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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

einmal an die Herrschaft und einmal an den Propst oder Abt der Benediktiner. So wurde aus dem Zehnten ein Fünftel. Da aber die geistliche und weltliche Herrschaft sehr stark und der Bauer sehr schwach war, und doppelt schwach, weil er ein Fremdling in diesem Lande, und da es auch noch keine Regierung in Pest gab und keine Gerichte, bei welchen Recht zu haben war auch für den Bauer, und überhaupt für den Schwachen, so wuchsen unsere Lasten mit jeglichem Tage; und wenn wir der Herrschaft freiwillig etwas zu Gefallen thaten, so dauerte es gar nicht lange, dann wurde ein Recht daraus, und man zwang uns die Leistungen ab, die wir ursprünglich aus gutem Willen verrichtet; und so wurden unsere Rechte immer einer und unsere Lasten immer größer. Von dem Wein mußten wir bis zur Grundentlastung der Herrschaft gar den fünften Theil liefern, und zwar das beste Faß unserer Fechsung.

Bei der Zehnterhebung hatten die Zehntherren allein alle Macht und Gewalt, und nachdem aus dem Zehntel ein Fünftel geworden, wurde zuweilen aus dem Fünftel die Hälfte, die man uns abnahm. Daneben mußten die Bauern der Herrschaft an 52 Tagen alljährlich – oder an einem Tag in der Woche – Robot oder Frohnden verrichten. Wenn es dem Herrn Grafen zu jagen beliebte, dann mußten wir treiben, oft auch im härtesten Winter, so daß wir uns Nasen und Ohren verfroren. Aber die Herrschaft schützte uns nicht vor dem übermäßigen Wildstand. Zuweilen kamen die Wölfe aus dem Lande der Kroaten über die Drau herüber und fraßen uns nicht nur die Schafe, sondern zuweilen auch den Hirten. Für die hochgräfliche Herrschaft mußten die Bauern zu aller Zeit zur Verfügung stehen. Sie mußten z. B. Botengänge thun, weit über Land und oft mehrere Tage; und dabei mußten sie noch aus eigener Schnur zehren.

Das Schlimmste aber waren die unbarmherzigen Prügel. Wer bei der Treibjagd geklappert hatte, wo er stille sein sollte, bekam Prügel. Wer stille war, wo er hätte klappern sollen, bekam Prügel. Die Prügelbank wurde nicht leer, und Mancher wurde zum Krüppel geschlagen. Denn der alte Herr Graf war ein grausamer Herr. Gott hab’ ihn selig in der Ewigkeit! Vielleicht wußt’ er’s nicht besser und glaubte, die Bauern fühlten keine Schmerzen. Seitdem wir aber in Buda-Pest ein eigenes ungarisches Regiment haben, sind die Grafen nicht mehr allmächtig im Lande. Die Grundentlastung hat viel gekostet und kostet noch immer. Auch hat die Herrschaft noch allerlei Regalien und Propinationen. Aber den Robot und die Prügel und die anderen Lasten sind wir los und ledig geworden. Unser Boden ist frei, und wir Bauern sind Menschen und Bürger wie die Anderen. Und deßhalb sind wir gute Ungarn geworden, und obgleich wir unser Deutsch lieben und ehren und festhalten wollen bis an unser seliges Ende, so haben wir Alle auch Ungarisch gelernt und sagen: Gott segne Kossuth Lajos (Ludwig Kossuth), der die Bauern befreit hat.“ So sprach der alte Bauer. Ich füge hinzu:

In der Schule wird Deutsch gelehrt und auch Ungarisch. Beide Sprachen werden hier als gleichberechtigt behandelt. Ungarisch aber ist die Sprache der Gerichte und der Behörden.

In den hiesigen katholischen Kirchen wird abwechselnd den einen Sonntag Deutsch gepredigt und den anderen Magyarisch. Ein jovialer Pfarrer aber meinte: Der Geschmack der Bauern ist: „Kurze Predigten und lange Bratwürste“. Hier sind die Pfarrer nicht kopfhängerisch, sondern lustig, was ihrer Frömmigkeit gar nicht schadet. Im Gegentheil, sie haben bei ihren Gemeinden viel Ansehen und Einfluß; und das ist doch die Grundlage für eine gesegnete Wirksamkeit. In Ungarn sitzt die hohe Geistlichkeit als solche im Oberhaus, wie in England, und die neue Parlamentsreform wird hieran nichts ändern, sondern nur den bloßen Titularbischöfen die Standschaft entziehen. In dem Oberhaus des Reichstags zu Budapest stehen rechts von dem Präsidium drei mächtige rothsammtene Sessel. Darauf sitzen die drei ungarischen „Eminenzen“, das ist Kardinäle. Einer derselben, der Erzbischof Haynald von Kalosza, ist zugleich eine Zierde der Wissenschaft. Dahinter sitzen die übrigen Bischöfe. Alle diese Prälaten schicken zwar ihren Peters-Pfennig nach Rom, sind aber streng nationalgesinnte Ungarn und getreue Unterthanen der Krone des heiligen Stephan.

Doch man entschuldige diesen Abstecher. Kehren wir zurück zu unseren deutschen Bauern in der Umgegend von Harságy.

Treten wir ein in das Haus eines Bauern in Klein-Harságy. Er gehört zu den mittleren Besitzern. Das Haus ist so, wie ich es oben beschrieben. Ein jedes hat an der südlichen langen Wand eine Vorhalle oder Veranda. Sie wird von einer Säulenreihe getragen. Die Säulen sind blendend weiß angestrichen und man glaubt anfangs einen marmornen Portikus zu erblicken. Am meisten in die Augen sticht uns die Küche. Ein Backofen und ein Herd, beide von glänzend weißen Kacheln, sowie blank gescheuertes Haus- und Küchengeräth machen einen außerordentlich behäbigen Eindruck. Auf dem Herde prasselt ein lustiges Feuer. Auch riecht es etwas nach Papprika, nach jenem schönen rothen ungarischen Pfeffer – einer gesunden und kräftigen Würze der Speisen. Zugeben muß man, dieser Papprika macht Durst. Allein was schadet das in einem Lande, wo überall in reichlichstem Maße ein guter und billiger Wein wächst und daneben noch eine Unzahl von Quellen eines erfrischenden Mineralwassers fließen? Siehe, da kommen der alte Gerstner und der alte Kaiser – zwei rüstige Greise, die Beide im Altentheil sitzen. Aber zum bäuerlichen Altentheil gehört hier auch Wein, aus kräftigen rothen oder weißen Kadarka-Trauben bereitet. Die beiden alten bäuerlichen Herren erinnerten sich, nachdem des Tages Hitze vorüber, an die schönen Verse von Schartenmaier (Fr. Vischer):

Doch dem Guten ist’s zu gonnen,
Wenn am Abend sinkt die Sonnen,
Daß er in sich geht und denkt,
Wo man einen Guten schenkt.“


So sind sie selband in ihren Weinberg und den darin befindlichen Keller gegangen, eingedenk des weisheitsvollen Spruches: „Was den Kindern die Milch, das ist der Wein für die Greise.“ So kommen sie nun soeben wieder Arm in Arm nach Hause gehumpelt. Du meinst, sie seien angetrunken? Gott bewahre! Diese würdigen Männer verstehen mit dem Rebenblut richtig umzuspringen. Sie sind vergnügt. Das ist Alles. Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt. Hony soit qui mal y pense! Inzwischen haben zu Hause der junge Bauer und die Bäuerin, auf welche das Gut oder die „Session“ übergegangen, zum Rechten gesehen, des Hauses und Hofes, des Rindviehs und der Schafe gewaltet. Sie führen uns in die Wohn- und in die Aushaltsstube, wo Alles reinlich und reichlich vorhanden und uns namentlich die hohen Betten und das gute Bettzeug imponiren. Im Hofe ist ein langes niedriges Gebäude, dem ehemaligen Eisbocke in der Potsdamer Straße in Berlin zu vergleichen. Unter dessen Dach geht der Kellerhals abwärts, und wenn wir da in den Keller hinunter steigen, dann finden wir bei diesen Bauern auch Wein, und nicht etwa bloß Kartoffeln. Das Merkwürdigste aber ist der Keller selber. Er ist lang, schmal und mannshoch, und zwar ganz in den schweren lehmigen Boden geschnitten, der oben an der Wölbung und an den beiden Seitenwänden und unten so fest steht, wie eine Mauer, ohne daß es eines Stückes Holzes bedurfte, um ihn zu versprießen, oder der Ziegelsteine, um ihn zu wölben. Er ist allein mit dem Grabscheit gebaut, wie das Haus mit der Stampfe. Der Lehm an beiden wird jeden Tag fester und härter. Er ist gleichsam versteinert.

So hat die gütige Mutter Natur dem reichen, aber steinarmen Lande einen Ersatz für die fehlenden Steine gegeben. Hier bedarf es zum Baue nicht der Kelle des Maurers und nicht des Beiles des Zimmerers. Hier wird das Haus nicht gerichtet, und kein Maurer- und kein Zimmermannsspruch bei demselben gehalten. Lehm ausgraben und stampfen das ist Alles. In acht Tagen ist das Haus fertig und in weiteren acht Tagen der Keller. Das ganze Holzwerk an dem Haus besteht aus der in langen Balken gezogenen und mit Querbalken bedeckten Decke. Solche Decken unterscheiden sich von den unsrigen dadurch, daß sie niemals einstürzen. Auch der Fußboden besteht nicht aus Parkett noch aus sonstigem Holze. Auch er ist nur gestampfter Lehm, und je mehr man ihn betritt, desto fester, ebener und glatter wird er. Man geht gut darauf, am besten barfuß. Außen aber ist das Haus glänzend weiß angestrichen. Die grünen Akazien, das weiße Haus und die rothen Blumen am Fenster bilden zusammen die Farben des ungarischen Landes, des Magyar-Ország.

Auf dem Rückwege von Groß-Harságy nach unserem Kastell nahmen wir den Weg über den Berg, um die Aussicht zu genießen. Links von unserem Wege, auf dem südwestlichen Abhange des Berges, erstreckten sich Weinberge bergabwärts bis nach der Thalmulde. Die Weinstöcke waren gezeilt und gesezt so wie in Deutschland, nur etwas dichter als in unseren deutschen Weinbergen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_691.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)