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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Das wird sich finden. Im schlimmsten Falle müssen uns die Bauern Hilfe leisten, sie hängen treu an ihrem Fürstenhause, und wenn sie von einem Attentat hören, stürzen sie sich mit uns vereint auf die Verschwörer. Haller, das wird ein großer Moment werden! Wir haben sie entdeckt, wir retten das Fürstenhaus und verdienen uns den Dank des ganzen Landes.“

„Und vielleicht auch einen Orden und eine Gehaltszulage,“ meinte der Untergebene, der die Sache mehr von der praktischen Seite nahm.

„Das versteht sich! Doch da sind wir am Wirthshause, ich werde sofort schreiben.“

Sie zogen sich in ihr Zimmer zurück und Sebald warf rasch das Telegramm auf das Papier.

„Das Gesuchte gefunden – alle Voraussetzungen bestätigt – heute Abend eine Zusammenkunft geplant – Erbitte sofort Verhaltungsregeln.“

Er faltete das Blatt zusammen und übergab es seinem Vertrauten.

„Hier ist die Depesche! Eilen Sie, fliegen Sie und warten Sie auf der Station selbst auf Antwort, die umgehend eintreffen wird. Ich bleibe inzwischen hier und – observire.“

Haller gehorchte, er eilte die Treppe hinunter in der besten Absicht, zu fliegen, mußte aber seinen Schritt mäßigen, denn er mußte an dem Zimmer des Herrn von Below vorüber, der den Wirth zu sich hatte rufen lassen und jetzt laut und jammervoll darüber lamentirte, daß sein Koffer noch immer nicht da sei und er keine Toilette machen könne.

„Gott steh’ uns bei, der will wirklich erst Toilette machen zur Verschwörung!“ dachte Haller, während er verstohlen ein Kreuz schlug. „Ich glaube, das passirt selbst in Rußland nicht. Herr Sebald hat Recht – es sind schreckliche Zustände in unserem armen Vaterlande!“ –

Es war Abend geworden. die Landschaft stand im goldigen Lichte der niedergehenden Sonne, aber während sich schon die ersten bläulichen Schatten auf den Spiegel des Sees legten, weilte der Sonnenschein noch auf den Bergen und die weißen Mauern des Bergkirchleins schimmerten rosig in jenen Strahlen. Soeben klang das Abendläuten von dort hernieder, so mild und feierlich, als künde es nur Frieden und Segen.

Seefeld hatte zum Glück keine Ahnung von Dem, was sich dort oben begab, von der geplanten Entweihung des heiligen Ortes. Die Dörfler, die eben von der Arbeit zurückgekehrt waren, beteten andächtig ihren Abendsegen und setzten sich dann zum Essen nieder. Alles befand sich in den Häusern, und es fiel Niemand ein, dem Pfarrhause oder dessen Umgebung irgend eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Nur Sebald befand sich wieder auf seiner Beobachtungsstation. Er war ganz angegriffen von dem unaufhörlichen Observiren, aber das Bewußtsein der Pflicht und die Schwere der Verantwortung ließen ihn jede Ermüdung überwinden. Haller hatte in der That die telegraphische Antwort zurückgebracht, die an Energie nichts zu wünschen übrig ließ. Der Herr Hofmarschall trug dem furchtbaren Ernste der Lage volle Rechnung, er kam selbst und zwar mit Extrapost, um persönlich die Sache zu leiten, und konnte jetzt in jeder Minute eintreffen. Bis dahin lautete der Befehl für die beiden Beamten auf strengste Zurückhaltung: sie sollten sich nicht rühren, aber den zu beobachtenden Gegenstand nicht einen Moment aus den Augen lassen. Jedenfalls folgten die Hilfsmannschaften Seiner Excellenz auf dem Fuße, es stand zwar nichts davon in der Depesche, die kurz und in äußerst vorsichtigen Ausdrücken gehalten war, aber es verstand sich von selbst.

Sebald hatte inzwischen mit aller Umsicht die nöthigen Anstalten getroffen. Droben auf dem Hügel stand Haller als Wachtposten, was ihm durch die waldige Umgebung der Capelle sehr erleichtert wurde. Sein Vorgesetzter hatte ihm selbst einen Platz ausgesucht, wo er in völliger Verborgenheit Alles beobachten konnte, und ihm nochmals die äußerste Vorsicht eingeschärft, es kam Alles darauf an, die Verschwörer sicher zu machen, damit sie ahnungslos in die Falle gingen.

Inzwischen war auch Herr von Below von seinen Aengsten erlöst und glücklich wieder in Besitz seines Koffers gelangt. Der Kutscher hatte es vorgezogen, den Wagen in einem nahen Gehöfte ausbessern zu lassen, so gut dies möglich war, aber darüber waren Stunden vergangen, und da die Fahrt auch einige Zeit in Anspruch nahm, so war er erst gegen Abend mit Wagen und Koffer in Seefeld angelangt, zur großen Genugthuung des Majoratsherrn, der sich bisher, im Hinblicke auf seinen zerrissenen Rock, freiwilligen Stubenarrest auferlegt hatte. Jetzt stürzte er sich mit größter Eile in die schleunigst ausgepackte neue Toilette, was ihn aber nicht hinderte, seinem Anzuge besondere Sorgfalt zuzuwenden. Die Uhr der Dorfkirche schlug gerade sieben, als er das Haus verließ, um nun endlich drüben im Pfarrhause den so lange aufgeschobenen Besuch zu machen.

„Der ist pünktlich!“ sagte Sebald, der ihn dort eintreten sah. „Und er hat wirklich einen nagelneuen Anzug angelegt zu dieser schrecklichen Berathung. Wahrhaftig, der Cynismus der jetzigen Generation übersteigt alle Grenzen!“

Er verfolgte ungeduldig den Zeiger der Uhr, der immer weiter vorrückte, und zerbrach sich dabei den Kopf, wo er die Stimme des Hauptmannes der Verschwörung schon gehört hatte. Fremd war ihm dies schöne klangvolle Organ nicht, es hatte schon einige Male sein Ohr berührt, aber wo und bei welcher Gelegenheit, das wußte er nicht. Vergebens rief er sich alle Verbrechen und Processe. die im Herzogthume vorgekommen waren, in das Gedächtniß zurück, seine Erinnerung ließ ihn diesmal völlig im Stich.

Eine weitere Viertelstunde war vergangen, da endlich zeigte sich drüben auf der Fahrstraße ein Wagen, eine Extrapostchaise, die im schnellsten Trabe herankam. Dem Postillion mußte wohl ein reichliches Trinkgeld versprochen sein, denn er jagte, was die Pferde nur laufen konnten, die Thiere dampften, als er sie vor dem Gasthause anhielt.

Sebald, der in dem Insassen des Wagens längst den Hofmarschall erkannt hatte, stand bereits da, um ihn ehrerbietigst zu empfangen, aber ein unmerklicher und doch bedeutsamer Wink verbot ihm, hier besonderen Respekt zu zeigen. Der alte Herr stieg rasch aus und trat mit ihm seitwärts in den Garten.

„Nun, wie steht es?“ fragte er hastig und leise.

„Ganz nach Wunsch, Excellenz,“ erklärte Sebald mit dem ganzen Selbstbewußtsein eines Mannes, der eine große That vollbracht hat. „Ich halte die sämmtlichen Fäden in der Hand und habe mir auch nicht einen einzigen entschlüpfen lassen. Wie die Maßregeln auch genommen werden mögen, wir bleiben auf jeden Fall Herren der Situation.“

„Das ist mir lieb,“ sagte der Hofmarschall, sichtlich beruhigt. „Ihre Depesche hat mir allerdings schon das Nöthigste gemeldet, jetzt zu den Details! Er ist also wirklich hier?“

„Er? Ja wohl, sie sind sämmtlich hier und wähnen sich vollkommen sicher, aber sie sind bereits in der Falle!“

Die Excellenz runzelte die Stirn und nahm eine sehr vornehme Miene an.

„Sebald, Sie scheinen zu vergessen, von wem Sie sprechen! Wählen Sie Ihre Ausdrücke respektvoller.“

Sebald sah äußerst verwundert aus bei dieser Zurechtweisung. Es kam ihm sonderbar vor, daß für die Attentäter Respekt verlangt wurde, und gar noch von Seiten des Herrn Hofmarschalls, aber er ließ die seltsame Aeußerung auf sich beruhen und erkundigte sich nun seinerseits, ob die nöthigen Hilfsmannschaften unterwegs seien, und wann sie eintreffen würden. Jetzt war die Reihe des Erstaunens an Seiner Excellenz.

„Hilfsmannschaften? Weßhalb denn? Und wozu?“

„Um die Bande dingfest zu machen. Es sind drei Verbrecher. Dann noch die beiden Frauen und ich fürchte, der Pfarrer wird auch Widerstand leisten. Denen sind ich und Haller allein nicht gewachsen.“

Der Hofmarschall blickte den Sprechenden an, als glaube er, dieser sei nicht recht bei Sinnen.

„Bande – dingfest machen – wovon reden Sie denn eigentlich?“

„Von den Hochverräthern, die ich entdeckt habe.“

„Hier in Seefeld?“

„Allerdings! Excellenz gaben mir ja selbst die nöthigen Weisungen, ich bin ja einzig und allein deßwegen hierher beordert.“

In dem Gesichte des Hofmarschalls zeigte sich das äußerste Befremden, zugleich aber ein lebhafter Unwille.

„Das scheint ein heilloser Irrthum zu sein! Darauf also bezog sich Ihre Depesche? Sie sind wahrscheinlich einer falschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_708.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)