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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Nomäisch zu erlernen. Welch herzliches Gelächter, welche andauernde Heiterkeit erregten meine oft mit Absicht ungeschickten Versuche, die mir vorgesprochenen Worte zu Sätzen umzubilden, wie glücklich funkelten die Augen über harmlose Schmeicheleien, die ich den Naiven sagte, wie unbändig konnten sie über kleine Scherze lachen, und wie flink und graziös sprangen sie bei ihrer Arbeit hin und her, daß ihnen die schwarzen Zöpfe nur so um die Schultern tanzten!

Eines Tages kam ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft zu Besuch; ein reizendes Geschöpf, mit schüchternen braunen Augen, Grübchen in Kinn und Wangen, einem Munde, roth wie die Koralle, und einer Haut, weiß wie Perlmutter; durchsichtig zart, blaß, und doch nicht krankhaft bleich. Natürlich war ich sofort bis über beide Ohren in sie verliebt.

Man sagte mir, sie heiße Zacharula, Und ich frug begierig, was dieser Name bedeute.

Da ich die eifrigen, durch unzählige anmuthige Gesten erläuterten Erklärungen meiner Freundinnen, die mir unter vielsagendem Augenzwinkern und mit lachendem Munde gegeben wurden, schlechterdings nicht begriff, so hüpfte die Eine endlich davon und brachte ein Stückchen Zucker herbei; man machte mir nun in ausgelassener Lust begreiflich, Zacharula bedeute Zuckerstückchen, Zuckerplätzchen; die lustigen Mädchen legten dabei die kleinen Hände auf ihre fröhlich klopfenden Herzen, schnalzten mit den frischen Lippen und gaben sich Mühe, mir neckend klar zu machen, wie gut der eben genannte Gegenstand doch schmecke. Zuckerplätzchen …

„Ah,“ rief ich auf deutsch, „welch passender Name für ein so süßes Geschöpf!“

Der Ausdruck meiner Worte und der Blick, den ich dabei auf die Kleine warf, mußten den Sinn deutlich gemacht haben, denn das allerliebste kleine Ding wurde roth wie Scharlach. Die andern kicherten, und die Uebermüthigste von ihnen, ein schwarzbraunes, lustiges, graziöses Mädchen, begann verschmitzt: „Wie heiß Du bist, Zacharula! Nimm doch dein Kopftuch ab!“

Damit löste sie ihr hilfreich den kunstvoll verschlungenen Knoten, welcher das ihr Haar bedeckende Tuch festhielt, und enthüllte dabei so wundervolles, dichtes, in schwere Flechten gefesseltes Haar, daß ich einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken konnte. Das feine Köpfchen der kleinen Griechin schien sich unter der Last dieses herrlichen Naturschmuckes zu beugen.

„Kein Mädchen in Gallipoli besitzt solches Haar!“ stimmte meine Wirthin lächelnd bei, und nun begab sich etwas, was die anmuthige Europäerin, welche diese Zeilen liest, für unmöglich halten wird, weil ihr eine so uneigennützige, stolze Freude an den körperlichen Vorzügen einer Anderen, und die naive Unschuld der Betreffenden selbst, einfach unglaublich vorkommen dürfte.

Um mir nämlich einen vollen Begriff von der Fülle dieses Frauenhaares zu geben, lösten plötzlich die geschäftigen Finger der jungen Mädchen die dunklen Flechten ihrer Genossin mit fabelhafter Geschwindigkeit auf, und wie ein glänzender, blauschwarzer Mantel fiel es über die Schultern der kleinen Griechin und verhüllte urplötzlich ihre ganze feingegliederte Gestalt.

Dieses wunderbar schöne Frauenhaar – ob es etwas Entzückenderes geben konnte? O doch, die kleine Besitzerin; etwas Reizenderes, als das feine, blasse Gesichtchen unter dieser verhüllenden Herrlichkeit, wie es verschämt und doch in unverhohlener Freude über meine bewundernden Blicke da vor mir zu sehen war – habe ich nie wieder im Leben erblickt.

Die halbe Nacht lag ich wach und träumte mit offenen Augen von Zacharula und ihrem Haare. Dabei versuchte ich vergebens, ein sonderbares Gefühl zu überwinden, das sich immer wieder in meine Liebesträume hineinschlich und mir meine reizende Bekanntschaft als das verwandelte Abbild eines anderen weiblichen Wesens erscheinen ließ, das ich schon irgendwo im Leben gesehen – anders allerdings – und doch auch wieder ähnlich. Der Gedanke ließ sich nicht verscheuchen und peinigte mich zuletzt. Ich entrollte die Gedächtnißliste über alle meine weiblichen Bekanntschaften – sie war nicht klein – aber ich fand die Eine nicht, die meiner Göttin ähnelte… ich sann und sann – endlich doch – Virginie … Warum ich so spät an sie dachte? Alle Leserinnen unter sechszehn Jahren mögen mir verzeihen – ich gedachte ihrer nicht als einer jungen Dame. Sie war ja ein halbes Kind noch, die Kleine – halb Backfisch, halb Schulmädchen – als ich sie zu meinen Bekanntschaften zählte, aber sie hatte mir viel Amüsement bereitet. So grundverschieden ihre ganze Art sich zu geben und zu „haben“ von der Weise der kleinen Griechin war, so auffallend war die Aehnlichkeit der Gesichtszüge. Selbst die zarte Farbe der Haut stimmte, nur daß sie bei Virginie, meiner kleinen Feindin, in krankhafte Blässe ausartete. Jetzt, da ich die Trägerin jener Aehnlichkeit gefunden, gewährte es mir Vergnügen, die beiden jungen Mädchen mit einander zu vergleichen. Virginie war mir von Konstantinopel bekannt, wo ihre Mutter, die noch immer schöne Gräfin Ferréol, zu meiner Zeit als Gattin des ersten Sekretärs bei der Botschaft einer Großmacht, da der Botschafter selbst unvermählt war, die Honneurs im Gesandtschaftshôtel machte. Sie hatte mir stets großes Wohlwollen bewiesen, weil, wie sie einst meinem gestrengen Chef in ihrer liebenswürdigen Weise gesagt, mein urwüchsig-unverdorbenes Wesen inmitten der französisch-levantischen Sittenfäulniß so angenehm auffalle.

Bei einem meiner Besuche in ihrem reizenden Salon hatte sie mit einer leichten Handbewegung nach einer halbdunklen Ecke lächelnd hingeworfen: „Meine Tochter Virginie.“ Ich hatte mich pflichtschuldigst erhoben und einen flüchtigen Blick nach jener Ecke geworfen. Auch dort erhob sich ein lang aufgeschossenes Mädchen, auf der Grenze zwischen Kindes- und Backfischalter stehend, schritt langsam näher und stand endlich, dicht neben der Mutter, mir gegenüber. Unsere Unterhaltung – die erste – begann und wurde von meiner Seite heiter neckend angefangen, aber auf diesen Ton ging Virginie nicht ein. Er erschien ihr jedenfalls respektwidrig – sie blieb ernst, und eine gewisse Abneigung gegen diesen von mir angeschlagenen Ton übertrug die kleine Komtesse sehr bald auf meine Person. Ich glaube, sie haßte mich, und das machte mir Spaß. Wir standen immer auf Kriegsfuß. Die kleine Virginie, von Allen verwöhnt und von ihren Eltern wegen ihrer äußerst reizbaren Gesundheit wie ein Augapfel behütet, wurde meine kleine Feindin, und so jung sie war, war sie doch ein Gegner, den man nicht unterschätzen durfte. Sie war weit über ihre Jahre klug, ernst, und es steckte überhaupt Rasse in ihr. Ich kapricirte mich darauf, sie zu reizen, wo ich nur immer konnte, und sie vergalt mir meine Bemühungen mit ehrlicher Rache. Unser ganzes Verhältniß bestand darin, daß wir einander alles nur erdenklich Unangenehme anthaten, und Virginie war im Ersinnen immer neuer Quälereien von einer Findigkeit, die mir Anerkennung abnöthigte und mich zu eifriger Nachahmung anspornte. Doch zog ich meist den Kürzeren, denn ihre Rache war jederzeit raffinirter als meine Beleidigung.

Ihre Uebersiedlnng in eine französische Pension machte endlich unseren Feindseligkeiten ein Ende, und ich hatte das schöne Kind bereits vergessen, als die Begegnung mit der jungen Griechin und der klassische Schnitt ihrer Gesichtszüge die Erinnerung an jene Zeit des Kampfes wieder in mir auffrischte und mir für einen Moment ein flüchtiges Lächeln abnöthigte. Merkwürdig! Wie ähnlich waren die beiden jungen Mädchen einander, und doch wie grundverschieden wurden sie durch den Ausdruck ihrer Gesichtszüge! Nie in meinem Leben war es mir so klar geworden, daß die Individualität des Charakters dem Aeußeren erst das Gepräge aufdrückt. Denn so sehr Virginie und Zacharula sich ähnelten, neben einander gestellt, würde sie gewiß Keiner mit einander verwechselt haben. Bei diesem Gedanken schlief ich endlich doch ein, aber obgleich ich mich zuletzt mit Virginie beschäftigt hatte, so war es doch Zacharula, welche mir in meine Träume folgte, und als der Morgen kam, wies mein Zustand die unverkennbarsten Symptome einer gründlichen und rettungslosen Verliebtheit auf.

Und gleich darauf machte ich eine Entdeckung, die mich noch mehr in der Ueberzeugung bestärkte, daß meine diplomatische Mission durchaus nicht in so kurzer Zeit erledigt werden könne, wie mein Chef das für möglich gehalten hatte.

Mein Fenster ging auf ein Zipfelchen Gartenland hinaus, und in diesem Garten befand sich eine Laube. … Das wußte ich freilich schon lange – aber daß Garten und Laube unserem Nachbar Sidheridi gehörten und daß Zacharula dieses Mannes Töchterlein sei, das erfuhr ich erst an diesem Morgen. Ich hörte nämlich meine Kokona hinunterrufen: „Guten Morgen, Zacharula!“ und wie der Wind war ich am Fenster, hinter dessen Gardinen ich mich wie ein verliebter Schüler verbarg, um verstohlen hinunter zu blicken. …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_638.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)