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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

bereits hervorgehoben, nämlich die Abnahme des Luftdruckes. Jedesmal, wenn das Barometer rasch fällt, kann sich der Schiffer auf unruhiges Wetter gefaßt machen und deßhalb ist, besonders in denjenigen Meeren, die von Cyklonen heimgesucht werden, die sorgfältige Beobachtung des Luftdruckes von größter Wichtigkeit. Bisweilen aber kommen die Warnungen des Barometers zu spät, das heißt der Luftdruck fällt plötzlich sehr rasch und der Orkan ist fast unmittelbar da. Dies gilt besonders von den tückischen Teifunen der Chinasee, die bisweilen so plötzlich hereinbrechen, daß der Seefahrer keine Zeit hat Vorkehrungen zu treffen und sein Schiff völlig hilflos ist.

Der erfahrene Seefahrer achtet deßhalb auch auf eine Reihe anderer atmosphärischer Anzeichen. Nach Kapitän Wagner kündigen sich die Teifune der Chinesischen See meist schon einige Zeit vor ihrem Ausbruche durch abnorme Lufterscheinungen an. „Besonders schönes Wetter mit sehr klarer Luft, anhaltende Windstille bei übergroßer Hitze und ein ungewöhnlich hoher Barometerstand bei südwestlichem Wind sind in der Regel sichere Anzeichen eines herannahenden Teifun. Ebenso sind ein auffallend rothgefärbter Himmel, eine in Nordost oder Südost ansteigende dicke Wolkenbank, schnell vorüberfliegende Wolken aus einer von der Windrichtung abweichenden Richtung, ungewöhnliche Bewegung der See, deren Ursachen nicht erklärlich sind, Vorboten der Teifune. Gewöhnlich fängt der Wind dann zwischen Nordwest und Nordost an zu spielen, bis er sich in derjenigen Richtung festsetzt, aus welcher der Orkan losbrechen will. Selten dauert ein Teifun länger als 8 bis 12 Stunden, die meisten sind von kürzerer Dauer.“

Von der zerstörenden Gewalt dieser Teifune weiß besonders die Insel Luzon mit ihrer Hauptstadt Manila zu erzählen, vor allem steht der 20. Oktober 1882 dort in schreckensvoller Erinnerung. Wohl erkannte man auf dem Observatorium, daß der Zerstörer herannahe, und ungesäumt ergingen telegraphische Weisungen nach den hauptsächlichsten Orten der Insel, aber Hilfe konnte dadurch nicht gebracht werden. In wenig Stunden war der Orkan da, als Avantgarde zog ihm eine düstere Staubwolke vorauf, Donner und Blitz, in Begleitung von eiskaltem Regen, folgten. Heulend stürzte die entfesselte Luft auf alles, was ihr im Wege stand. Hunderte von Häusern wurden augenblicklich fortgeblasen, hohe Kirchtürme umgestürzt, alle Vororte Manilas in Schutthaufen verwandelt. In Paranague, einer Stadt von 10 000 Einwohnern, blieb kein Haus verschont, in der Stadt Narotas stürzte die Gendarmeriekaserne zusammen und die Straßen waren später nur an den Trümmern der Häuser erkennbar. Aehnlich war die Verwüstung in vielen andern Städten. In der Provinz Laguna wurde die Hälfte der Kaffee- und Zuckerplantagen vernichtet, der Jammer und das Elend der Bevölkerung spotteten jeder Schilderung.

Zu den furchtbarsten Wirbelstürmen gehört die Cyklone, welche in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1876 das Mündungsgebiet des Ganges verheerte und eine Sturmwelle erzeugte, welche jene flachen Regionen vollständig überfluthete und 100 000 Menschen das Leben kostete. Für die Bewohner jener Gegend ging kaum ein Anzeichen dem schrecklichen Ereignisse vorauf, obgleich schon einige Tage vorher im südlichen Theile des Bengalischen Meerbusens unruhiges Wetter mit Regenböen sich eingestellt hatte. Am Mittag des 30. Oktober lag das Centrum des Sturmfeldes unter 14° nördlicher Breite und bewegte sich langsam nordwärts; am 1. November 3 Uhr früh erreichte es die Inseln des Megna, welches der Unterlauf des Brahmaputra und der mit ihm vereinigten Gangesarme ist. Am Abend des 31. Oktober begab sich die Bevölkerung jener flachen Gegend ahnungslos zur Ruhe, aber um 11 Uhr kamen heftige Windstöße auf und um Mitternacht ertönte der Schreckensruf: „Das Wasser ist da!“ Drei hohe Wogen hinter einander brachen über das Land herein und in wenig Augenblicken war das Schreckliche geschehen. Wären nicht die leichten aus Zweigen und Matten errichteten Wohnungen meist von einem Walle hoher und dicht stehender Bäume umgeben, so hätte die gesammte Bevölkerung in den Fluthen ihren Untergang gefunden, so aber wurden zahllose Menschen vom Wasser in die Wipfel der Bäume getragen, wo sie sich aufhielten, bis die Wogen wieder zurücktraten. Der Orkan selbst war von furchtbarer Wuth, besonders im nördlichen Theil der Bai von Bengalen. Himmel und Meer schienen in einander zu verschwimmen, nicht Regentropfen, sondern völlige Wasserströme stürzten aus den Wolken herab und vermischten sich mit den wüthenden Wogen der See, dazwischen heulte der Wind in tausend schreckensvollen Tönen. Nachdem die Cyklone auf das Festland übergetreten war, verminderte sich ihre Geschwindigkeit und nordwärts fortschreitend wurde sie am Abend des 1. November von den Tipperah-Hügeln vollständig zerstreut und aufgelöst. Die Luftsäule, welche den furchtbaren Wirbel bildete, scheint also nicht über 3000 Fuß Höhe gehabt zu haben. Auch bei andern Wirbelstürmen hat sich herausgestellt, daß dieselben sich lediglich auf die unteren Schichten der Atmosphäre beschränken, die hohen Regionen der Luft dagegen gar nicht von ihnen berührt werden.

Wenden wir uns jetzt nach Westindien, so finden wir, daß dort die Hurricane in ihren verheerenden Wirkungen den Teifunen nicht nachstehen. Am 10. Oktober 1780 vernichtete ein solcher Orkan sogar die unter Sir Rodney’s Befehl segelnde englische Flotte vollständig. Auf der Insel Martinique kamen 9000 Menschen um, auf Santa Lucia 6000, die stärksten Gebäude wurden bis auf die Fundamente zerstört und die Kanonen von den Wällen geschleudert.

Eine Schilderung des Orkans vom 10. und 11. August 1831, welcher die Insel Barbados verwüstete, hat Reid gegeben. Hiernach war an jenem Abend um sieben Uhr ruhiges, heiteres Wetter. Gegen neun Uhr erhob sich ein Nordwind, eine halbe Stunde später sah man Blitze, um Mitternacht wurden diese furchtbar und der Wind wehte mit stürmischer Gewalt aus Nord und Nordost. Um ein Uhr Morgens wuchs die Gewalt des Sturmes, und sein Heulen wurde derart, daß es keine Sprache zu beschreiben vermag. Oberstlieutenant Nicles, Befehlshaber des 36. Regiments, hatte unter einem Fensterbogen des untern Stockwerkes straßenwärts Schutz gesucht und hörte wegen des Sturmes nicht das Einstürzen des Daches und des oberen Stockwerkes. Um drei Uhr nahm der Wind ab und sein Brüllen sank zu einem majestätischen Gemurmel herab. Bald aber brach der Orkan von Westen aufs Neue mit unbeschreiblicher Gewalt hervor. „Die festesten Gebäude erbebten in ihren Grundmauern, ja die Erde selbst zitterte, als der Zerstörer über sie hinwegschritt. Kein Donner war zu hören, denn das gräßliche Geheul des Windes, das Brausen des Oceans, das Gerassel der Ziegel, das Zusammenstürzen der Dächer und Mauern und die Vereinigung von tausend andern Tönen bildeten ein Entsetzen erregendes Geräusch.“ Gegen fünf Uhr ließ der Sturm nach und um neun Uhr war schönes Wetter. Aber auf welches Bild des Grausens schien die Sonne herab! „Vom Thurme der Kathedrale,“ sagt der Berichterstatter, „hatte man den Anblick einer Wüste. Keine Spur mehr von Vegetation. Der Boden sah aus, als wenn Feuer durch das Land gegangen wäre. Die zahlreichen Landsitze in der Umgebung, früher von dichten Gebüschen beschattet, lagen nun frei in Trümmern.“ Was mag sich in dieser Schreckensnacht auf der offenen See, auf den Schiffen, deren Unstern sie in die Fänge des Orkans geführt, ereignet haben! Niemand weiß es, der Ocean ist ein unermeßliches, stummes Grab. Nach den Beobachtungen von Viñes gilt auch für Westindien die Thatsache, daß ein ungewöhnliches Steigen des Barometers bei anhaltend klarem Himmel und merkwürdig durchsichtiger Luft das früheste Merkmal ist, welches andeutet, daß in der Ferne ein Orkan vorhanden. Rückt derselbe näher, so beginnt das Barometer zu fallen, und der bis dahin heitere Himmel überzieht sich mit einem zarten Schleier, der allmählich dichter wird und Ringe um Sonne und Mond erzeugt. Bei Auf- und Untergang der Sonne färbt sich der Himmel dunkel feuerroth und violett, die Dämmerung wird verlängert und sobald der Wolkenschleier dichter geworden, scheint das ganze Firmament in Flammen zu stehen. Diese bald der dunklen Rothgluth eines Metalls, bald der Ziegel- oder Kupferfarbe verglichenen Beleuchtungen sollen einen so eigenartigen Charakter haben, daß sie von Keinem, der sie einmal gesehen hat, übersehen oder mit gewöhnlichem Abendroth verwechselt werden können. Dann treten leichte Federwolken auf, die Trübung nimmt zu, und die Luft wird nunmehr feuchtschwül. Der Schweiß verdunstet nicht, und eine allgemeine Ermattung befällt den Menschen. Von ferne erblickt man das herankommende Gebiet des Orkans als Wolkenwand, die, vom Meere gesehen, zuerst den Eindruck einer fernen Küste macht. Sie hebt sich mehr und mehr über den Horizont, ohne sich jedoch von diesem zu trennen.

Unter gewissen Umständen kann man die Wolkenbank eines in der Ferne vorbeiziehenden Orkans längere Zeit hindurch verfolgen. So sah der Beobachter von Trinidad auf Cuba die Wolkenmasse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_634.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2024)