zu erwähnen, daß in jenem Tropenlande Hochbauten jedweder Art des Klimas, der Insekten wegen stets von Stein und Eisen sein müssen.

Weder Sie, Herr Stanley, noch das Unternehmen haben über alle diese fundamentalen Dinge auch nur die rohesten Untersuchungen angestellt. Eben jetzt erst hat man Ingenieure zum Kongo gesendet, um die allernothwendigsten Vorarbeiten für eine kurze Bahnstrecke zu erledigen. Und dennoch wird bereits seit Jahr und Tag die civilisirte Welt mit erstaunlicher Bestimmtheit über die Eisenbahn, ihre Nothwendigkeit und ihre Herstellungskosten belehrt! Ist jemals schon Aehnliches gewagt worden, noch dazu Angesichts eines mit hochwichtigen Arbeiten beschäftigten Kongresses, zu welchem alle civilisirten Völker ihre Vertreter gesandt hatten?


  1. Man vergleiche die Abbildungen vom Kongostaate: „Gartenlaube“ 1883, S. 732, 733, 793 und 796.
  2. Proceedings, Royal Geographical Society. London 1885. p. 372: Die Nachbarschaft von Lukolela ist dicht bewaldet, aber er (Comber) könnte nicht sagen, daß er irgend welche Nutzhölzer gesehen hätte, die werthvoll wären für seine künftige Ausbeutung. Auf allen Stationen mußten viele Pfähle und Baumstämme weggeworfen werden, weil das Holz nichts taugte.“
  3. Tisdel: Congo. Report No. 4, pag. 17. „Mit einer Ausnahme giebt es keine mit stattlichen Bäumen bestandene Landschaft zwischen Ponta da Lenha und Stanley Pool. Ich meine den Masamba Wald, welcher, obwohl von geringer Ausdehnung, einige schöne Exemplare von hochgewachsenen Hartholzbäumen enthält. In den Thälern des Luvu- und Inkissiflusses wachsen einige Bäume dicht am Wasser entlang, aber meistens weiches Holz. An ein oder zwei Stellen entlang des Stanley Pools finden sich ebenfalls kleine Wälder, aber nichts für Zimmerholz Taugliches von irgend welcher Bedeutung.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_715.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)