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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unglück so muthvoll Trotz bietende Fürstin unglücklich, gebrochen. Sie ist seitdem ohne Nachkommenschaft geblieben, und dieser Schicksalsgang drückt ihrem Wesen einen unverkennbaren Stempel auf.

Das Kloster Sinaja verdankt seine Entstehung dem walachischen Fürsten Cantakuzeno, der vor etwa 200 Jahren eine Wallfahrt in das gelobte Land unternahm und dort das Gelübde ablegte: wenn ihn ein gütiges Geschick wieder wohlbehalten die Heimath erblicken ließe, alsdann in Rumänien ein Kloster zu erbauen, in Lage und Form ganz gleich dem Kloster Sinai im Morgenlande. Cantakuzeno hat sein Versprechen gehalten! An der südlichen Abdachung der Karpathen, etwa 20 Kilometer in südlicher Richtung von der siebenbürgischen Feste Kronstadt entfernt, überragt von 8000 Fuß hohen steilen Kalksteinwänden, 3000 Fuß hoch über dem Meere gelegen auf einem sanft nach dem Thale abfallenden Plateau, befand sich die Stelle, welche Cantakuzeno geeignet schien, um sein gottgefälliges Werk zu errichten.

Ein einsamer, unwirthlicher Platz war es, wo man die dicken, mit Schießscharten versehenen Mauern baute, hinter welchen später die frommen Patres gar manchen Ansturm versprengter türkischer Horden abzuwehren gezwungen waren.

Es war ein großer Entschluß, gerade hier ausgedehnte Gebäudekomplexe aufzuführen, aber ein noch größerer für die Mönche, hier zu leben, hier in den Urwäldern, welche mehr als hundert Meilen lang sich um den Fuß der Karpathen ziehen, hier wo Bären die einzigen Besucher der undurchdringlichen Wälder waren, während die Wölfe zur Winterszeit die Gegend so unsicher machten, daß hohe Belohnungen auf das Erlegen derselben gesetzt wurden.

Was sollten auch Menschen hier machen? War ja doch tiefer unten das Flachland der weiten Donauniederung, mit dem fast zwei Meter dicken Humus, noch lange nicht zur Hälfte bewohnt. Wer sollte sich in die undurchdringlichen Wälder wagen? Höchstens vereinzelte Wanderer mit Saumrossen, die über den Paß Predeal nach Siebenbürgen zogen. Derartige vereinzelte Reisende fanden im Kloster Sinaja für drei Tage Aufenthalt und erhielten täglich einen Krug Wein und ein Brot, so lautete die Verpflichtung, welche die Regierung dem Hospiz auferlegt hatte, und sie wurde von den Mönchen aufs Gewissenhafteste erfüllt.

Das weitschauende Auge des Königs wählte diesen Platz zur Sommerresidenz. Wenn bei Beginn des Sommers die von Sümpfen umgebene Haupt- und Residenzstadt Bukarest der Herd für alle möglichen Fieber wird, dann ziehen Alle von dannen, deren Beruf sie nicht an die Stadt fesselt. Es handelte sich darum, ein Gegengewicht gegen Einflüsse zu finden, welche Krankheitskeime in sich bergen, und was wäre dazu geeigneter als ein 3000 Fuß über dem Meere mitten im Tannen- und Buchenurwald gelegener Platz, der gegen Nordostwinde geschützt und von sprudelnden klaren Waldbächen umrauscht ist?

Die Mönche überließen dem Herrscherpaare die Hälfte des Klosters zur Wohnung, und vor 14 Jahren wurden die weißgetünchten Zellen mit kleinen Fenstern zwischen dicken Mauern, unverändert in ihrer Einfachheit, die Wohnräume der Herrschaften. Zu erreichen war dieser Platz damals nur zu Fuß oder mit Saumrossen, auf deren Rücken Fleisch und Brot wöchentlich zweimal von Kronstadt herübergeschafft wurden.

Es bedurfte aber gerade solcher Wesen wie das rumänische Herrscherpaar, um, mit der richtigen Mischung von poetischem Sinn und praktischer Beharrlichkeit begabt, hier den ersten Stein zu einem Prachtbau zu legen, dem sich im Laufe von 14 Jahren ein Luftkurort angeschlossen hat, eine werdende Badestadt mit prachtvollen Villen, großen monumentalen Hotels, Badehäusern, Fontainen, Musikpavillon, Parkanlagen, Garnisonsplatz, Jahrmärkten, die im Sommer eine Einwohnerzahl aufweist, die 8000 übersteigt, darunter die vornehmsten und reichsten Leute des Landes. Eine breite, gutgehaltene Fahrstraße führt jetzt von Kronstadt über den Paß nach Bukarest, und daneben eine Eisenbahn, die den raschesten und sichersten Verkehr mit Wien mittels Tag und Nacht gehender Schnellzüge vermittelt. Sonntags bringen Expreßvergnügungszüge aus Nord und Süd Hunderte von buntfarbigen Gestalten in dieses herrliche Bergthal.

Das ist die reiche Ernte für den in schweren Zeiten mit Beharrlichkeit ausgestreuten Samen.

Fast jeden Sonntag beginnt nach Schluß der Kirche in Sinaja ein buntes Volksleben. Landleute, Krämer und Zigeuner sind von allen Seiten herangezogen und halten feil, meist inländische Stickereien für Hemden und Schürzen, Teppiche, Halsschmuck, Filzmäntel. Das Interessanteste für den Fremden sind die Nationaltrachten und Völkertypen. Die Zigeuner liegen Schatten suchend unter ihren Wagen mit dem Rücken auf der Erde, blasen die Panpfeife oder fiedeln auf der Violine. Die Bauern lassen die kleinen gesattelten Bergpferde mit gekoppelten Vorderbeinen frei grasen und sitzen selbst in Filzmäntel gehüllt auf der Erde. Die Verkaufsbuden sind umdrängt von jungem Volk, dazwischen wandeln Damen, städtische Herren, Officiere, Mönche, kaufen ein und scherzen mit den munter umherspringenden Kindern. Besonders der Platz vor der Klosterkirche ist mit dem seltsamsten Gemische von Landleuten gefüllt. In großen Kesseln wird hier Mamaliga gekocht, ein aus Maismehl eingekochter dicker Brei, der mit einem Faden zerschnitten und wie Brot gegessen wird. In andern Kesseln brodelt eine Art Sauerkraut, das mit hölzernen Löffeln den Hungrigen zugemessen und mit der Hand zum Mund geführt wird.

Mitunter kamen Zigeuner mit Bären; diese tanzten zum Tambourin, dann wurden die Thiere gegen einander und dann wieder zusammen gegen ihre Führer gehetzt, und es begann ein toller Kampf. Bären und Zigeuner bildeten einen verworrenen Knäuel, der heulend sich auf der Erde herumbalgte; es könnte einem bange werden, wenn man nicht wüßte, daß die geplagten Thiere lieber ihre Ruhe hätten. Während nach vollendetem Schauspiel die Herren von der Veranda, die sich am Klosterhof hinzieht, Geldstücke herabwarfen, fütterte die Königin die Bären mit einem großen Honigkuchen.

Von 4 Uhr ab wird dann die Hora getanzt, der verbreitetste rumänische Nationaltanz. Schon lange vorher lagern vereinzelte Gruppen im Grase und verzehren unter Lachen und Scherzen die mitgebrachte Kost. Es erscheinen Zigeuner als Tanzmusikanten mit Violine, Panpfeife, Mandoline und Tambourin. Die Bauern beginnen den Tanz in große Kreise gereiht, allmählich gesellen sich Bauernmädchen dazu, dann Hirten, Volk, Soldaten, manchmal auch Officiere und Damen, ja selbst Hofdamen haben zuweilen keine Ruhe und treten in den Kreis ein. Das ist dann ein Wogen vor und zurück, nach rechts und nach links in geschlossener Reihe, es geht dann rascher, immer toller, ohne Pausen, tarantellaartig; kleine Mädchen aus Bojarenfamilien in Nationaltracht springen in reger Theilnahme nebenher, die modern gekleidete Städterin hüpft neben dem Bauer in weißem Hemde und Filzsandalen, der besternte Officier neben der Stubenmagd, sie scheinen Alle wie besessen und ruhen nicht eher, als bis die Sonne hinter die Berge gesunken.

Breite Schatten decken dann Wald und Flur, und über die kurz vorher so bunt belebte Scenerie breitet die Nacht ihre träumerische Ruhe.


Verdächtig.

Von E. Werner.
(Schluß.)


Es ist umsonst, Warnstedt,“ sagte eine Stimme, ein schönes klangvolles Organ. „Alles, was Sie mir da vorhalten und zu bedenken geben, habe ich mir längst selbst gesagt. Trotz alledem bin ich entschlossen, nicht länger zu zögern, alle gütlichen Mittel sind erschöpft, uns bleibt nur noch ein Gewaltstreich übrig, wenn wir überhaupt zum Ziele gelangen wollen.“

„Aber sollte denn keine andere Lösung möglich sein?“ ließ sich eine zweite Stimme vernehmen, in der die beiden Lauscher sofort die kurze, militärische Sprechweise des Fremden wieder erkannten, der im Gasthause abgestiegen war, nur klang seine Sprache jetzt sehr gemildert, fast unterwürfig. „Ich gestehe es offen, daß ich erschrak, als ich den Brief erhielt, der mich hierher rief, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_706.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2024)