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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

in Gegenwart von Zeugen.“ So die briefliche Mittheilung, auf welche Frau Hradscheck, als sie durch Eccelius davon gehört, diesem letztren sofort geantwortet hatte: „sie werde diese Reise nicht machen, weil sie nicht wisse, wie sie sich ihrem Manne gegenüber zu benehmen habe. Wenn er schuldig sei, so sei sie für immer von ihm geschieden, einmal um ihrer selbst, aber mehr noch um ihrer Familie willen. Sie wolle daher lieber zum Abendmahl gehn und ihre Sache vor Gott tragen und bei der Gelegenheit den Himmel inständigst bitten, ihres Mannes Unschuld recht bald an den Tag zu bringen.“ So was hörten die Tschechiner gern, die sämmtlich höchst unfromm waren, aber nach Art der meisten Unfrommen einen ungeheuren Respekt vor Jedem hatten, der „lieber zum Abendmahl gehn und seine Sache vor Gott tragen“, als nach Küstrin hin reisen wollte.

Kurzum, alles stand gut, und es hätte sich von einer totalen „Rückeroberung“ des dem Inhaftirten anfangs durchaus abgeneigten Dorfes sprechen lassen, wenn nicht ein Unerschütterlicher gewesen wäre, der, sobald Hradscheck’s Unschuld behauptet wurde, regelmäßig versicherte: „Hradscheck? Den kenn ich. Der muß ans Messer.“

Dieser Unerschütterliche war niemand Geringeres als Gendarm Geelhaar, eine sehr wichtige Person im Dorf, auf deren Autorität hin die Mehrheit sofort geschworen hätte, wenn ihr nicht seine bittre Feindschaft gegen Hradscheck und die kleinliche Veranlassung dazu bekannt gewesen wäre. Geelhaar, guter Gendarm, aber noch bessrer Saufaus, war, um Kognaks und Rums willen, durch viele Jahre hin ein Intimus bei Hradscheck gewesen, bis dieser eines Tages, des ewigen Gratis-Einschenkens müde, mit mehr Uebermuth als Klugheit gesagt hatte: „Hören Sie, Geelhaar, Rum ist gut. Aber Rum kann einen auch ’rum bringen.“ Auf welche Provokation hin (Hradscheck liebte dergleichen Witze) der sich nun plötzlich aufs hohe Pferd setzende Geelhaar mit hochrothem Gesicht geantwortet hatte: „Gewiß, Herr Hradscheck. Was kann einen nich alles ’rumbringen? Den einen dies, den andern das. Und mit Ihnen, mein lieber Herr, is auch noch nicht aller Tage Abend.“

Von der aus diesem Zwiegespräch entstandenen Feindschaft wußte das ganze Dorf und so kam es, daß man nicht viel darauf gab und im Wesentlichen bloß lachte, wenn Geelhaar zum hundertsten Male versicherte: „Der? Der muß ans Messer.“

*  *  *

„Der muß ans Messer,“ sagte Geelhaar, aber in Tschechin hieß es mit jedem Tage mehr: „Er kommt wieder frei.“

Und „he kümmt wedder ’rut“ hieß es auch im Hause der alten Jeschke, wo die blonde Nichte, die Line – dieselbe, nach der Hradscheck bei seinen Gartenbegegnungen mit der Alten immer zu fragen pflegte – seit Weihnachten zum Besuch war und an einer Ausstattung, wenn auch freilich nicht an ihrer eigenen, arbeitete. Sie war eine hervorragend kluge Person, die, trotzdem sie noch keine 27 zählte, sich in den verschiedensten Lebensstellungen immer mit Glück versucht hatte: früh schon als Kinder- und Hausmädchen, dann als Nähterin und schließlich als Pfarrköchin in einem neumärkischen Dorf, in welch letztrer Eigenschaft sie nicht nur sämmtliche Betstunden mitgemacht, sondern sich auch durch einen exemplarisch sittlichen Lebenswandel ausgezeichnet hatte. Denn sie gehörte zu denen, die, wenn engagirt, innerhalb ihres Engagements alles Geforderte leisten, auch Gebet, Tugend und Treue.

Solcher Forderungen entschlug sich nun freilich die Jeschke, die vielmehr, wenn sie den Faden von ihrem Wocken spann, immer nur Geschichten von begünstigten und genasführten Liebhabern hören wollte, besonders von einem Küstriner Fourage-Beamten, der drei Stunden lang im Schnee hatte warten müssen. Noch dazu vergeblich. All das freute die Jeschke ganz ungemein, die dann regelmäßig hinzusetzte: „Joa, Line, so wihr ick ook. Awers moak et man nich to dull.“ Und dann antwortete diese: „Wie werd ich denn, Mutter Jeschke!“ Denn sie nannte sie nie Tante, weil sie sich der nahen Verwandtschaft mit der alten Hexe schämen mochte.

Plaudern war Beider Lust. Und plaudernd saßen beide Weibsen auch heute wieder.

Es war ein ziemlich kalter Tag und draußen lag fußhoher Schnee. Drinnen aber war es behaglich, das Rothkehlchen zwitscherte, die Wanduhr ging in starkem Schlag und der Kachelofen that das Seine. Dem Ofen zunächst aber hockte die Jeschke, während Line weitab an dem ganz mit Eisblumen überdeckten Fenster saß und sich ein Kuckloch gepustet hatte, durch das sie nun bequem sehen konnte, was auf der Straße vorging.

„Da kommt ja Gendarm Geelhaar,“ sagte sie. „Grad über den Damm. Er muß drüben bei Kunicke gewesen sein. Versteht sich, Kunicke frühstückt um diese Zeit. Und sieht auch so roth aus. Was er nur will? Er wird am Ende der armen Frau, der Hradschecken, einen Besuch machen wollen. Is ja schon vier Wochen Strohwittwe.“

„Nei, nei,“ lachte die Alte. „Dat deiht he nich. Dem is joa sien ejen all to veel, so lütt se is. Ne, ne, den kenn ick. Geelhaar is man blot noch för so.“

Und dabei machte sie die Bewegung des aus der Flaschetrinkens.

„Hast Recht,“ sagte Line. „Sieh, er kommt grad auf unser Haus zu.“

Und wirklich, unter diesem Gespräch, wie’s die Jeschke mit ihrer Nichte geführt hatte, war Geelhaar von der Dorfstraße her in einen schmalen, bloß mannsbreiten Gang eingetreten, der, an der Hradscheckschen Kegelbahn entlang, in den Garten der alten Jeschke führte.

Von hier aus war auch der Eingang in das Häuschen der Alten, das mit seinem Giebel nach der Straße stand.

„Guten Tag, Mutter Jeschke,“ sagte der Gendarm. „Ah, und guten Tag, Lineken. Oder ich muß jetzt wohl sagen Mamsell Linchen.“

Line, die den stattlichen Geelhaar (er hatte bei den Gardekürassieren gedient), aller despektirlichen Andeutungen der Alten ungeachtet, keineswegs aus ihrer Liste gestrichen hatte, stemmte sofort den linken Fuß gegen einen ihr gegenüberstehenden Binsenstuhl und sah ihn zwinkernd über das große Stück Leinwand hin an, das sie, wie wenn sie’s abmessen wollte, mit einem energischen Ruck und Pupp vor sich ausspannte.

Die Wirkung dieser kleinen Künste blieb auch nicht aus. So wenigstens schien es Linen. Die Jeschke dagegen wußt’ es besser, und als Geelhaar, auf ihre mit Vorbedacht in Hochdeutsch gesprochene Frage, „was ihr denn eigentlich die Ehre verschaffe,“ mit einem scherzhaft gemeinten Fingerzeig auf Line geantwortet hatte, lachte sie nur und sagte:

„Nei, nei, Herr Gendarm. Ick weet schon, ick weet schon … Awers nu setten’s sich ihrst … Joa, diss’ Hradscheck … he kümmt joa nu wedder rut.“

„Ja, Mutter Jeschke,“ wiederholte Geelhaar, „he kümmt nu wedder rut. Das heißt, er kommt wieder ’raus, wenn er nich drin bleibt.“

„Woll, woll. Wenn he nich drin bliewt. Awers worümm sall he drin bliewen? Keen een hett joa wat siehn, un keen een hett joa wat utfunn’n. Un Se ook nich, Geelhaar.“

„Nein,“ sagte der Gendarm. „Ich auch nich. Aber es wird sich schon was finden oder doch finden lassen, und dazu müssen Sie helfen, Mutter Jeschke. Ja, ja. Soviel weiß ich, die Hradscheck hat schon lange keinen Schlaf mehr und ist immer treppauf und treppab. Und wenn die Leute sagen, es sei bloß, weil sie sich um den Mann gräme, so sag ich: Unsinn; er is nich so und sie is nich so.“

„Nei, nei,“ wiederholte die Jeschke. „He is nich so un se is nich so. De Hradschecks, nei, de sinn nich so.“

„Keinen ordentlichen Schlaf also,“ fuhr Geelhaar fort, „nich bei Tag und auch nich bei Nacht, und wankt immer so ’rum, und is mal im Hof und mal im Garten. Das hab ich von der Male … Hören Sie, Mutter Jeschke, wenn ich so mal ’ne Nacht hier auf Posten stehen könnte! Das wäre so was. Line bleibt mit auf, und wir setzen uns dann ans Fenster und wachen und kucken. Nich wahr, Line?“

Line, die schon vorher das Weißzeug bei Seite gelegt und ihren blonden Zopf halb aufgeflochten hatte, schlug jetzt mit dem losen Büschel über ihre linke Hand und sagte: „Will es mir noch überlegen, Herr Geelhaar. Ein armes Mädchen hat nichts als seinen Ruf.“

Und dabei lachte sie.

„Kümmen’s man, Geelhaar,“ tröstete die Jeschke, trotzdem Trost eigentlich nicht nöthig war. „Kümmen’s man. Ick geih to Bett.

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