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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Was ist das für ein Mann? Das Wohlwollen der Gemeindegenossen scheint er gerade nicht für sich zu haben.“

Da lächelte Phöbe und meinte:

„Einer meiner besten Bekannten hier im Orte und, wie er selbst sagt und ich auch glaube, mein guter Freund. Ich kenne so wenig von den Menschen überhaupt; doch ich glaube, daß er wirklich Zuneigung zu mir hat und es mit uns zum Besten meint. Er ist gleichfalls weit in der Welt herumgewesen und kann wunderlich darüber reden. Es ist mir lieb, daß Sie ihn kennen lernen werden. Spörenwagen heißt er.“

„Beste Bekannte – gute Freunde von Ihnen, freundliche Nachbarin, muß ich immer zu den meinigen rechnen dürfen.“

„Er ist auch vor Jahren der gute Freund des armen Volkmar gewesen; aber um die arme Anna sind sie auseinander gekommen und leider bittere Feinde geblieben bis heute.“

„Hm,“ meinte der Professor, „da bedarf es denn wohl eines neuen Kampfes?“

„Ich glaube nicht,“ sagte Phöbe. –

Sie hatten seitwärts vom Dorfe eine ziemliche Strecke entlang eines vom eisenhaltigen Boden röthlich-braun gefärbten Baches zwischen Laubgebüsch und mächtigen Steinklötzen zu wandern, ehe sie zu der Werkstatt und Behausung des Meisters Spörenwagen gelangten; und sie fanden, oder vielmehr Herr Veit von Bielow fand, in der That einen Mann, der wohl einer näheren Bekanntschaft werth war, bei der Arbeit.

„Ich bin es, Herr Spörenwagen,“ sagte Phöbe, den ortsgewohnten Gruß anfügend: „Glück auf!“

„Besten guten Morgen, mein Fräulein; guten Morgen, mein Herr,“ erwiderte ein zäher trockener Junggesell, sich von seiner Hobelbank aufrichtend und mit unverkennbarem, weltmännischem „zu benehmen wissen“ ein gesticktes Troddelmützchen von einem bereits ziemlich kahlen Schädel lüftend.

„Ein Jugend- und Universitätsfreund meines Bruders; Herr von Bielow!“ sagte Phöbe, ihren Begleiter vorstellend.

„Mein Name ist Spörenwagen. Habe bereits die Ehre gehabt, von dem Herrn Baron zu vernehmen – ’s trägt sich schon um, und nicht bloß bei uns hier im Dorfe, wenn Einer den Geldbeutel zieht, wo er es gar nicht nöthig hat.“

„Sie wissen also so ziemlich genau, weßwegen wir zu Ihnen kommen, Herr Spörenwagen?“ fragte Veit.

Der Meister nickte, ein paar Schemel mit seinem blauen Handwerksschurz abfegend.

„Wollen die Herrschaften nicht einen Augenblick Platz nehmen? Fräulein Phöbe, Sie wissen ja schon, so leicht kommen Sie nicht wieder fort, wenn ich einmal die Ehre von Ihnen habe. Und im gegenwärtigen Fall ist wohl noch Einiges etwas genauer zu besprechen. Nämlich Sie kommen mir eigentlich recht in die Quere, Herr Professor.“

„Wieso, Meister?“ fragte Veit nicht ohne einige Verwunderung.

Spörenwagen, seinen Hobel ausblasend, deutete auf seine Arbeit:

„Nämlich seit gestern Abend, wo die Nachricht vom Abscheiden der Frau von der Vierlingswiese zu mir gebracht ist, bin ich am trübseligen Werke, ohne auf officielle oder gar gütige Bestellung gewartet zu haben. Warum? darum! Wenn der Herr Baron von meinem Verhältniß zu dem Rä–, dem Volkmar Fuchs genauer Bescheid wüßte, so könnte er sagen: Nun ja, in solchem Falle thut man eben für seinen schlimmsten Feind mit Vergnügen, was man für seinen besten Freund mit Schmerzen thäte. – Aber so ist es nicht! Fräulein Phöbe weiß es hoffentlich, so ist Spörenwagen nicht! – Weßhalb denn aber? Etwa weil sich für einen vernünftigen Menschen, der nicht auf dem Miste, auf den ihn seine Mutter hingesetzt hat, sitzen geblieben ist, sondern aber sich in der Welt umgesehen hat und bis ins Ungarland und weiter gewesen ist, Mancherlei klar giebt, was seinen umwohnenden, angestammten, eingeborenen Mistfinken in Ewigkeit dunkel bleibt? allgemeines Wohl – öffentlicher Nutzen – selbstverständliche Sanitätsgesundheitslehre! Auch wohl mit; aber – für einen armen Teufel wie Unsereinen doch kein hinreichender Grund, sich privatim zur Aushilfe anzubieten –“

„Die Betrübniß ist es,“ sagte Phöbe. „O, zählen Sie nur nicht weiter auf, was es Alles sein könnte, weßwegen Sie die ganze Nacht an dieser traurigen Arbeit gewesen sind, Spörenwagen. Das Mitleid und die Erinnerung an vergangene Tage. Ich weiß es ja freilich, wie es vor Jahren anders gekommen ist, als Sie es sich zu Ihrem und der armen Anna Glück auf Erden vorgestellt hatten. Das hat Gott nicht so gewollt; eine lichte Stelle hat er in Ihrer Seele erhalten wollen; und in der vorigen Nacht hat der Schein Ihnen bei der Arbeit geleuchtet, und Sie haben eine gute Nacht bei dem bittern Werke gehabt und brauchten gewiß nicht zu fragen, ob Sie dem armen Volkmar recht kommen würden und ob die Gemeinde für die Kosten einstehen werde.“

„Nun sehen Sie mal, mein lieber Herr Professor,“ wendete sich sonderbarerweise Meister Spörenwagen an Veit Bielow, „so sitzen nun jede Woche die beiden besten Freunde im Dorfe, nämlich dies liebe Fräulein hier und ich, und sagen sich gegenseitig die schönsten Flattusen. Nämlich sie mir; denn wo könnte ich konfuse Tischlergesellenherbergskreatur wohl etwas von dergleichen gegen sie aufbringen, was sie mir nicht mit der puren, leichten umgekehrten Hand per Distanz aus der Faust wehte? Was hülfe es nun, wenn ich sagen wollte: Fräulein, es ist nicht bloß das, wie Sie sich dies in Ihrem frommen, jungen, lieben Herzen denken – das Mitleiden, das Angedenken an vergangene Zeiten, oder wie’s in den Städten zur Drehorgel oder hier in den Bergen hinterm Spinnrade oder der Kuhherde von unglückseliger Liebe, zwei Königskindern und dergleichen gesungen wird! Es ist nur weil Spörenwagen nur noch an den Hobel, den großen Hobel, den allgemeinen Hobel, der über Knubb und Knorren geht, glaubt, daß er sich diese Arbeit zu seinem Privatgenügen leistet. Dem Fräulein darf ich eigentlich mit diesem meinem Glauben nicht recht kommen und dem Herrn Bruder, dem Herrn Pastor Hahnemeyer noch weniger. Aber da frage ich nun eben Sie, Herr Professor, wie hilft sich Unsereiner gegen die Astknorren vor ihm? Durch den großen Hobel, sage ich! Der liefert für’n denkenden Menschen am Ende, meine ich, doch einzig und allein die feine Maser im Fournier, mit dem Jeder doch nach seiner Weise die Welt belegt haben möchte. Wo hülfe die allerbeste Politur, Herr Baron, wenn nicht der Mensch vorher mit dem Hobel, dem Allgemeinheitshobel in seiner Seele und Ueberlegung und Philosophie über alle Astknorren vor ihm auf seinem Wege sich hingequält hätte? Nämlich, und damit komme ich nun wieder auf meinen ganz speciellen Knorren, meinen alten hiesigen Schulkameraden, den Volkmar Fuchs. Ich hoffe zu Gott, daß Fräulein Phöbe es mir aus unserer intimen Bekanntschaft bezeugt, daß ich die ganze Nacht durch meinen Hobel nicht aus Rachegefühl gegen ihn geführt haben kann. Und gar gegen die Fee, sein Weib, das arme Geschöpf, die Anna! Was konnte denn die dafür, daß wir uns ihretwegen seiner Zeit die Köpfe blutig schlugen? Er hat sie mir abgewonnen, und ich bin in die weite Welt gegangen. Daß ihn sein Herr Graf seines Bartes wegen mal mit nach draußen genommen hat, das ist nichts; denn davon hat er nur den Schimpfnamen ‚der Räkel‘ mit nach Hause gebracht. Ich aber habe auf meiner Wanderschaft gelernt, den Hobel in meinem Gemüthe in der richtigen Weise zu handhaben, und in der vergangenen Nacht hat der glatt gemacht, was noch als Knubb und Knorren in mir gegen meinen alten Kameraden und mein Mädchen und meine Herzliebste vorhanden sein mochte. Sie haben von Dorfswegen den Volkmar und seine Familie auf die Vierlingswiese abgeschoben und haben wohl daran gethan; aber einzusehen braucht ein Mensch wie er das nicht; dazu gehört eben schon ein anderer Hobel im menschlichen Innersten; Kultur und Verständniß gehört hierzu. Woher hätte der Räkel Kultur und sociales Verständniß schöpfen sollen? Aus seiner Wildjagd im Walde? aus seinem Haushalt mit der armen Kreatur, der Anna, in freier Luft des Sommers und im Winter im Stall, wo kein Bauer sein Schwein einsperrt? Oder im Zuchthause? Im letztern wohl noch am ersten, zumal da er doch auch Ehre in sich hatte auf seine Weise, was sich ja auch ausgewiesen hat, da er viel hochmüthiger gegen uns hier im Dorf herausgekommen ist, als er hineingegangen ist.“

„Was Sie damals – in seiner Abwesenheit an der Frau und an den Kindern gethan haben, das wird Ihnen der liebe Gott gewißlich ansehen, Spörenwagen,“ sagte Phöbe Hahnemeyer; aber der Meister, sich auch jetzt mit seiner Rede mehr an seinen männlichen Besuch wendend, brummte:

„Ach, was hab’ ich denn da viel thun können? Natürlich hat es mir doch ein menschlich Gaudium sein müssen, der Fee

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