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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

tragen, wird er Ihnen zum Beispiel gleich abgewöhnen, dergleichen ist nicht Mode bei uns. Er wird überhaupt Einwendungen machen, weil ich Sie so ohne alle Zeugnisse und Empfehlungen nehme, aber Sie gefallen mir und das ist die Hauptsache. – Da stehen wir schon wieder vor einem Stück Ihrer verwünschten Romantik! Sollen wir etwa da hinunter?“

Die letzten Worte galten dem Wege, der sich plötzlich steil in eine äußerst malerische Schlucht hinabsenkte. Herr von Below, der kein Bergsteiger war, blieb bedenklich stehen, aber sein Begleiter ermuthigte ihn.

„Es ist die letzte Schwierigkeit, die Sie zu überwinden haben, dort unten treffen wir auf die Fahrstraße. Stützen Sie sich auf meine Schulter, so, auf diese Weise wird es gehen.“

„Ja, so geht es!“ sagte der Majoratsherr sehr befriedigt, da der neue Inspektor sich als ein äußerst brauchbarer und gefälliger Mensch erwies, „Sie scheinen ja sehr vertraut mit den Bergen zu sein und stammen vielleicht auch aus dieser Gegend. Wo sind Sie denn eigentlich geboren?“

„Auf der Rosenburg, in der Nähe der Residenz.“

„Ah, das herzogliche Lustschloß! Da sind Sie vermuthlich der Sohn des Kastellans oder etwas dergleichen.“

Der Gefragte machte eine leichte Bewegung mit dem Haupte, die eben so wohl eine Bejahung als eine Verneinung sein konnte, Herr von Below nahm sie für das erstere und klopfte seinen Begleiter freundlich auf die Schulter.

„Das ist mir lieb, ich lege Werth darauf, wenn meine Leute aus anständiger Familie sind, ich habe Ihnen das gleich angesehen.“

„Sie können außer Sorge sein, meine Familie ist durchaus anständig,“ versetzte der junge Fremde lächelnd. „Aber da ist endlich die Fahrstraße! Sie können jetzt den Weg nicht mehr verfehlen, dort liegt Seefeld, das Sie in einer halben Stunde erreichen, die Straße führt geradewegs hinein. Ich werde auf dem Waldpfade bleiben.“

„Gehen Sie lieber die Fahrstraße,“ sagte der Majoratsherr, dem es langweilig war, den Rest des Weges allein zurückzulegen, und der Lust zu noch fernerem Schwatzen verspürte. „Sie wollen ja auch nach Seefeld und dabei können Sie mir auch meinen Plaid tragen, er wird mir in der Sonnengluth beschwerlich werden.“

Damit nahm er seinen Plaid von der Schulter und wollte ihn ohne Weiteres dem neuen Inspektor einhändigen, da trat dieser plötzlich einen Schritt zurück und sich zu seiner vollen Höhe aufrichtend, maß er den jungen Freiherrn mit einem ganz seltsamen Blick.

„Ich bedaure, Herr von Below, ich habe Eile und ziehe den kürzeren Weg vor. Auf Wiedersehen in Seefeld!“

Er lüftete leicht den Hut und mit einer Handbewegung, die zwar freundlich, aber so unendlich vornehm war, als entlasse er den Majoratsherrn von Waltersberg, schritt er in den Wald zurück und verschwand zwischen den Bäumen.

Kuno von Below stand mitten auf der sonnigen Fahrstraße, mit seinem Plaid in der Hand und einem höchst verblüfften Gesicht. Es dauerte einige Minuten, ehe er die Sache überhaupt begriff, dann aber schüttelte er den Kopf und sagte halblaut:

„Ich wollte, ich hätte ihn nicht als Inspektor engagirt – dem Menschen fehlt der Respekt!“

Damit trat er unter fortgesetztem Kopfschütteln den Weg an und langte denn auch nach manchem vergossenen Schweißtropfen glücklich in Seefeld an.

Sebald und sein Untergebener befanden sich noch immer in dem Gärtchen, das den Vorzug hatte, nach allen Seiten hin einen freien Ueberblick zu bieten. Sie hatten sich dort das Mittagsmahl auftragen lassen, um in unverdächtiger Weise ihren Wachposten behaupten zu können, denn die Verdachtsgründe mehrten sich zusehends. Der Fremde, der eine Stunde nach den Damen eingetroffen war, hatte sich gleichfalls in das Pfarrhaus begeben und war noch nicht wieder zum Vorschein gekommen, da man aber dort füglich nicht eindringen konnte, so blieb vorläufig nichts übrig, als „mit aller Energie zu observiren“.

Gerade in dies Observiren hinein gerieth nun Kuno von Below, der erhitzt, ermattet und sehr übellaunig vor dem Wirthshause anlangte und sofort ein neues Beobachtungsobjekt für die beiden Beamten wurde. Diesmal übernahm es Sebald selbst, den neuen Ankömmling auszuforschen, er stieß wie zufällig in der Gartenthür mit ihm zusammen und entschuldigte sich dann mit aller nur möglichen Höflichkeit. Er bedaure unendlich, den fremden Herrn gestoßen zu haben, es sei durchaus nicht seine Absicht gewesen, er bitte tausend Mal um Verzeihung.

Herr von Below, dem nach der Respektlosigkeit, die er soeben erfahren hatte, diese Höflichkeit sehr wohlthat, nahm die Entschuldigung an, und das war der Eingang zu einem Gespräche, das mit einer Bemerkung über die Schönheit des Sees und seiner Umgebungen begann, dann allmählich auf die Fragen nach dem Woher und Wohin überging und im Ganzen nur ein vorsichtiges Ausforschen war.

Die Vorsicht war bei dem jungen Manne nun gerade nicht nöthig, denn dieser erzählte sofort, auf die erste Frage hin, seine ganze Leidensgeschichte, mit allen möglichen Details, schalt auf den Kutscher, der versprochen hatte, mit den Pferden und dem Koffer sofort nach Seefeld aufzubrechen, und noch immer nicht da war, und erkundigte sich endlich, ob nicht zwei Damen, in einem offenen Landauer, mit verschiedenem Reisegepäck hier vorgefahren und abgestiegen seien.

Sebald horchte auf. Auch dieser Mensch war verdächtig, auch er suchte Jemand in diesem abgelegenen Orte, aber der Beamte war zu gut geschult, um seinen Triumph über diese neue Entdeckung auch nur mit einem Worte zu verrathen, er gab im Gegentheil mit größter Artigkeit die gewünschte Auskunft.

„Zwei Damen? Eine ältere und eine jüngere – ganz recht! Sie sind vor einer Stunde hier vorübergefahren, aber ich sah sie drüben am Pfarrhause aussteigen, wo sie sich jedenfalls noch befinden. Vermuthlich eine Reisebekanntschaft, die Sie dort aufsuchen wollen?“

„Natürlich werde ich sie aufsuchen!“ rief Herr von Below. „Ich muß nur erst Toilette machen – mein Gott, jetzt fällt es mir erst ein, daß ich meinen Koffer nicht bei mir habe! Ich kann mich nicht umkleiden und in dem Aufzuge kann ich mich doch unmöglich präsentiren!“

Die Waldromantik hatte in der That dem eleganten Touristenanzug arg mitgespielt. Die hellen Beinkleider trugen die mißfarbenen Spuren des feuchten und stellenweise sumpfigen Waldbodens, mit dem der Majoratsherr beim Stolpern einige Male in Berührung gekommen war; die Gebüsche und Dorngesträuche, durch die er gekrochen, hatten seinen Rock auch nicht geschont, und an dem rechten Aermel klaffte ein großes Loch, das ihm ein tückischer Ast gerissen hatte. Er sah erst jetzt die ganze Größe des Unheils und blickte entsetzt darauf nieder.

„Mein Koffer! Wo ist mein Koffer?“ wiederholte er verzweiflungsvoll. „Der verwünschte Kutscher wird nicht darauf geachtet haben, er kann verloren, gestohlen sein, und ich stehe hier mit verdorbenen Beinkleidern und einem Loch im Aermel! Wo ist der Wirth? Ich will einen Boten hinaufschicken, ich muß meinen Koffer haben!“

Sebald versuchte, ihn zu beruhigen und ihm klar zu machen, daß der Kutscher, der für den zerbrochenen Wagen erst Hilfe herbeiholen müsse, sich dabei verspätet haben könne, aber Herr von Below hörte nicht darauf. Die Vorstellung, daß seine Reisegarderobe verloren sei und er keine Toilette machen könne, brachte ihn ganz außer sich. Er rief nach dem Wirthe und verlangte schleunigst einen Boten und ein Zimmer, um seinen Anzug wenigstens einigermaßen zu ordnen.

Glücklicher Weise war beides zu haben; der Wirth, hocherfreut über diesen ungewöhnlich lebhaften Zuspruch, lief eiligst die Treppe hinauf, um das letzte seiner Gastzimmer in Stand zu setzen, der Majoratsherr lief ihm ebenso eilig nach, ohne sich von Sebald zurückhalten zu lassen, der das Gespräch fortzusetzen versuchte; das vernichtende Bewußtsein, mit einem Loch im Aermel dazustehen, ließ ihn vorläufig die Menschennähe fliehen, aber man hörte es noch, wie er anfing, dem Wirthe genau dieselbe Geschichte des Unfalls, mit einigen Variationen zu erzählen.

Sebald kehrte inzwischen in den Garten zurück, wo sein Untergebener anscheinend mit dem Abräumen des Tisches beschäftigt war, und sagte leise, aber triumphirend:

„Haller – jetzt habe ich ihn!“

„Schon wieder einen Verdächtigen?“ fragte Haller, der sich in bescheidener Entfernung gehalten, aber doch die ganze Verhandlung mit angehört hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_694.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)