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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

möglichst unzweckmäßig gewählten Worten und in der denkbar konfusesten Weise erklärte, warum ich sie eigentlich so sehr liebe; sie gestand mir, daß es ganz ähnlich bei ihr wäre und sie in mir gar manche Aehnlichkeit mit einem Andern entdecke, der zuerst ihr Herz gewonnen. Darüber empfand ich jene unvernünftige Art der Eifersucht, die von den Systematikern als die retrospektive bezeichnet wird; sie hielt freilich vor Virginie’s aus tiefster Seele hervorquellender, unbeschreiblich inniger Zärtlichkeit nicht lange Stand, zumal als sie dann sagte: „Wenn Du heute Abend nicht zu spät kommst, werde ich Dir ein Geheimniß entdecken, wonach Du nie mehr auf die Vergangenheit eifersüchtig sein wirst. Hörst Du? Komme nicht zu spät.“

Am liebsten wäre ich natürlich dageblieben, um dies Geheimniß gleich zu hören, aber daraus wurde nichts. Ich mußte fort, nachdem ich den Abschied durch alle jene Thorheiten möglichst verlängert hatte, welche das Entzücken der Liebenden, allen andern Menschen aber ein Gräuel sind.

Seltsamer Widerspruch: obgleich ich die Zeit nicht erwarten konnte, wo ich mich anständiger Weise in der Villa der Gräfin wieder einfinden durfte, war es mir doch wieder, indem ich Zacharula’s Bild betrachtete, als möchte ich niemals etwas zwischen mich und sie treten lassen, als wäre es besser, ich entflöhe auf eine einsame Insel, um dort meine liebenden Erinnerungen unparteiisch zwischen beiden zu theilen.Ich bat dem Bilde meine bevorstehende Untreue förmlich ab und hatte dabei wieder die Empfindung, als ob meine Neigung zu Virginie mit meiner Treue gegen Zacharula vereinbar wäre, weil sie der Wärme meiner Empfindung für diese keinen Abbruch that. Ich hätte zum Himmel aufjauchzen mögen, und doch –

Die Table d’hôte unterbrach eine Zeit lang die quälenden Gedanken; ich machte die alte Erfahrung an mir, daß Liebe nicht satt macht, nur gereichte meine Zerstreuung den Gästen zu empfindlichem Nachtheile, da ich in ganz barbarischer Weise unter Fisch, Braten, Gemüse und Früchten hauste und die subtilen Berechnungen des Wirthes vollständig zu Schanden machte.

Dann lief ich nach der griechischen Kapelle, machte einige Stunden lang die Umgegend mit langen Schritten und tiefen Seufzern unsicher und eilte endlich, sobald ich nur die entfernte Möglichkeit erkannte, meinen Besuch machen zu können, nach der Behausung der Gräfin.

So ungeduldig ich auch nach dem Anblick Virginiens trachtete, ich mußte mich vorerst mit der Gesellschaft der Gräfin begnügen und deren liebevollste Segenswünsche in Empfang nehmen. Wie eine Warnung, und als ob sie in meinem Herzen lesen könnte, klang es, als sie sagte: „Ich gebe meinen Liebling ungern fort, aber ich weiß, daß Virginie bei Ihnen geborgen ist und die Erinnerung an Zacharula ihr Glück nicht stören wird.“

„Aber wo bleibt sie denn?“ brach ich ungeduldig los.

Die Gräfin lächelte fast amüsirt.

„Ja, undankbar seid Ihr doch alle, Ihr Männer,“ versicherte sie. „Virginie macht ganz besondere Toilette, nur für Sie und um Sie noch fester in Ketten und Banden zu schlagen.“

Ich hätte fast laut aufgelacht.

„Als ob es dessen bedürfte!“ rief ich, „als ob es irgend eine Tracht gäbe, die Virginie in meinen Augen noch verschönern könnte!“

„Wer weiß!“ scherzte die Gräfin, und in ihren noch immer so ausdrucksvollen Augen blitzte es schelmisch. „In einer halben Stunde werden wir uns wieder sprechen; dann werde ich ja hören, ob Sie Ihr keckes Wort wiederholen werden. Doch nun gehen Sie! Ich will Sie Beide nicht länger trennen. Virginie erwartet Sie in der Veranda.“

Ich ging beflügelten Schrittes und stand in der Thür, gebannt – starr vor Staunen … das war ja nicht Virginie, sondern …

„Zacharula!“ klang es von meinen Lippen.

Sie war es – und doch auch wieder nicht. Virginie-Zacharula in einer Person – das verschönerte Abbild ihres Portraits stand sie vor mir – mit dem aufgelösten wundervollen Haar, in der griechischen Tracht, worin ich sie zuerst gesehen, in der Haltung und mit dem Gesichtsausdrucke, die ich an Virginie kannte und bewunderte. Sie streckte mir beide Hände entgegen und ruhte im nächsten Augenblicke an meiner Brust. Was wir dann alles gesprochen und nicht gesprochen haben, welche Unterbrechungen nöthig wurden, und wie wir uns gegenseitig hunderterlei erklärten, ohne den zehnten Theil davon zu begreifen, das weiß ich nicht mehr, und das läßt sich jedenfalls auch nicht in zusammenhängender Rede erzählen. Ich weiß nur noch, daß wir Beide zuletzt neben einander saßen, Zacharula ihren Kopf an meine Schultern gelehnt, von meinem Arm umschlungen, ihre Hand in der meinen ruhend und meine leise geflüsterten Liebesversicherungen mit eben so leisen griechischen Worten erwidernd, die ich, ganz wie in alter seliger Zeit, nicht verstand, aber nur allzugut begriff. Die ganze selige Vergangenheit schien mit einem Male in ungeahnter Pracht und Herrlichkeit wieder auferstanden zu sein, und ich frug mich immer wieder, ob ich nicht träume.

„Ja, das sind freilich pflichtvergessene Kinder!“ erscholl plötzlich neben uns die heitere und doch bewegte Stimme unserer mütterlichen Freundin. „Da wird innerhalb einer halben Stunde Bericht über die neue Toilette erwartet – aber hier scheint man eine ganz absonderliche Zeitrechnung eingeführt zu haben!“

Wir saßen dann noch lange beisammen und nach und nach – zu meiner Ehre sei es gesagt – begriff ich doch endlich, wie aus Zacharula Sidheridi Virginie de Ferréol geworden war, ohne daß der Zauberstab einer gütigen Fee bei der Verwandlung in Bewegung gesetzt wurde. Ach, es ging alles sehr natürlich zu.

Bald nach meinem Fortgang aus Konstantinopel war die Tochter der Gräfin, immer ein sehr zartes Geschöpfchen, kränkelnd aus Frankreich in das Haus ihrer Mutter zurückgekehrt und endlich gestorben. Der Zufall hatte der Dame meine kleine Zacharula in den Weg geführt, und die Ähnlichkeit zwischen den beiden jungen Mädchen in der Gräfin den Gedanken aufsteigen lassen, die kleine Griechin zu adoptiren. Das große Glück, welches die Eltern in diesem Anerbieten für ihr Kind sahen, denn Frau de Ferréol war nicht allein sehr reich, sondern auch als eine edle hochherzige Dame bekannt, hatte jene bewogen, die Entscheidung in Zacharula’s Hände zu legen. Zacharula aber, als sie hörte, daß die Gräfin beabsichtige nach Deutschland zu gehen, hatte in der Annahme des Anerbietens die Möglichkeit gesehen, mir vielleicht dort zu begegnen – war ich doch „der lange Deutsche“ gewesen, ehe sie mich mit einem zärtlicheren Namen nannte und so wurde sie die Adoptivtochter der Gräfin, unter der Bedingung, daß sie mit dem Familiennamen zugleich auch den Taufnamen der früh Verstorbenen annahm.

Jetzt begriff ich auch den Schatten, welcher bei der Erwähnung jener Zeiten in Konstantinopel und bei der Erinnerung an das einzige, vergötterte Kind über das geistreiche Gesicht meiner alten Freundin gezogen war – aber wie hätte ich ahnen können … ? Ich sah ihr jetzt bei dem Gedanken, wie weh ich ihr ohne mein Wissen und Willen gethan, bittend in die Angen und küßte ihre Hand, während ihr Blick feucht war und die Ferne suchte – die Mutter gedachte – der anderen Virginie. …

*  *  *

Jetzt sind Zacharula und ich seit fünf Jahren verheirathet, und mein Weibchen hat ihre ganze fröhliche Heiterkeit wiedergewonnen, welche der Kummer um mich so lange in den trüben Ernst verwandelt hatte, der mir an Virginie aufgefallen war. Unser ältestes kleines Mädchen ...

„Ja, Du entsetzlicher Mensch, was willst Du denn noch weiter erzählen?“ unterbricht mich hier ihr schmollender Mund im Vorlesen der Geschichte, die ich auf ihren Wunsch bis zum glücklichen Ende fortführen sollte. Sie hat eine so reizende Art, beim Sprechen die Worte gewissermaßen zu unterstreichen. „Nur daß Zacharula ganz Dein Ebenbild zu werden verspricht, und daß unser ältester Bube seinem Vater aufs Haar gleicht, und daß wir …“

Aber man sollte es wirklich nicht glauben, daß vor nun fünfzehn Jahren Zacharula in ihrer erröthenden Verwirrung genau so aussah wie in diesem Augenblicke, wo sie mir strafend die Hand auf den Mund legt und ihre lachenden Augen die zum Zeichen ernsten Mißfallens in krause Falten gezogene Stirn Lügen strafen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_660.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)