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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Friedrich Friesen.

Ein Gedenkblatt zu seinem hundertsten Geburtstag.
Von Prof. Dr. C. Euler.

Die gewaltigen Ereignisse der letzten Jahrzehnte, welche Deutschland eine so ruhmvolle Stellung unter den europäischen Staaten gegeben haben, dürfen doch nicht die Jahre vergessen lassen, in denen die Deutschen sich von dem Joche, das ihnen ein übermächtiger und übermüthiger Eroberer auferlegt hatte, mit unsäglichen Opfern wieder befreiten. So ist jede Gelegenheit willkommen zu heißen, welche jene Zeit wieder in Erinnerung bringt. Eine solche bietet der 27. September. Er ist der hundertste Geburtstag einer lichten Erscheinung, die noch in unsere Tage herüberleuchtet, der von Karl Friedrich Friesen. Nicht genug wissen ihn die Zeitgenossen zu loben; nicht allein die Jugend hing an ihm mit wahrhaft schwärmerischer Verehrung, auch ernste Männer schätzten ihn, die gefeiertsten Dichter der Befreiungskriege, wie E. M. Arndt und Max von Schenkendorf, haben ihn besungen. Das schönste Denkmal aber hat ihm Friedrich Ludwig Jahn in seiner „Deutschen Turnkunst“ gesetzt in jenen so oft angeführten Worten: „Friesen war ein aufblühender Mann in Jugendfülle und Jugendschöne, an Leib und Seele ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher; eine Siegfriedgestalt, von großen Gaben und Gnaden, den Jung und Alt gleich lieb hatte; ein Meister des Schwertes auf Hieb und Stoß, kurz, rasch, fest, fein, gewaltig und nicht zu ermüden, wenn seine Hand erst das Eisen faßte; ein kühner Schwimmer, dem kein deutscher Strom zu breit und zu reißend; ein reisiger Reiter, in allen Sätteln gerecht, ein Sinner in der Turnkunst, die ihm viel verdankt.

Wie Scharnhorst unter den Alten, ist Friesen von der Jugend der Größeste aller Gebliebenen.“

Auch Max von Schenkendorf hat Friesen neben Scharnhorst gestellt; Major von Lützow hat geäußert, daß an Friesen durch seinen Tod das Vaterland in jeder Beziehung am meisten verloren habe. In Friesen's, des Freundes Armen hat Theodor Körner die letzten Seufzer ausgehaucht. Wilhelm Harnisch weiß in Friesen den seine eigenen Pfade findenden Lehrer, Alexander von Humboldt in ihm den angehenden Gelehrten, den „talentvollen Mitarbeiter“ an seinem großen Reisewerke nicht genug zu loben. Stein, Hardenberg, Scharnhorst würdigten ihn ihres Vertrauens. Noch in späteren Jahren rühmten ihn General von Hüser und Andere. Und, was nicht das Geringste, Napoleon beehrte ihn mit gleichem Haß wie Jahn und Theodor Körner.

Der Friesenhügel in der Hasenheide.
Originalzeichnung von H. Petzet.

Wir wissen nur wenig aus dem äußeren Leben Friedrich Friesen’s, es ist in den Zeitereignissen aufgegangen, ohne hervorragende äußere Thaten verflossen; er hat keine Werke hinterlassen, welche seinen Namen auf die Nachwelt bringen konnten. Am meisten wissen wir wunderbarer Weise von seinem Schicksale nach dem Tode! Eine kurze Lebensskizze möge das erweisen.[1]

In Magdeburg am 27. September 1785 geboren, verlor Friedrich Friesen in früher Jugend den Vater und zog 1805 (oder 1806) mit der Mutter nach Berlin, um das Baufach zu studiren. Fichte’s Reden an die deutsche Nation im Winter 1807 auf 1808 bewogen ihn aber, sich der Erziehung der Jugend zu widmen, er wurde Lehrer an der nach Pestalozzi’s Grundsätzen 1805 in Berlin errichteten Erziehungsanstalt des Dr. Plamann und bald deren „Hauptträger“, zugleich mit Fr. L. Jahn und W. Harnisch, die ebenfalls an jener Anstalt wirkten, einen innigen Freundschaftsbund schließend. An Jahn’s turnerischen Bestrebungen nahm er eifrigen Antheil und bildete das deutsche Hieb- und Stoßfechten selbständig aus. Sein Unterricht hielt ihn aber nicht ab von anderweitiger Thätigkeit. Allen patriotischen, die Befreiung des Vaterlandes bezweckenden Bestrebungen stand er nahe. Er stiftete mit Jahn, Harnisch und Anderen 1810 den deutschen Bund, trat in Beziehung zu Justus Gruner und Stein und wirkte auf die Begründung der deutschen Burschenschaft in Berlin ein. Als Preußen sich gegen Napoleon erhob, traten Friesen und Jahn als die Ersten in das Lützow’sche Freikorps ein und Ersterer wurde später Lützow’s Adjutant. Als solcher begleitete er denselben nach Frankreich zu Anfang des Jahres 1814 und nahm an dessen Zug in die Ardennen Theil. Am 12. März wurde das Korps des Generals Priest von Napoleon geschlagen und die Arrière-garde, bei der sich Lützow mit seinen Reitern befand, aus einander gesprengt; sie löste sich in einzelne Haufen auf. Einer dieser Haufen wurde von bewaffneten Bauern, die Napoleon aufgeboten hatte, angegriffen; Friesen, der, getrennt von seinem Chef, sich bei demselben befand, fiel in die Hände der Feinde und wurde bei La Lobbe am 15. März im Handgemenge erschossen. Ueber den Ort und die Einzelheiten des Todes sollte erst die spätere Zeit Licht verbreiten.

Friesen’s Tod, an dem nicht zu zweifeln war, erregte in allen Kreisen den größten Schmerz. Am meisten ergriffen aber war Friesen’s Waffengefährte August von Vietinghoff. Vor dem Abmarsche nach Frankreich hatten er und Friesen sich gegenseitig das „Angelöbniß“ gegeben: wenn Einer von Beiden in Frankreich fallen sollte, „seine Gebeine dem wälschen Boden zu entreißen“.

Vietinghoff bemühte sich sofort nach dem Bekanntwerden von Friesen’s Tode um die Auffindung seines Grabes. Erst 1816, als er zum vierten Mal in Frankreich bei den deutschen Okkupationstruppen im Ardennen-Departement stand, führte ihn die zufällige Auffindung des Dienstsiegels der Lützower auf die richtige Spur. Er erfuhr den Ort, wo Friesen, den nach seinem Tode die Feinde nackt hatten liegen lassen, beerdigt worden war. Es war La Lobbe, dessen Maire, von dem Tode des preußischen Officiers in Kenntniß gesetzt, den Leichnam, den er wegen seiner Schönheit für den eines vornehmen Deutschen hielt, ehrenvoll mit kirchlicher Weihe hatte bestatten lassen. Ueber alle Einzelheiten war damals auch ein genaues Protokoll aufgenommen worden. So gelangte Vietinghoff in den Besitz der Gebeine des Freundes, die er an untrüglichen Zeichen erkannte. Mit heißen Thränen benetzte er und küßte den „wahrhaft königlichen Schädel“.

Vietinghoff’s Wunsch war, daß Friesen unter einem Malhügel auf dem Turnplatz in der Hasenhaide bei Berlin bestattet werden möge. Das war auch der heiße Wunsch Jahn’s. Die Ankunft der Gebeine erwartend, ließ er den Malhügel von seinen Turnern 1817 errichten. Die Gebeine kamen aber nicht, es traten inzwischen andere Zeiten ein, nach Jahn’s Verhaftung 1819 wurde der Turnplatz geschlossen, und als er wieder eröffnet wurde, geschah es an einer andern Stelle. Der alte Platz diente militärischen Zwecken.

Sechsundzwanzig Jahre führte Vietinghoff die Gebeine des verstorbenen Freundes als seine „heiligsten Besitzthümer“ mit sich, bis ihnen endlich auf Vietinghoff’s Gesuch König Friedrich Wilhelm IV. eine „feierliche, aber stille“ Beerdigung neben Scharnhorst auf dem Invalidenkirchhof zu Berlin bewilligte. Die Gebeine wurden nun vom Stabsarzt Dr. Schotte kunstvoll zusammengesetzt, in einen Sarg gelegt; die ehemalige Gattin Lützow’s, Gräfin Elise von Ahlefeldt und andere Fraunen schmückten den Schädel mit einem Lorbeerkranz und die übrigen Gebeine mit Blumen, und so geschah die Beerdigung am 15. März 1843 im Beisein der ehemaligen Freunde und alten Waffengefährten Friesen’s. Auf dem Grabe ließ das Kriegs-Ministerium ein Eisernes Krenz mit den betreffenden Inschriften errichten.

Der Friesen–Hügel, außerhalb des jetzigen Turnplatzes in der Hasenhaide, den Jahn’s Denkmal schmückt, gelegen, ist in neuer Zeit wieder hergestellt und gepflegt worden. Die für den 27. September in Berlin geplante Feier wird zum Theil an demselben stattfinden. Die Vaterstadt Magdeburg bereitet für Friesen ebenfalls eine würdige Feier vor.


  1. Eine ausführlichere Lebensbeschreibung Friesen’s ist von dem Verfasser dieses Aufsatzes bei Karl Schmidt in Berlin erschienen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_636.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2024)