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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

so gebe ich es auf, mich ferner für mein armes Dasein zu wehren. Also, nicht wahr, wie Sie mich vordem in Rom und Neapel aus den behandschuhten Klauen von Principe und Principessa – Konte, Kontessa und Kontessina gerettet haben, so werden Sie das auch jetzt an jenem da unter uns liegenden unheimlichen Ort moderner geselliger Sommerqualen versuchen? Nicht so? Sie bleiben in unserer Nähe die nächsten Wochen durch und konserviren die arme Valerie noch einmal für das winterliche, hauptstädtische: Spielt auf, Musikanten!?“

„Wie Sie befehlen, meine Gnädigste. Vorausgesetzt, daß Sie mir morgen noch einen kurzen Abstecher – einen Schritt vom Weg – abseits von Ihrem Wege, Valerie, zulassen wollen.“

„Einen Abstecher? Einen Schritt von meinem Wege? Wenn Sie morgen nach auch hier überwundenem Sonnenaufgang mit mir zu Thal fahren dürfen? wenn Sie mein Saumthier und mich, an Klipp und Abhang, das eine vor dem Sturz in den Abgrund, das oder die andere vor dem Versinken in die unendliche Tiefe der Konversation ihrer Weggenossenschaft bewahren können?“

„Es ist ein Zufallswunsch, dessen Erfüllung mir hier so nahe gelegt ist. Wie Einem solch’ eine Adresse durch ein Zeitungsblatt in die Hände geweht wird. Ein Universitätsfreund aus längst versunkener Bildungsepoche sitzt mir da in einem abgeschiedenen, der Welt unbekannten Bergdorfe als Pfarrer.“

„Und Sie wünschen sich einen Hauch und Schein aus seiner möglichen Idylle mit zu nehmen in den Verkehr mit uns? Nun, da wäre ich freilich die Letzte, welche Ihnen das verdenken könnte. Aber bedingungslos zähle ich gerade darum auf Ihr Wiedererscheinen übermorgen in unserer buntscheckigen Narrenwelt. Und dann berichten Sie mir so genau wie möglich von Ihrer Wald-, Fels- und Pastoren-Idylle und nehmen auch mich noch einmal möglichst tief mit hinein in dieselbige. Wie Ihr durchaus nicht genügend für mich motivirter Schritt vom Wege ausfallen mag, Sie werden mir jedenfalls von ihm etwas Anderes mit bringen als Onkel Antonio’s antiquirte Gesandtschaftsattaché-Reminiscenzen aus Wien und Byzanz und Vetter Claudio’s unerträgliche Hoppegartenhistorien und geschmacklose Hero- und Leander-Gefühlsäußerungen.“ –

Nun überdachte Veit, jetzt allein mit sich in der tiefen Stille der Natur auf dieser andern Felsenkuppe über diesem Dorfe und Kirchhofe, von welcher Idylle er demnächst dort unten an der Wirthstafel im Aktienhôtel zu erzählen haben werde, wenn er es nicht vorzog, oder wenn es ihm nicht zu schwer gemacht wurde, über seine Betheiligung daran zu schweigen. Im Ganzen, für den größern Kreis seiner guten Bekannten und Freunde und Freundinnen hätte er sich wohl in der Ueberlegung beruhigen können, wie leicht es ist, mit Worten über Etwas hinweg zu kommen, wenn nicht das Schicksal selbst Einem das Wort im gegebenen Augenblick tödtend oder erlösend aus dem Munde und aus der Seele reißt.

Das letztere war’s, was ihn nunmehr plötzlich im Sprung aus seiner Ruhe zwischen dem warmen Gestein, im Haidekraut und Duft der frischen Tannenanpflanzung um ihn her, aufjagte:

Was für ein Gesicht konnte Valerie zu seiner Eigenthumserwerbung zur Rechten und Linken des Weibes des Wilderers, des Räkels Volkmar Fuchs machen?

Er fuhr mit dem Taschentuch über die heiße Stirn, und einen Augenblick erfüllte ihn unumstößlich die Gewißheit, daß es besser sei, wenn er diesmal sein verpfändet gesellig Wort nicht einlöse und nicht dem Fräulein in den nächsten Wochen drunten im Bad als Begleiter durch den Alltag diene. Es überkam ihn sogar die Lust, seinen Stab und seine Tasche im Pastorenhause im Stich zu lassen und zu versuchen, ohne sie die nächste Eisenbahnstation zu erreichen.

Diese Stimmung konnte aber natürlich nicht anhalten. Am nächsten Morgen ist er mit Tasche und Wanderstab mit dabei gewesen, als man die Fee begrub. – –

Am nächsten Morgen, ganz in der Frühe, als die Sonne eben erst über die Berggipfel herauf kam, hat man die Fee begraben, und ihr Mann hat keinen Einspruch mehr erhoben, sondern sich jetzt vom Anfang bis zum Ende sehr gut und sogar recht höflich und als Mann von Sitten und Anstand dabei betragen. Er hat Spörenwagen’s Werk und Beihilfe in der späten Abenddämmerung ohne Weiterungen angenommen und hat auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, daß der Meister in dem kleinen Gefolge am Morgen von der Vierlingswiese nach dem Kirchhofe mit ging und das Hauptende des Sarges mit trug.

Wenige Leute sind bei dem Begräbniß zugegen gewesen. Für einen großen Theil der Dorfbevölkerung fand es eben zu früh statt; und übrigens hatte der Vorsteher gern Wort gehalten und seine ganze Autorität aufgeboten, Alles „was wohl schon bei Beinen war, aber sonst nichts bei der Sache zu schaffen hatte,“ zu überreden, mit seiner Antheilnahme für diesmal zu Hause zu bleiben oder höchstens sich mit ihr hinter dem Zaune zu postiren.

An der Gruft, die Veit von Bielow gestern von dem Granitblock über dem Friedhof auf seinem Eigenthume graben sah, hat auch Prudens Hahnemeyer sich mäßig gehalten und zu dem feierlichen liturgischen Staub zu Staub, Asche zu Asche nur wenige ungewöhnlich ruhige und freundliche Worte gesprochen. Sie haben Alle ihre drei Hände voll Erde auf den armen Leib der Fee geworfen, und die Träger und der Todtengräber haben die Grube rasch gefüllt. Dann sind sie Alle gegangen, der Pastor Prudens, Spörenwagen, der Kantor und seine Leute. Und auch Volkmar Fuchs mit den Kindern hat sich scheu, gebändigt und wie beschämt zur Seite weggeschlichen und sich in den Wald geschlagen. Zurückgeblieben an dem fürs Erste nur halb zugeschaufelten Grabe sind nur Phöbe und der flüchtige, aber von jetzt an mit ihr so ernster Weise diesem Orte verbundene Gast ihres Daches.

Ob das hier nur bloß ein Symbol, ein Wahrzeichen, ein Merkmal blieb, und der Räkel und seine Jungen dermaleinst sich hier niederlegten, oder ob aus dem Zeichen eine Wirklichkeit wurde und Veit für sich und die Schwester aus Halah hier das letzte sicherste Eigenthumsrecht an die Erde erworben hatte: Nachbarn, Ruhegenossen außerhalb des Werkeltages waren sie geworden und blieben sie.

„So leben Sie wohl, Phöbe, liebe, liebe Phöbe; – wir werden uns wiedersehen!“

„Nach des Herrn Willen!“ sagte die Schwester aus Halah kaum hörbar. „Er hat Dies zugelassen und wird es uns nicht als eine Vermessenheit, als eine Sünde zurechnen. Er möge uns immer und an jedem Orte bereit finden für seinen Frieden und zu seiner Ruhe! Liebe Freunde müssen wir wahrlich nun uns bleiben für alle unsere Tage auf Erden.“ –

Erst spät am Abend kam Professor von Bielow herab aus den Bergen und Wäldern. Da fand er sich im lichterglänzenden Kurhause unter dem Thürvorhange des Tanzsaales lehnend und sah Valerie im Reigen glühend, lächelnd, die Locken schüttelnd an sich vorbeistreifen. Nie in seinem Leben hatte er so zwischen Wachen und Traum mit solchem innerlichsten Bangen auf ein schönes tanzendes Mädchen hingesehen. –


13.

Die Saison war in ihrer vollsten Blüthe. Dieser beliebte Badeort für Gesunde hatte selten eine so gute Gesellschaft wie diesmal um seine unschädlichen Quellen versammelt gesehen. Sogar wirkliche „Namen“, das heißt, solche, die wenigstens augenblicklich etwas bedeuteten, waren vorhanden. Kluge Worte und alberne Redensarten in allen Mundarten des Vaterlandes, sowie auch verschiedenen fremdländischen Zungen, auf allen Pfaden, auf allen Aussichtspunkten, in den Sälen und Korridoren aller Hôtels, auf den Terrassen und unter den Veranden aller Villen! Musik am Morgen, Mittag und am Abend – das Wetter außergewöhnlich gut, und somit, wenigstens dem äußern Anschein nach, alle Welt höchlichst einverstanden mit ihrem Vorhanden- und Beisammensein in diesen heiteren, andauernd gute Witterung versprechenden Tagen und lauen, für den Längen- und Breitengrad merkwürdig angenehmen Nächten!

Andere haben dieses Alles häufig und mit Talent bis ins Einzelnste geschildert und werden es uns noch oft beschreiben. Wir haben nur zu sagen, daß Veit von Bielow nicht ohne freudige Ueberraschung in seiner Thüröffnung entdeckt und sofort in den innersten und feinsten Cirkel inmitten des allgemeinen modernen Sommersabbathgedränges hinein gezogen wurde und, nicht ungern die Erlebnisse, Bilder und Gedanken des heißen, wunderlichen Tages von sich abschüttelnd, durch die Nacht im bunten, rauschenden Strome des Lebens mitschwamm. –

„Und nun seien Sie einmal sehr liebenswürdig, Bielow, und nehmen Sie sich meiner ein wenig an. Sehen Sie dieses Volk, diese Gesichter um uns her und finden Sie selber die Entschuldigung meiner Sehnsucht nach einem vernünftigen Menschen. Aber ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_526.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)