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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)


Der Abend war gekommen über Gebirge und Thal. Auch diesmal unhold – kalt und windig; ein Abend, an dem man überall gern am Herde, am Familientische oder in der Schenke zusammenrücken durfte.

Drunten im Thale, im gemüthlichen Honoratiorenzimmer von Bremer’s Hofe sagte Doktor Eberhard Hanff, die lange Pfeife von Neuem in Brand setzend:

„Meine Herren, da kommen Sie eben wieder auf das, was Sie meine Beguinengeschichte nennen, die ganz hauptsächliche Historie von meinem armen kleinen Mädchen aus Halah und meinem merkwürdigen Baron, meinem Hauptpatienten der Saison. Und da möchte ich mir jetzt eine letzte – eine allerletzte Bemerkung gestatten. Nämlich Sie wissen, ich bin kein Kostverächter; ich halte ganz gern mit bei guten und schlechten Witzen und Schnurren, kein urältester Meidinger thut mir was an, ich wirke gern selber fröhlich mit dem alten Klassiker, wenn’s nicht anders sein kann, nach besten Kräften zur Auffrischung der Unterhaltung; aber – was das eben wieder aufs Tapet gebrachte Thema betrifft, bitte, so lassen Sie mich dabei aus der Konversation. Begutachten Sie das Ding, wie Sie wollen, reden Sie, was Sie wollen, aber lassen Sie mich einfach bloß zuhören. Kinder, unser Herrgott ist uns so gnädig gewesen in Zuführung von kostbarstem Unterhaltungsstoff fürs Winterhalbjahr; wie wär’s nun, wenn wir in Hinsicht auf diesen einzigen Punkt seine Güte ’mal nicht mißbrauchten? Es ist ja richtig; anlockend ist die Geschichte auch für uns hier bei Bremer; aber was meinen Sie zu dem Vorschlage, dieselbige diesmal gänzlich unseren Weibern zu überlassen und uns selber meinetwegen lieber an alles Andere zu halten? Doch, wie gesagt, thun Sie, was Sie wollen laut Paragraph Neunhundertneunundneunzig unserer ungedruckten Statuten: Zwang is nich! Sagen und singen Sie, ventiliren Sie, wenn Sie’s nicht lassen können; doch den Doktor Hanff lassen Sie gütigst diesmal als Berufungsinstanz aus dem Spiel. Diesen Kreisel treibe ich nicht mit. Warum? Darum! Dixi!“

Wir brauchen wohl nicht mitzutheilen, was der winterliche Stammgastkreis bei Bier und Tabak in Bremer’s Hofe hierzu meinte. Nur das wollen wir noch sagen, daß Alle, die weibliche Angehörige hatten, mit denen die Sache noch einmal durchsprachen, und zwar gründlicher als je vorher. Ob freilich die Sommergeschichte von Phöbe Hahnemeyer und ihrem „Baron“ und der schönen Valerie des Professors von Bielow dadurch mehr ins Klare gebracht wurde, müssen wir dahin gestellt sein lassen. Derartiges soll ja immer gut aufgehoben sein in den Herzen und Händen der Frauen, und das ist wenigstens eine Beruhigung. –

Ein ander Gewölk, ein anderer Erdendunst umfängt uns ein wenig weiter oben, im Kruge des Bergdorfes, an dem Tische, an welchem um dieselbe Abendstunde der Räkel das Wort nahm, nachdem der Vorsteher es vor ihm gehabt hatte.

„Sakerment, so schweigen Sie doch endlich mal still mit Ihrer ewigen Anspielung auf meine besseren Zustände, meine – Herren! Wie oft soll ich’s denn noch der Kameradschaft breittreten, daß sie wahrhaftig nicht schuld dran ist, wenn Unsereiner auch noch mal an den Tisch rücken kann in der honorigen Gesellschaft und Trumpf aufspielen? Na, daran rührt lieber gar nicht, Freundschaft, wenn es bei einem fernerweitigen guten Auskommen mit ’nander bleiben soll! … Hier, auf ihr Wohlsein! ich meine das liebe Fräulein aus dem Pastorhause. Wäre die nicht bei meiner Wuth und Tollheit, nach meiner Alten jammerhaftem Eingehen im Busch, so vernünftig und nachgiebig gegen den Herrn Professor, den Herrn Baron gewesen, so läge ich für Euch, Gevattern, wohl heute noch lange gut im Walde mit meinen Bälgern. Ihr hättet uns sicher nicht aus der Wildniß ins Dorf hereingeholt und freiwillig ’nem ordentlichen Kerl nach seinem Verdienst seine Ehre gegeben. Das Dach, das Futter, das Leben, das Ihr dem Volkmar Fuchs und seinen Angehörigen gönntet, das war was Rares; aber Ihr selber mochtet es freilich nicht geschenkt! Na, aber wie gesagt, darum keine Feindschaft mehr, denn wer die Menschheit in dieser Hinsicht kennt, der kennt sie. Wer in die Welt hinaus gewesen ist, weiß, wie es in ihr zugeht, und läßt nachher der angenehmen Unterhaltung wegen schon Fünfe gerade sein, wenn er wieder obenauf gekommen ist. Noblesse bleibt Noblesse, sagte mein Herr Graf, und Lümmel bleibt Lümmel, und Unsereiner bleibt Unsereiner, sage ich. Prost! Jawohl – Prost auf die Weibsleute, Gevatterschaft! denn wer anders als die Weiber haben dem Räkel wieder zu seiner Aestimation unter der Menschheit verholfen? Legt die Eine sich hin und wird von Euch aus dem Dorfe geschmissen, und stirbt ihm ab in der Wildniß, so kommt die Andere heraus und will sich zu ihr betten in ihrem Gottesherzen, pure um so ’nen räudigen Lumpen wie den Fuchs nicht länger lästern zu hören und in seinem Gift und verrückten, tollen Sinn zu lassen. Und die Dritte, na die Dritte, ja die Dritte, die Vornehmste, die reitet gar auf Visite zu dem Räkel unter den Windbruchhölzern und tunkt ihre Semmel zu Mittage in seine Igelsuppe auf Du und Du, bloß weil sie drunten im Bad von seinen Meriten und seinem Elend vernommen hatte. Gott segne es ihr vor allen, was sie und der Herr Baron, der Herr Professor durch ihre Konnexion am Volkmar Fuchs – dem Räkel vollbracht haben, nachdem sie in genauere Erfahrung gebracht hatten, wie sauber ihm mitgespielt worden war.“

„Das war eben der Glücksfall für Dich, Forstwart!“ meinte die Dorfkruggenossenschaft im Kreise. „Deiner Suppe wegen allein ist sie wohl nicht zu Dir im Windbruch gekommen, aber bedanken kannst Du Dich dafür, da hast Du Recht.“

„Die Frau Professorin soll leben, die Frau Baronin von Bielow soll leben, und wer da nicht mithält, der ist ein ungebildeter Mensch und socialer Lump und Hallunke. Warum? Darum! Das sage ich !“ rief der Räkel, auf den Tisch schlagend, daß alle Bier- und Branntweingläser aufhüpften.

Sie hielten auch Alle mit, bis auf Einen, den Meister Spörenwagen, der diesmal ausnahmsweise auch mit unter der Gesellschaft saß, da er in der Dämmerung der Krugwirthin eine neue Wiege ins Haus geschafft hatte. Der griff in seinem Winkel hinter sich an die Wand und langte seine Mütze vom Nagel und sagte: „Guten Abend, meine Herren!“ und ging. Er wußte, trotzdem daß er nicht auf Schulen und Universitäten gewesen war, wie der Landphysikus und Bade-Arzt Doktor Eberhard Hanff, doch vielleicht noch mehr von Welt und Leben, und wußte genauer als der, daß es selten etwas hilft, darin zum Rechten zu rathen und zu reden. Man kann sämmtliche Knochen, Adern und Muskeln im menschlichen Körper, und zwar bis ins Einzelnste, ganz genau kennen und doch der Kreatur im Ganzen gegenüber recht häufig mit wenig Nutzen seinen Athem und seine Ueberzeugungsgabe vergeuden. Wie sie drunten im Thal, in Bremer’s Hofe nach des Doktors Abgang über Gott und Welt, das Universum und noch Einiges jenseit desselben die Unterhaltung weiter führten, so diskurirten sie auch oben in dem Gebirge, in der Dorfkneipe weiter, nachdem Spörenwagen seinen Abschied genommen hatte, ohne der Gesellschaft vorher eine Rede gehalten zu haben.

„Was hatte denn Der wieder?“ fragte man im Kreise, und der Forstwart Fuchs brummte verdrossen:

„Laßt ihn ja laufen; die Kumpanei, in der Der sein Pläsirvergnügen finden wird, die soll noch lange gesucht werden. Wir Zwei sind ja jetzt wenigstens in Güte aus einander, und das ist ein Trost – Sakerment. Aber das will ein Demokrate sein und ein Philosophe, so Einer, dem Alles zu einem Knorren vor seinem Hobel wird! Lieber noch mit unserem Pastor in einem Bett, als mit dem an einem Tisch oder gar noch hinter einem Glase und einem Mädchen. Mit dem Pastor weiß man doch wenigstens, wie man mit ihm dran ist; aber wenn mir von diesem Heimtücker Spörenwagen Einer sagt: Fuchs, den kenne ich genau, es ist mein bester Freund! so sage ich: Kamerad, rücke ’nen Stuhl weiter und laß ’nen Andern zwischen uns sitzen; wir Beide passen nicht nahe zusammen. Was wollten Sie sagen, Schulmeister? Sie haben das Wort.“

„Ich wollte mir nur eine Bemerkung gestatten, nämlich in Anbetracht der Philosophie, meine Herren. Das hat wohl seine Berechtigung; denn Bildung ist freilich die Hauptsache in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_606.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)