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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Wien oder Berlin in derselben Weise tonangebend wird, wie es bisher Paris war. Auch können wir uns der Wahrnehmung nicht verschließen, daß jetzt schon in nmnchen Stücken, wie z. B. in Allem, was auf den Sport Bezug hat, die englischen Herrenmoden auf dem Festlande einen großen Einfluß ausüben. Allein der Frack ist, was seine Grundform anlangt, überhaupt keine Tagesmode, sondern eine stationär gewordene Tracht, eine stehende Gesellschafts- und Kulturform, welche hundert Jahre Geschichte hinter sich hat und gewiß auch noch einige Jahrzehnte Zukunft vor sich. Wie oft schon hat man Sturm gegen denselben gelaufen, namentlich auch in Deutschland! Ja, es ist immer Deutschland gewesen, das über eine „Nationaltracht“ philosophische Betrachtungen angestellt, aber es mit deren praktischer Durchführung nur zu sehr bescheidenen Anfängen gebracht hat. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts entstand in England und Frankreich eine plötzliche Umwälzung der Tracht, welche man in Deutschland sklavisch mitmachte.

Am 10. Januar schreibt ein Berliner Korrespondent in dem „Journal des Luxus und der Moden“:

„Fast jeder Stand, fast jede Klasse, z. B. das Militär (nämlich außer der Uniform), die Akademien, die junge Kaufmannswelt, der junge Adel der Höfe und Residenzen, hat seine eigenen Uebertreibungen und Karikaturen im Kostüm. England und Frankreich lieferten aber Deutschland immer die ersten Originale dazu und waren stets die Klippen, an denen der Verstand und gute Geschmack unserer jungen Welt so oft scheiterte. Frankreich stellte uns erst seine süßen Petitmaitres und Elegants, hernach seine cynischen Sansculottes und nun seine wildfreien Incroyables, sowie England seine Maccaronis, Fine gentlemen und Bloods auf, und unsere jungen Deutschen französirten und englisirten sich nach Herzenslust und schraubten natürlich die Wirbel noch um etwas höher, um doch auch Etwas von dem ihrigen hinzuzuthun.“

Der Korrespondent liefert in der beigegebenen Zeichnung einige Musterbilder aus Berlin, denen an Haar und Hut, Halstuch und Frack bis auf „lange, weite Matrosenhosen von Nanking im Winter“ nichts von der ganzen revolutionären Stutzerherrlichkeit abgeht. (Siehe Jakob von Falke, „Die deutsche Trachten- und Modenwelt“, Bd. II, Seite 316 und ff.)

Je schlimmer die Wirklichkeit sich gestaltete, desto mehr schwärmte man für Ideale. Ein „teutscher Patriot“ schlug eine Nationaltracht vor. Die Anhänger dieser „Idee“ sollten sich an jedem Orte, sei er groß oder klein, zu Vereinen zusammenthun, sich durch Unterschriften verpflichten, Beiträge zeichnen, und an einem und demselben, von der Centralleitung zu bestimmenden Tage sollten dann alle die zahllosen Mitglieder dieser zahlreichen Vereine auf der Straße in der „Nationaltracht“ erscheinen – mit dieser Thatsache sei die große Reform endgültig festgesetzt und erschienen.

Natürlich ist aus der Sache nichts geworden. Statt der Nationaltracht kamen die Fremdherrschaft, die Franzosenzeit, die französischen Moden.

Als aber das französische Joch abgeworfen war, da waren es die deutschen Studenten. welche auf den Gedanken der Nationaltracht zurückkamen. Sie erfanden „die deutsche Tracht“ und wußten derselben Eingang zu verschaffen, wenigstens unter einem Theile der Studenten, nämlich unter denjenigen, welche zur Burschenschaft gehörten oder sich zu ihr hielten.

Allein Alledem wurde durch die Reaktion, die seit 1819 immer mächtiger und rücksichtsloser auftrat, ein Ende gemacht. Wer einen deutschen Rock mit übergeschlagenem Hemdekragen trug, hatte sicher Anwartschaft auf das Gefängniß. Denn diese Tracht galt für „denmgogisch“. Sie dauerte beinahe vierzig Jahre, diese grausame Verfolgung einer harmlosen Jugend – wie uns solche Fritz Reuter in seiner „Festungstid“ schildert – und erst Friedrich Wilhelm IV. machte derselben ein Ende für Preußen, wo sie am schlimmsten grassirt hat.

An diese „Nationaltracht“ von 1798 und 1820 wurde ich lebhaft erinnert, als ich einen Aufsatz des Professor Bruno Meyer las, welcher Aufsatz vor Kurzem die Runde durch die deutschen Zeitungen gemacht hat. Namentlich druckten die Blätter seine Polemik gegen den Frack ab, welche lautete wie folgt:

„Eins aber ist zur Reform der männlichen Kleidung unbedingt und sofort nothwendig: die Abschaffung des Fracks. Es ist schon im Princip unrichtig, für feierliche Gelegenheiten eine bestimmte Kleiderform zu monopolisiren, und nun gar eine von allen im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Kleiderformen abweichende. Praktisch erreicht man damit gerade das Gegentheil von dem Beabsichtigten: Es werden durchschnittlich schlechtere Kleider in der Gesellschaft getragen, als bei stetem Wechsel geschehen würde, und was gar im formellen amtlichen Verkehr für ‚Hüllen‘ Verwendung finden, weil es ja doch einmal bei bestimmten Gelegenheiten diese und keine andere Form sein muß, das glaubt man nicht, wenn man es nicht gesehen hat. – Man verlangt doch von den Damen nichts dergleichen. Denn auch das ausgeschnittene Kleid ist schon längst nur noch in der Hofgesellschaft unumgänglich und wird doch vor allen Dingen sehr vielfach auch in gewöhnlicher Toilette getragen. Und warum sind denn selbst gegenüber der strengen Hofetikette unter dem Namen von Uniformen, National- und Amtstrachten u. dergl. alle möglichen Formen von Anzügen zulässig? Also fort mit einem einzigen, sonst im Leben nicht getragenen Gesellschaftskleidungsstück! Und vollends zehnmal fort damit, wenn es sich um ein Kleidungsstück von solcher Sinn- und Geschmacklosigkeit handelt, wie der Frack ist. Sollte es in unserer Zeit, in der durch Vereinigungen und Vereine so manches Vernünftige bewirkt und ins Leben gerufen wird, gar nicht möglich sein, in der angedeuteten Richtung einen Fortschritt anzubahnen?“

„Unbedingt und sofort“ – „Vereinigungen und Vereinen“ – so hieß es auch 1798 und 1820. Gewiß ist das Alles gut gemeint und schön gesagt, und ich bin weit entfernt, dem Aesthetiker und Kulturhistoriker in Sachen des Geschmacks zu widersprechen. Aber

„Die Botschaft hör’ ich wohl,
Allein mir fehlt der Glaube,“

namentlich der Glaube an daa „Sofort und Unbedingt“.

Ich möchte mich nicht zum Lobredner, sondern zunächst nur zum Geschichtschreiber des Fracks machen und dann kurz das „Für“ und „Wider“ unparteiisch gegen einander abwägen.

Wir wissen, wie der Zopf die Perücke verdrängt hat, wie der Zopf ursprünglich ein Symbol der Aufklärung, und wie z. B. Friedrich der Große so recht der eigentliche Vertreter des Zopfes war; wie aber dann allmählich der Umschwung eintrat und im Laufe unseres Jahrhunderts der Zopf als Zeichen des Rückschritts und der Geschmacklosigkeit angesehen wurde und dann verschwand, als wenn er nie existirt hätte.

Ungefähr um dieselbe Zeit, wie der Zopf, ist auch der Frack aufgekommen, aber er hat mehr Widerstandsfähigkeit und Lebenskraft bewiesen, als jener. Vielleicht deßhalb, weil er ursprünglich aus militärischen und ritterlichen, insbesondere aus kavalleristischen Kreisen hervorging, was man freilich dem Fracke von heutzutage, namentlich dem Fracke der Kellner und dem sogenannten „Loyalitätsfracke“ nicht mehr ansieht. Und doch ist es so. Denn Folgendes ist die Genesis, die Entstehungsgeschichte des Fracks.

Dem Reiter waren die vorn lang herabhängenden Rockschöße zuweilen im Wege. Gegen Regen und Unwetter waren sie auch nicht sehr dienlich; dazu hatte man ja den Mantel.

So kam man denn auf den Einfall, die Rockschöße nach hinten zurückzuklappen. Auf jeder Seite hinten wurde ein Haken oder ein Knopf angebracht, mittelst dessen man den vorderen Rockzipfel nach hinten und nach oben zurück- und hinaufknöpfte, so daß das Rockfutter nach außen sichtbar wurde. Dadurch, daß nun das Rockfutter, das bis dahin, nach innen gekehrt, dem stillen Veilchen gleich nur im Verborgenen blühte, an das Licht der Oeffentlichkeit trat, wurde man genöthigt, demselben eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man liebte damals eine gewisse Buntheit und Vielfarbigkeit in der Kleidung, auch bei den Männern; – alle Welt trug „zweierlei Tuch“, nicht nur die Soldaten. Beinahe jeder Stand hatte eine, nicht auf dem Wege des Befehls und der Mannszucht, sondern auf dem der Ueberlieferung, der Gewöhnung und der Sitte eingeführte besondere Tracht und Farbe der Kleidung.

Noch zur Zeit unserer Großeltern hatte der Schulmeister einen hechtgrauen, der Müller einen blaugrauen, der Jäger einen hellgrünen, der Gerber einen lohfarbenen, der Schneider und der Maurer einen dunkelblauen, der Leineweber einen hellblauen, der Schäfer einen weißen, der Professor einen kaffeebraunen, der Fleischer einen rothbraunen und der Musikus einen zimmetfarbenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_507.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)