Seite:Die Gartenlaube (1885) 695.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Vielmehr den Hauptverdächtigen! Es ist zweifellos jener Helfershelfer, der erwartet wird, nach dessen Ankunft man sich so angelegentlich erkundigte. Sie hören es ja – er will gleichfalls in das Pfarrhaus.“

„Aber er will erst Toilette dazu machen, und das ist doch nicht nothwendig bei einer Verschwörung. Herr Sebald, der junge Mensch ist nicht gefährlich, er schwatzt ja fortwährend, von einem zerbrochenen Wagen und einem neuen Inspektor und einer verfluchten Waldromantik – alles durch einander, so daß man nicht klug daraus wird, aber Unheil richtet der gewiß nicht an – dazu ist er viel zu dumm!“

Sebald zuckte die Achseln, wie er es stets that, wenn der Untergebene sich heraus nahm, anderer Meinung zu sein.

„Haller, ich gebe mir nun schon so lange Mühe, Sie für den höheren Dienst auszubilden, aber Sie bleiben immer noch in den Anfängen stecken, Sie haben gar kein Talent zum Kombiniren. Sehen Sie denn nicht, daß diese so geflissentlich zur Schau getragene Einfalt nur eine Maske ist, um unverdächtig zu erscheinen? Ich sage Ihnen, dieser junge Mann mit seiner allerdings meisterhaft ausgeübten Verstellungskunst ist sehr gefährlich, viel gefährlicher als jener Andere, der uns mit seinen Civilkleidern zu täuschen glaubt und doch in jedem Worte, jeder Bewegung den Soldaten verräth. Die Gefährlichste von allen aber ist diese Valeska Blum, zu der sie beide wollen und die dort im Pfarrhause einen ganzen Kongreß von Verdächtigen um sich zu versammeln scheint.“

„Aber eine Dame!“ wandte Haller ein. „Ein junges Mädchen!“

„Das sind die Schlimmsten, denken Sie an Rußland! Welche Rolle spielen die Frauen dort bei den Verschwörungen, was liegt alles in ihren Händen! doch genug davon – wir müssen jetzt auf alle Gefahr hin eine Rekognoscirung des Pfarrhauses vornehmen. Ich muß auf der Stelle Seiner Excellenz Bericht erstatten und möchte doch irgend ein greifbares Resultat melden. Wir machen einen Spaziergang nach jener Seite hinüber, Sie tragen mir das Buch und den Feldstuhl nach, vielleicht gelingt es uns, noch irgend einen Einblick zu erhalten.“

Der Plan wurde ausgeführt, fünf Minuten später schritt Herr Sebald, mit einem großen Sonnenschirm, das Fernglas an einem Lederriemen über der Schulter, so harmlos und würdevoll nach dem Seeufer, als sei es wirklich nur seine Absicht, die Landschaft zu bewundern, Haller folgte mit Buch und Feldstuhl, und Beide schienen nur nach einer passenden Stelle zu suchen, wo sie sich niederlassen konnten.

Das kleine Pfarrhaus neben der Kirche lag mit seinen grünen Läden und blanken Fenstern so freundlich und idyllisch da, als sei es ganz unfähig, etwas so Finsteres, Blutiges, wie eine Verschwörung, in seinem Innern zu bergen. Von der Frontseite war es nicht anzugreifen, weil dort die feindliche Rekognoscirung sofort bemerkt worden wäre, aber seine Rückseite lehnte sich an die Mauer des Friedhofes, den man ganz unverdächtig betreten konnte.

Das geschah denn auch, Sebald und sein Begleiter besichtigten mit großem Interesse die einzelnen Grabstätten, lasen die Inschriften und rückten dabei immer weiter gegen die Mauer vor, die gerade dort am Pfarrhause von dichtem Hollundergebüsch beschattet war. Unmittelbar über demselben befand sich ein Fenster, das offen stand und den Einblick in ein kleines, sehr einfach eingerichtetes Gemach gewährte, das aber augenblicklich als Fremdenzimmer benutzt zu werden schien, denn es stand ein sehr eleganter Handkoffer auf dem kleinen Tischchen.

Das Zimmer war leer, aber gerade jetzt hörte man, wie ein Schlüssel umgedreht und die Thür geöffnet wurde. Sebald gab seinem Untergebenen einen Wink, und beide glitten lautlos und schnell in das Hollundergebüsch, das sie vollständig verbarg, während sie sich an die Mauer lehnten. Sehen konnten sie hier allerdings nichts, aber wenn das Fenster nicht geschlossen wurde, so mußten sie hören, was man dort oben sprach.

Das Glück begünstigte sie in der That. Die Eintretenden mochten wohl einen Blick auf den Friedhof geworfen und ihn leer gefunden haben, denn das Fenster blieb offen, und die Sprechenden schienen sogar in unmittelbarer Nähe desselben ihren Platz zu nehmen, so daß jedes Wort laut und deutlich zu den Lauschenden herniederklang.

(Schluß folgt.) 


Blätter und Blüthen.

 Herbstgedanken.
 (Mit Illustration S. 685.)

Hart an der Mauer, halb im Grün verborgen,
Fand ich ein Kreuz an einem Frühlingsmorgen.
Ein längst vergess’nes Grab schien’s. Zarte Pflege
Schützt nicht die Blumen, ebnet nicht die Wege.
Die Sonne kommt allein es zu behüten,
Sie weckt am Rosenstrauch die duft’gen Blüthen,
Bis lieblich sie in holden Farben glühen,
Sie läßt noch andre Blumen darauf blühen.

Dann ist’s geschmückt, als brächten fromme Gaben
Noch sie, die einst ihr Liebstes drin begraben. –
So blumenduftig, sonnenhell geschmückt
Hab’ ich das stille Grab im Lenz erblickt.
Da ist mir’s plötzlich in den Sinn gekommen:
Wenn Herbstesstürme all die Pracht genommen,
Wenn Winterflocken eisig drüber schnei’n,
Wie traurig muß das Grab, wie einsam sein!


Der Mühlendamm in Berlin. (Mit Illustration S. 693.) Nur sehr wenige Straßen giebt es heute in Berlin, die von der Neuzeit mit ihrem Verschönerungs- und Veränderungstrieb so gänzlich unberührt geblieben sind, wie der Mühlendamm, dieser zwischen dem Kölnischen Fischmarkt und dem Molkenmarkt in verkehrsreichster Gegend belegene, aus baufälligen Gebäuden bestehende Engpaß. Hier ist ein unverfälschtes Stück der alten Stadt erhalten, und gerade an diese Straße knüpfen sich ganz besonders eigenartige Erinnerungen.

Die Erbauung des Mühlendamms reicht weit bis ins vorige Jahrhundert. Seinen Namen trägt er nach den königlichen Mühlen, die sich an die nördliche Häuserreihe nach der Wasserfeste zu anlehnen und Tag und Nacht im Betriebe sind. Denn fast die ganze Straße, unter der ein Arm der Spree hinwegfließt und die Räder der Mühlen treibt, ist auf Pfählen erbaut. Zu Anfang der vierziger Jahre zerstörte eine große Feuersbrunst diese Gebäude und den größten Theil der nördlichen Häuserreihe in den oberen Etagen, die deßhalb auch ein moderneres Gepräge haben. Die Mühlen selbst wurden – der Neuzeit angepaßt – schnell wieder aufgeführt. Bei dem Brande, der zur Nachtzeit stattfand, kamen 16 Menschen ums Leben, entweder durch Ersticken, oder indem sie sich aus den Fenstern in die Spree stürzten und ertranken oder sich an den unten befindlichen Fischkasten zerschmetterten.

Auf dem vorliegenden Bilde nun ist das Leben und Treiben auf dem heutigen Mühlendamm veranschaulicht. Der ungeheure Verkehr wogt auf und ab von früh bis spät in die Nacht hinein und geräth nicht selten, trotz der Ordnung schaffenden Schutzmannschaft, ins Stocken.

Es ist Mittagszeit. Von der nahen Nikolaikirche hat die Stunde geschlagen. Die Kinder entströmen den Schulen und tummeln und balgen sich inmitten des Durcheinander von Omnibussen, Droschken, Lastwagen, Handkarren und Gefährten aller Art, dem die Passanten nur mit Mühe auszuweichen vermögen. Dazwischen Rufen und Schreien der Kutscher. Eilende Menschen, Lärm überall! Für die Fußgänger bieten die langen arkadenartigen Gänge unterhalb beider Häuserreihen einen sicheren Weg. Das nahe Polizeipräsidium, die Stadtvogtei und Kriminalpolizei bringen oft düstere, aber auch heitere Abwechselung in dieses Getriebe. Es passiren nur zu häufig Arrestanten oder Sistirte, unter Schutzmanns-Eskorte, begleitet von dem lärmenden Berliner Janhagel und der immer bereiten Straßenjugend.

Die elegante Welt meidet den Mühlendamm; dieser dient hauptsächlich dem geschäftlichen Verkehr, da die Straße im Herzen der Stadt liegt und die verkehrsreichsten Stadttheile verbindet.

Die eigentliche Besonderheit, die der Mühlendamm aus frühester Zeit in die Gegenwart mit herübergenommen hat, äußert sich in den zahlreichen, meist verräucherten Läden und Verkaufsgeschäften unter den Arkaden zu beiden Seiten der Straße. Da sind Trödler, Pfandleiher, Glaswaaren- und Bilderhandlungen mit Darstellungen historischer Ereignisse in seltsam primitivem Kolorit und sonstiger Ausführung, Kuchenbäcker und Destillationen, Bierläden, Schnittwaarenhändler und Schuhmacher, alles bunt durcheinander. Hier sind meist Gegenstände zum Verkauf ausgestellt, die eher an Jahrmärkte kleiner Städte, als an die Großstadt erinnern.

Der Haupt-Handelsartikel des Mühlendamms jedoch sind alte, getragene Kleidungsstücke. Dies Geschäft wird in großem Maßstabe betrieben, und die ganze eine Seite der Straße besteht ausschließlich aus Kleiderläden. Es hängen da Civil- und Uniformstücke jeder Gattung zur Schau, und manche goldgestickte Officier-Uniform, die bei Paraden und im Salon den Träger geziert hat, wandert hierher und von dort in die Theatergarderoben.

Die jüdischen Händler oder deren „Junge Leute“, im Volksmunde von altersher „Mühlendammer Jünglinge“ genannt, stehen Winter und Sommer meist in den Thüren ihrer Geschäfte und laden die Vorübergehenden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_695.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2024)