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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

und Anfendungen zu bewahren, das, dächte ich, hättest Du im letzten Winter erfahren, als Prinz Leopold Dich in so entschiedener Weise auszeichnete.“

„Tante, ich bitte Dich!“ unterbrach das junge Mädchen sie mit glühenden Wangen.

„Ja, ich weiß, Du willst nichts mehr davon hören, die Sache ist ja längst zu Ende, ich erwähne sie auch nur, um Dich daran zu erinnern, wie schutzlos, wie gefährdet Deine Stellung nach allen Seiten hin ist, trotz des unangetasteten Rufes, den Du Dir bewahrt hast. Die Welt glaubt es selten, daß eine junge Schauspielerin zu stolz ist, um die Liebe eines Fürsten anzunehmen, der ihr seine Hand nicht bieten kann. Auch Seine Durchlaucht der Herzog schien ernstliche Besorgnisse zu hegen, er schickte seinen Bruder Hals über Kopf auf Reisen und Du warst eine Zeit lang in völliger Ungnade bei den höchsten Herrschaften.“

„Was Dir jedenfalls schmerzlicher gewesen ist, als mir,“ warf Valeska mit leisem Spotte ein.

„Ja, Du nahmst die Sache unglaublich leicht und die Ungnade war doch augenfällig. Wärst Du nicht so unersetzlich beim Schauspiel gewesen, ich glaube, es hätte Dir Deine Stellung am Hoftheater gekostet. Erst als man sah, daß Du in Deiner Zurückhaltung beharrtest, und daß der Prinz keinen Versuch zu einer Wiederannäherung machte, wurdest Du theilweise wieder zu Gnaden angenommen, aber mit der einstigen Vorliebe des Hofes für Dich ist es vorbei.“

„Das habe ich erfahren,“ sagte Valeska mit aufwallender Bitterkeit. „Früher wurde ich überall geschätzt und bevorzugt, jetzt läßt man jeder Kränkung, jeder Intrigue gegen mich freien Spielraum, und bisweilen ist es mir vorgekommen, als wünsche man meine freiwillige Entfernung. Nun, vielleicht ist dieser Wunsch seiner Erfüllung näher, als man glaubt.“

„Willst Du etwa Deinen Kontrakt lösen?“ fragte die alte Dame. „Das wäre eine Uebereilung, die Bedingungen sind glänzend, das Publikum vergöttert Dich und wohin Du auch gehen magst, Du findest überall neue Intriguen und neue Kämpfe. Kind, Du verzehrst Dich so in einem solchen Leben, ich weiß, wie sehr Du darunter leidest, und es kostet Dir doch nur ein Wort, Dich von dem allen frei zu machen. Wie glücklich würde Herr von Below sein, wenn er Dich der Bühne entführen dürfte!“

Sie war glücklich wieder bei dem alten Thema angelangt, aber diesmal zuckte Valeska nur ungeduldig die Achseln, und sich abwendend blickte sie in die Landschaft hinaus. Der Wagen rollte jetzt in schnellem Trabe bergabwärts, in der Tiefe schimmerte die klare Fluth des Bergsees, die kleine Ortschaft schmiegte sich malerisch an die grünen Vorberge des Ufers, und in dem hellen Sonnenschein leuchteten die weißen Mauern eines Kirchleins, das auf einer Anhöhe über denn Dorfe lag und soeben seine helle Glockenstimme erhob, um sie weit hinauszuschicken in die stille Bergeseinsamkeit. Wie grüßend stiegen die Klänge empor zu dem jungen Mädchen, dessen Augen auf jenen weißen Mauern hafteten, und das weit vorgebeugt den Tönen lauschte, und dabei strahlten die schönen dunklen Augen plötzlich auf, als sei es wirklich ein Gruß aus theurem Munde, der dort emporklang.

Die alte Verwandte gab, als sie keine Antwort erhielt, mit einem Seufzer das Thema auf, das so gar keinen Anklang fand, und wandte ihre Aufmerksamkeit gleichfalls denn Thale zu.

„Das ist also Seefeld!“ begann sie von Neuem. „Wie kommst Du nur auf diesen weltentlegeneu Ort? Das kleine Gasthaus da unten sieht mehr als bescheiden aus, es wird uns kaum eine passende Unterkunft für die Nacht gewähren können.“

„Das ist auch nicht nöthig, denn wir werden im Pfarrhause absteigen.“

„Bei dem Pfarrer von Seefeld? Mein Gott, woher kennst Du ihn denn?“

„Durch Zufall, und ich denke jetzt von seiner freundlichen Einladung Gebrauch zu machen, wenn auch nur für einige Stunden.“

Die alte Dame richtete sich empor und maß ihre Nichte mit einem argwöhnischen Blick.

„Valeska, Du verbirgst mir etwas! Ich habe Dich stets begleitet und müßte von dieser Bekanntschaft wissen. Was soll überhaupt dieser ganze geheimnißvolle Ausflug bedeuten? Wir sitzen ruhig in der Sommerfrische und richten uns auf wochenlangen Aufenthalt ein, da auf einmal beschließest Du die Abreise, die in aller Stille und Heimlichkeit vor sich geht. Niemand soll davon wissen, Niemannd unfer Reiseziel erfahren, Du bist ganz außer Dir darüber, daß Herr von Below es kennt, und jetzt hast Du hier, in diesem kleinen Bergdörfchen, Beziehungen, von denen ich nie etwas gehört habe. Dahinter steckt irgend etwas und mir verbirgst Du es, mir, die Mutterstelle bei Dir vertritt, die Dich liebt wie ein eigenes Kind! Womit habe ich das verdient?“

Sie schien sich die Sache in der That zu Herzen zu nehmen, denn es glänzten Thränen in ihren Augen, aber Valeska lächelte nur und legte beschwichtigend die Hand auf ihren Arm.

„Meine liebe Tante, ich weiß es, Du bist herzensgut und hast überhaupt nur einen einzigen Fehler – Du kannst nicht schweigen! Das hat sich wieder gezeigt, als Below Dich mit Fragen und Bitten bestürmte. Also mußt Du wenigstens mir gestatten, zu schweigen. Du wirst ja schließlich erfahren, um was es sich handelt. Laß Dich immerhin überraschen.“

Sie hatten jetzt das Thal erreicht, und der Wagen rollte durch die Dorfstraße. Die Damen bemerkten beim raschen Vorbeifahren kaum die beiden Fremden im Garten des Wirthshauses, und diese, die wohlweislich das Fernglas bei Seite gelegt hatten, schienen auch ihrerseits den Wagen nicht zu beachten, kaum aber war er vorüber, so blickten sie sich mit dem Ausdruck der Ueberraschung an, und Haller sagte halblaut. „Das war ja – Fräulein Blum!“

„Valeska Blum,“ bestätigte Sebald, „der gefeierte Stern unseres Hoftheaters! Wie kommt sie hierher in dies abgelegene Bergdörfchen? Das ist doch merkwürdig.“

„Der Wagen hält drüben vor dem Pfarrhause,“ berichtete Haller, der an den Gartenzaun getreten war, „und da erscheint auch Seine Hochwürden in eigener Person, um die Damen zu ennpfangen.“

„Noch merkwürdiger! Was hat die junge Schauspielerin bei dem Pfarrer zu thun? Das ist kein Verwandtschafts- oder Freunndschaftsbesuch, der Empfang des geistlichen Herrn ist ja ungemein respektvoll. Wahrhaftig, sie treten in das Haus, die Koffer werden abgeladen – Haller, das müssen wir observiren!“

„Aber eine herzogliche Hofschauspielerin und ein hochwürdiger Priester können doch nicht verdächtig sein,“ wandte der Untergebene ein, „die helfen sicher nicht bei einenn Attentat gegen das fürstliche Haus. Ich glaube, Seine Durchlaucht und Seine Excellenz nähmen uns selber beim Kragen, wenn wir Fräuleln Blum zu nahe kämen! Sie steht in großer Gunst bei Hofe, zumal bei der Frau Herzogin.“

Sebald zuckte mit überlegener Miene die Achseln.

„Nichts ist unverdächtig, Alles muß observirt werden – merken Sie sich das! Und was die Gunst der höchsten Herrschaften betrifft, so ist es vorbei damit, seit Prinz Leopold der schönen Valeska in so auffallender Weise huldigte, daß man bei Hofe ernstlich besorgt wurde, die ganze Residenz sprach ja davon.“

„Nun ja, der Prinz war verliebt – das ist doch am Ende kein Unglück.“

„Bei einem Fürsten, der sich eben standesgemäß vermählen soll, ist es allerdings ein Unglück, wenn er sich ernstlich verliebt, und Prinz Leopold war auf dem besten Wege dazu. Es ist ja ein offenes Geheimniß, daß er sich entschieden geweigert hat, die längst beschlossene Brautfahrt an den verwandten königlichen Hof zu machen, daher die allerhöchste Ungnade! Der Herzog schickte ihn schleunigst auf Reisen, das heißt in die Verbannung, es drohte ein unheilbares Zerwürfniß in der fürstlichen Familie – und das Alles um dieser Valeska Blum willen.“

„Nun, hübsch genug ist sie, daß auch ein Prinz ihretwegen einen dummen Streich machen kann,“ erlaubte sich Haller zu bemerken, aber diese unpassende Aeußerung zog ihm eine Rüge seines Vorgesetzten zu.

„Haller, ich zweifle nicht an Ihrer Loyalität, aber ich bitte mir aus, daß Sie Ihre Ausdrücke geziemender wählen. Man spricht nicht von ‚dummen Streichen‘, wenn von einem Mitgliede des Fürstenhauses die Rede ist. Uebrigens war diese Passion des Prinzen sehr vorübergehend, er ist selbstverständlich zur Besinnung gekommen und wird sich dem Befehl des Herzogs fügen, seine Vermählung mit der Prinzessin Marie ist beschlossene Sache.“

„Und Fräulein Blum?“

„Nun, sie wird natürlich den fürstlichen Verehrer sehr ungern verloren haben, übrigens soll sie sich in der ganzen Angelegenheit sehr taktvoll benommen haben, so heißt es wenigstens, aber ich traue dieser jungen Dame mit ihrer gefährlichen Schönheit nicht, mir ist sie verdächtig, sehr verdächtig. Zuerst versucht sie, einen

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