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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

wo schon von ihr geschrieben steht im Sechzehnten im 2. Verß, sie hat Vielen beistand gethan, auch mir selbst.

Kind, als mir mein Wohlstand genommen ist, habe ich doch Gott sei gedankt meine guten Augen behalten und mein Aufpassen was Leute thun und denken ist wohl noch genauer geworden, und auch das ist mir in meiner Vergrelltheit und Einsamkeit zu einem neuen bittern Gift geworden, bis ich auf Dich und Dein Thun und Denken habe passen dürfen in den Jullitagen im hiesigen Armenhaus, Du weist wohl bei welcher Krankenpflege. Daß must Du mir verzeihen, das ich Dir das jetzt beichte, denn es ist wohl mein letzter bester Trost in meinen letzten Tagen!

Liebe Föbe, wärest Du nicht Du und säßest Du nicht fest in Deiner Burg, so hätten der liebe, freundliche und höffliche Mann, den wir im Juli vom Tode zu Leben verhalffen, und das unhöfliche feine Frauenzimmer, die Valeri, die Dir Deinen Erdenlohn in Dein Dorf trug, Dir noch Schlimmeres zu wege bringen mögen, als meines Bruders Freund mir. Denn meines seligen Bruder Filipps Freund tatschte doch nur in unser täglich Auskommen; aber Deines Bruders Prudens Freund hätte Dir noch viel Schlimmeres angethan, ohne daß er eine Ahnung und also ein Gewissen hatte.

Gottlob, daß es so abgelauffen ist was von ihn bloß ein Einfall gewesen ist!! ein Einfall auf dem Wege, um sich selber zu helfen, zufällig auf einem Kirchhof, zufällig auf Eurem Kirchhof und gegen den Schlingel, den Räkel, den ich von meinen Bruder her ganz gut kenne und weiß das es gar nicht nöthig war. O wie gut ist, daß Dir dieses nicht biß in’s Herz gedrungen ist, sondern daß Du nur geglaubt hast, Du müßtest in Gottesnahmen Deine Flicht ausfüllen, biß zum letzten! Ueber das Mädchen, sein jetzigt Weib, den andern Besuch bei Euch, hast Du mir ja mit Deinen traurigsten Augen den Mund verbotten. Ach, Föbe, und sie betrug sich in ihrer Angst auch nur so ungerecht, alß wir andern ordinären Frauensleute in unsern Lebenßnöthen alle!

Gottlob, nun sitzst Du wieder oben bei Dir alleine, wie ich hier unten bei mir. Allein hat mans immer am besten auf Erden, denn der Besuch wie Du ist zu seltten. Nun ist der Winterschnee auch dißmal eine Mauer, die Gott um Dich aufbaut und Du bisst dahinter in Sicherheit mit Deinen lieben Herzen und denkst an den unruhigen Sommer und Deinen Gast nur als einen Traum. Du bist wieder frei von dem Mann aus der fremden Weld in Deiner Seele und auch mit Deinem sterbbligen Leibe. Es weiß Keiner wo er begraben wird und bei wem, sieh nach in der Biebel.

O wie hast Du Deine Pflicht gegen diesen freundlichen Menschen gethan! Und welch ein Seegen bist Du auch mir altem Geschöpff durch dieses auf meine alten Tage geworden!

Denn nun sitze ich hier noch in der alten Armuth und Verlassenheid; aber die Wände rundum dünken mir nicht mehr kahl und mein Bett hart und der Ofen rauchich. Und die Winterwitterung draußen macht mir viel weniger als vorig Jahr. Das ist doch, als ob die alte Mamsell Kristeller die letzten zähn zwölf Jahr an meinem bekümmerten Leben alß wie an einem Eksempel gerechnet hätte und konnte es nicht aufkriegen, biß Du gekommen bist mit Deinem Bündel und hast mir geholfen – mir die ich doch in meinem Zorn auf die Welt und Menschheid ein ganz anderer Räkel war als Euer armer Tropf da oben im Wald.

Da brauchtest Du nur eine Viertelstuhnde bei mir zu sitzen auf der Banck unterm Fenster im Abendlichte, daß ich mich an die Stirne klopffen konnte und sagen:

Es war doch so einfach, Dorette!

Nun mögte ich Dir gern von unsern damaligen acht Tagen wieder reden. Wie Dein Sterbens- und also auch Lebenskamerad, der nette, kluge, gelerte vornehme Mann alle Profezeiung des Narren, des Doktors Hanf täuschte und sich für dißmal mit dem Tod durch einen Typus von leichter Sorte abfand. Wie er aus seinem Schlaf auferwachend Dich zu seinem Staunen und will hofen auch Schrekken an seinem Bett im Siechenhaus vorfand, und wie Du ihn mir da ließest und Dein Bündel schnürtest und gingest wie Du gekommen warest, wo ich denn Gelegenheit kriegte und nahm, diesem Mann mit seiner Hafergrütze verschiedenartige nützliche Wahrheiten einzugäben.

Denn sieh mal, er mag ja wohl ein schöner Mann sein und alle Kunst und Wissenschaft und alle Avanksen in der Welt für sich haben, er ist doch nur ein armer schwacher Mensch wie wir Andern Alle und geht mit der Stunde und was darin mit ihm stimmt wie meines seligen Bruders Freund der Oberst aus Brassilien, der Don Agonistha. Er weinte Thränen, als Du ihm zum letzten Mal die Hand gabest und als ich ihm seine Briefe aus seiner Welt zu lesen gab, da ist er ein Kind gewesen, das sich an eine Tischecke gestoßen hat und einen Apfel zum Trost kriechte. Die Thränen mogten wohl aus der Schwäche von seiner schlimmen Krankheit herrühren, aber das Lachen das stammte aus seinen gesunden Tagen und aus der Welt zu der er gehört und nicht herrauskan. Wie gut, daß wir Beiden nichts mehr mit beiden zu schaffen haben. Ihm geht es wieder so weit nach seinen Wünschen in seinem Leben und uns Zwei auch.

Ja, mir auch! was ich nicht mehr geglaubt hätte und nur Dir zu verdankken habe. Die Welt ist eine harte Nus zu knakken, und wenn man sie auf hat, ist sie hohl; dieses war mir bekannt als ein altes wahres Wort. Aber nun weiß ich durch Deinen Umgang in den paar Tagen im Juli, daß das Wort doch nur halb oder auch gar nicht wahr ist. Mein liebes Herzenskind, durch Dich weis ich nun die Weld hat einen Kern, sie hat einen süßen Kern, nur aber die Zunge oder was so sonst zu der gehört, hat nichts damit zu thun, darauf schmekkt man ihn nicht. Und nun weiß ich auch wie oft mein seliger Bruder Philipp mir das gesagt hat. Nicht mit Worten, sondern mit seinem lieben, armen, sanften, guten Leben und zuletzt noch mit seinem freundlichen Abscheiden in seiner Todesstunde mit seinem zufriedenen Einverständniß mit seinem harten Loos.

Dem that wie Dir, Niemand ein Leid an; und nun verzeih, wenn ich mir geirrt haben sollte und dieser Brief heute doch ungelegen kommen sollte. Ich konnte mir gegen den Drang nicht helffen, ich mußte Dir gerade zu dieser Stunde schreiben, obgleich das immer eine schwehre Arbeid für mich gewesen ist und jetzt in meinen hohen Tagen noch viel mehr.

Es ist mir doch als ob ich erst seit wo Du im Siechenhaus mir Gesellschafd geleistest hast gelernt habe drauf in richtiger Weise acht zu geben, was eigentlich um einen ist, und nicht bloss mehr auff mich selber paßte. So alt mußte man werden um zu lernen, was der Wind sagt und der Schnee und der Regen an den Fenster, was mein Seliger Bruder immer gewust hat und dabei an anderer Menschen Wohl und Wehe dachte.

Schiebs also auf den rauhen Winter auch vor Deinem Fenster da oben bei Dir in den Gebirge wenn Dich Deiner ewigen Freundin und alten Griesgramm und Murrkopf Schreibkunst wundert. Ich dachte nur einfach an Dich und konnte nichts anderst.

Schreib mir auch wie es Dir geht und was Du sonst treibst und grüße Spörenwagen, und Deinen Herr Bruder wenn’s er nicht übell nimmt auch, Du kommst nimmermehr und niemals mehr aus dem Gedächtniß von Deiner Freundin Dorette Kristeller.“ 

Am Morgen war dieser Brief mit der sonstigen amtlichen und außeramtlichen Korrespondenz des Pfarrhauses angelangt, und Pastor Prudens Hahnemeyer hatte ihn seiner Schwester zugeschoben mit der Bemerkung:

„Der Handschrift nach wieder von Deiner andern Sommerbekanntschaft, dem alten Fräulein Kristeller. Willst Du meine Meinung hören, Phöbe, so sage ich Dir, daß ich eine Fortsetzung dieses Verkehrs nicht gerade gern sehe. Ich höre und weiß, daß sie keinen guten Einfluß an den Krankenbetten, zu denen sie als Pflegerin gerufen wird, ausübt. Sie ist durch früheres Unglück verbittert und trachtet nicht auf unserem Wege nach dem was allein noththut, nach dem lezten Heil und Trost. Ich bin ihr einige Male begegnet bei den Geistig-Armen, und sie hat nie den besten Eindruck auf mich gemacht.“

„Willst Du diesen Brief lesen, Prudens?“ hatte nach einer Weile Phöbe mit zitternder Stimme gefragt, doch die Antwort war nur gewesen:

„Wozu? Bei Gelegenheit. Augenblicklich bin ich anders beschäftigt, Kind.“

Und während der junge Pfarrer, der Aeußerlichkeiten seines Amtes überdrüssiger denn je, sich in ein Konsistorialrundschreiben vertiefte, hatte das Kind leise sich mit seinem Theil von den schriftlichen Eräußerungen der Zeitlichkeit in sein Stübchen gezogen, um ohne Hilfe aus der Nähe und mit wenig Beistand aus der

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