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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der „Kessel“ aber wurde von den im Innern abgeteuften Schichten aus mit Patronen gespickt, die 25000 Kilogramm Dynamit enthielten, und 1876 mit einem Schlage nicht in die Luft, sondern ins Wasser gesprengt.

Es drang in der That kein einziges Felsstück bis an die Wasseroberfläche, und es verrieth nur ein dumpfes Geräusch und eine 50 Meter hohe Wassersäule, daß in der Tiefe eine grausige Katastrophe sich vollzogen. (In Nr. 46 des Jahrganges 1876 der „Gartenlaube“ ist eine ausführliche Schilderung des seltenen Ereignisses gegeben.)

Vorhof des Schachtes im „Flood Rock“.

Damit war indessen der Schifffahrt nicht viel geholfen. Es verblieb, wie wir oben sahen, der Hauptfelsen — Flood Rock genannt — und drohte nach wie vor den Schiffen mit dem Untergang. Der Beginn der Arbeiten zur Beiseiteschaffung des Ungethüms verzögerte sich dadurch, daß die Volksvertretung der Vereinigten Staaten mit der Bewilligung der erforderlichen vier Millionen Mark lange zögerte, und so ist es gekommen, daß die Sprengung des 360 Meter langen, 180 Meter breiten Riffs so lange auf sich warten ließ.

Eine solche Masse könnten die Ingenieure begreiflicherweise mit den gewöhnlichen Mitteln nicht wegräumen. Es kam hier vielmehr das bei dem „Kessel“ bereits mit Erfolg angewendete Verfahren, mit einigen wesentlichen Verbesserungen, wieder zu Ehren. Wir wollen nunmehr dieses Verfahren an der Hand der beifolgenden Abbildungen, die nach dem „Scientific American“ hergestellt wurden, unseren Lesern klar zu machen suchen.

Da der Flood Rock nur bei Ebbe mit der Spitze ein wenig aus dem Wasser ragt, so war die erste Arbeit die Herstellung eines dem nassen Elemente unzugänglichen Raumes auf der höchsten Stelle, von welchem aus die Werkleute mit aller Sicherheit zunächst einen senkrechten, 18 Meter tiefen Schacht in das Innere treiben konnten. Der Vorhof zu diesem Schachte, dessen Inneres die erste unsrer Abbildungen veranschaulicht, war nicht bloß zum Ausladungsplatze für das herauszufördernde Gestein, sondern auch für die Aufstellung von mächtigen Pumpen bestimmt, weil der Felsen sich als wasserdurchlässig herausstellte und die Arbeitsplätze bald „ersoffen“ wären, hätte man für die Entfernung des eindringenden Wassers nicht gesorgt.

Die Sammelrinne.

Von dem Schachte aus gruben sich alsdann die Arbeiter weiter in das Gestein durch gewöhnliches Sprengen hinein. Zunächst ging es an die Herstellung der Sammelrinne für das durchsickernde Wasser, über welche in geringen Abständen Holzbrücken führen. Darauf wurden, der Länge und Breite des Felsens nach, wagerechte Gänge gebohrt, die so dicht bei einander liegen, daß die Felsendecke, wie bei den berühmten indischen Tempeln in der Nähe von Bombay, nur noch auf ausgesparten Säulen ruht. Eine Anzahl solcher Gänge veranschaulicht an der Stelle, wo sie die Sammelrinne kreuzen, unsre zweite Abbildung. Dieser Theil der Arbeit war sehr schwierig und gefahrvoll. Einmal bedrohte das eindringende Wasser häufig das Leben der Bergleute; sodann erwies sich das Gestein vielfach als so bröcklig, daß Einstürze nur mit großer Mühe durch Stützen der Decke mit Balken abgewendet werden konnten. Die Felsendecke über den Gängen hatte eine Mächtigkeit von etwa fünf Metern, die Gänge selbst aber eine Gesammtlänge von über 6500 Metern, waren also etwa halb so lang, wie der Gotthardtunnel. Die Decke trugen 467 Felsensäulen.

Mit dem Graben der 70 Gänge war aber das Werk keineswegs vollendet. Es galt nunmehr, die Wände der unterirdischen Gassen wie auch die Decke für die Aufnahme der Sprengladungen herzurichten. Wenn auch das Bohren des Gesteins, Dank den mächtigen Bohrmaschinen der Neuzeit, überraschend schnell und leicht vor sich ging, so beanspruchte immerhin die Durchlöcherung des Felsens mit nicht weniger als 13286 Bohrlöchern von durchschnittlich 2,70 Meter Tiefe einen großen Aufwand an Zeit und Mühen. Diese Bohrlöcher waren im September vollendet, und ihre Gesammtlänge betrug über 36 Kilometer.

Das Laden der Bohrlöcher.

Hierauf erfolgte das Laden der Bohrlöcher. Auf kleinen Schienen bewegte sich ein Karren, dessen Aufsatz sich nach Bedarf hoch oder niedrig stellen ließ, und von welchem aus die Bergleute die Einführung der Patronen in die Minenlöcher bequem besorgen konnten. Diese Patronen bestanden aus einem Gemisch von Schießpulver und Dynamit. Interessant ist die Art und Weise, in welcher die Arbeiter ihr Licht an der Hutkrempe leuchten ließen!

Das nicht ungefährliche Laden der Minen wurde Anfangs Oktober vollendet, und hierauf erfolgte die Verbindung sämmtlicher Patronen durch eine Reihe von Kupferdrähten, die weitab, am gegenüberliegenden Ufer von Long Island, in eine elektrische Batterie mündeten. Alsdann wurde zur Vergrößerung der Sprengwirkung das Wasser in den mächtigen unterirdischen Bau eingelassen, nachdem die Baulichkeiten und Maschinen über dem Schachte entfernt worden waren. Nunmehr genügte ein Druck auf einen Knopf an der elektrischen Batterie, nur die 13286 Patronen mit ihrer Ladung von etwa 150000 Kilogramm Dynamit und Schießpulver zu zünden und damit den Flood-Rock hoffentlich für immer zu beseitigen.

Den Schauplatz, auf welchem diese Riesensprengung stattgefunden, haben wir bereits in Nr. 4 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ unsern Lesern vorgeführt, als wir den eigenartigen elektrischen Leuchtthurm am „Höllenthor“ besprachen, der mit dem Licht von 54000 Kerzen den East River beleuchtet.

Während wir diese Zeilen niederschreiben, liegen nur kurze telegraphische Berichte aus New-York vor, nach welchen die Riesen-Explosion glücklich abgelaufen ist. Schon die Sprengung des „Kessels“ hat bewiesen, daß bei dieser Art von Minenentladungen kaum eine Gefahr für die Umgebung vorhanden ist, weil die Wasserschicht über dem Felsen den Anprall bedeutend abschwächt. Dagegen steht zu befürchten, daß die Sprengung keine so vollständige geworden ist, wie die Betheiligten hoffen, und daß das nachherige Herausfischen größerer Felsentrümmer, welche ebenso viele neue Riffe bilden würden, viel unvorhergesehene Mühe und Kosten verursachen wird. Das ganze Werk ist indessen so meisterhaft gedacht und angelegt, daß wir wohl das Beste hoffen dürfen.

G. von Muyden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_712.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)