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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Prinzen des regierenden Hauses in ihre Netze zu ziehen, und als ihr dies nicht gelingt, taucht sie urplötzlich hier in Seefeld auf, gerade hier, wo das Attentat gegen das Regentenhaus gesponnen wird. Ich ahne da einen geheimnißvollen Zusammenhang – die Sache kann sich furchtbar enthüllen.“

„Gott steh’ uns bei! Sie glauben doch nicht, daß sie selbst die Attentäterin ist?“ rief Haller entsetzt.

„Ich glaube nichts, ich kombinire nur. Man hat Beispiele in der neueren Geschichte – haarsträubende Beispiele! Blicken Sie nur nach Rußland hinüber! Jedenfalls werde ich mit aller Energie observiren.“

Und damit trat Herr Sebald gleichfalls an den Gartenzaun und begann das Pfarrhaus zu beobachten, als habe er die Gabe, durch geschlossene Thüren und Fenster hindurch zu sehen.

Er konnte sich jedoch nicht lange dieser Beschäftigung hingeben, denn jetzt kam ein zweiter Wagen von der anderen Seite her, wo die Straße am See entlang führte, ein leichtes offenes Gefährt, in dem sich nur ein einzelner Herr befand. Der Wagen hielt vor dem Gasthause und der Reisende stieg aus; es war ein noch ziemlich junger Mann, der trotz seiner Civilkleidung in Haltung und Aussehen den Soldaten nicht verleugnen konnte, aber entschieden den vornehmeren Ständen angehörte. Er streifte mit einem raschen, scharfen Blicke die beiden Fremden, kehrte ihnen dann aber gleichgültig den Rücken und verlangte in kurzer, befehlender Art ein Zimmer von dem herantretenden Wirth, dem er gleich darauf in das obere Stockwerk folgte, wo die Gastzimmer lagen.

Kaum war er verschwunden, so richtete sich Sebald, der beim Herannahen des Wagens seinen Platz unter dem Apfelbaume wieder eingenommen hatte, empor und sagte halblaut, aber mit Nachdruck: „Haller – der Mensch ist verdächtig.“

„Ja, Herr Sebald, aber vornehm. Das ist kein Pferdehändler, und der reist auch nicht für Kognak und Spiritus.“

„Um so schlimmer – um so besser, wollte ich sagen, denn die Sache fängt jetzt endlich an, sich zu entwickeln. Gehen Sie auf Ihren Posten und bringen Sie mir so bald als möglich Nachricht.“

Der Untergebene gehorchte, er hatte regelmäßig bei der Ankunft von Fremden den Wirth auszufragen, was ihm auch bei der Redseligkeit desselben ohne große Mühe gelang. Als angeblicher Diener durfte er eher Neugier zeigen, als sein Chef, bei dem jede Erkundigung aufgefallen wäre. Auch jetzt entledigte er sich seines Auftrages zur Zufriedenheit und kehrte nach kaum zehn Minuten mit dem Rapport zurück.

„Nun?“ fragte Sebald gespannt. „Was ist mit dem Fremden? Woher kommt er? Wohin geht er? Was will er hier? Berichten Sie!“

„Er hat sich vorläufig ein Zimmer geben lassen.“

„Das ist unverdächtig – nun weiter.“

„Dann hat er nach einem andern Herrn gefragt, mit dem er hier zusammentreffen will und den er hier zu finden glaubte.“

„Das ist sehr verdächtig! Jedenfalls ein Helfershelfer! Und dann?“

„Zuletzt hat er sich nach dem Pfarrhause erkundigt und die Absicht ausgesprochen, dem Herrn Pfarrer einen Besuch zu machen.“

Sebald fuhr vom Stuhle auf mit triumphirender Miene.

„Haller – ich glaube, wir haben ihn!“

„Den Attentäter?“

„Wenigstens einen von der Bande, denn hier handelt es sich zweifellos um eine ganze Verbrecherbande. Es kann unmöglich Zufall sein, daß ein einfacher Dorfpfarrer in ein und derselben Stunde zwei so räthselhafte Besuche empfängt. Vielleicht ist er ein blindes Werkzeug der Verschwörer, dem man die Augen öffnen muß, vielleicht auch nicht, jedenfalls findet im Pfarrhause eine verdächtige Zusammenkunft statt. Haller – ich sage Ihnen, wir werden einen großen Fang thun!“

„Ja, und dann nehmen wir sie allesammt beim Kragen!“ ergänzte Haller mit großer Befriedigung, indem er seinem voranschreitenden Chef in das Haus folgte. – Es war inzwischen Mittag geworden, auf der Fluth des Sees flimmerte es wie von tausend leuchtenden Funken, und heiße Sonnengluth lag auf den Bergen ringsum, sogar in den Wäldern, welche die Höhenzüge bedeckten, machte sich die Schwüle der Mittagsstunde geltend.

Unter dem schattigen Laubdache schritten zwei Wanderer dahin, sie verfolgten einen schmalen Waldpfad, der in ziemlich steiler Windung bergabwärts führte und nur bisweilen, wenn die Bäume sich lichteten, einen Blick auf den See gewährte, der noch in ziemlicher Tiefe lag.

Die beiden jungen Männer mochten in dem gleichen Alter stehen, am Ende der Zwanzig. Der Eine, eine kräftige Gestalt, mit einem hübschen, unendlich gutmüthigen, aber ziemlich einfältigen Gesicht, trug einen eleganten Touristenanzug, schien aber sehr erhitzt und ermüdet zu sein. Er trocknete sich wiederholt mit dem Taschentuche die Stirn und sagte ärgerlich: „Dieser verwünschte Wald! Eine volle Stunde bin ich darin umher geirrt, ohne Weg und Steg zu finden, Gott sei Dank, daß ich wenigstens einen Menschen fand, der sich meiner annimmt und mich zurechtweist. Der Kukuk hole diese grüne Wildniß, die noch immer kein Ende nehmen will!“

Der Gefährte lächelte. Es war eine hochgewachsene Erscheinung, mit blondem Haar und Bart und einem Antlitz, das freilich nicht so hübsch wie das seines Begleiters, aber dafür um so anziehender war. Trotz seiner Jugend zeigte es feste, männlich ernste Züge, und Haltung und Sprache machten den gleichen Eindruck.

„Die grüne Wildniß ist trotzdem sehr romantisch,“ erwiderte er, mit einem Blick auf den sonnendurchleuchteten Wald, der in träumender Mittagsstille ruhte.

„Ja, aber man verläuft sich in dieser Romantik, man arbeitet sich durch die Gebüsche, stolpert über Baumwurzeln und kommt dabei immer weiter ab vom Ziele. Nennen Sie das etwa ein Vergnügen? Hätte ich nur die Fahrstraße verfolgt, dann wäre ich jetzt längst in Seefeld, aber ich scheute die Sonnengluth, und der Kutscher behauptete, daß der Waldweg viel näher und angenehmer sei. Er hat natürlich geschlafen, was ich allerdings auch that, und da passirte dann das Unglück. Wir lagen plötzlich im Graben sammt dem Wagen, der ein Rad gebrochen hatte, während wir mit dem bloßen Schrecken davon kamen.“

„Es war jedenfalls eine Nachlässigkeit des Kutschers. Waren Sie allein mit ihm?“

„Ja, ich habe meinen Diener bei diesem Ausfluge nicht mitgenommen. Dabei fällt mir ein, daß ich mich Ihnen noch nicht genannt habe: Freiherr Kuno von Below, Majoratsherr auf Waltersberg.“

Er gab diese Erklärung mit einer gewissen Feierlichkeit und schien befremdet, daß sie so wenig Ehrfurcht erweckte. Der Fremde nahm in der That nicht viel Notiz davon, er neigte nur leicht das Haupt und sagte artig, aber sehr ruhig: „Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr von Below. Jedenfalls war es ein Glück, daß der Unfall droben auf der Höhe stattfand, wo die Straße eben hinläuft, bei der Hinabfahrt hätte er verhängnißvoll werden können.“

„Wenn die Geschichte nur nicht gerade heute passirt wäre!“ seufzte der Majoratsherr. „Ein Sturz in den Graben – ein zerbrochener Wagen – Verirren im Walde – das sind Alles schlimme Vorbedeutungen, und die kann ich gerade jetzt nicht brauchen. Ich bin nämlich auf der Brautfahrt!“

„Ah so! Ich gratulire!“

„Ich danke! Das heißt, eigentlich kann ich den Glückwunsch noch nicht annehmen, denn die Sache ist noch keineswegs in Ordnung.“

„Wieso? Stellen sich der Verbindung Hindernisse entgegen?“

„Ja, das größte Hinderniß ist die Braut selbst – sie will mich nämlich nicht.“

Um die Lippen des Reisegefährten zuckte es bei diesem naiven Geständniß wie mühsam unterdrücktes Lachen, aber er bezwang sich und entgegnete ernsthaft:

„Das ist aber unglaublich!“

„Nicht wahr?“ fragte Herr von Below treuherzig. „Und ich lege ihr doch Alles zu Füßen, was ein Mädchenherz nur wünschen kann. Waltersberg ist eine der schönsten Besitzungen, mit Schloß und Park und Waldungen, ich würde meiner Frau keinen Wunsch versagen, ich würde sogar die Wintermonate mit ihr in der Residenz zubringen, wenn sie sich von ihren gewohnten Umgebungen nicht trennen will.“

„Dann lebt Ihre Auserwählte also in der Residenz? Vermuthlich eine Dame des Hofes?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_675.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)