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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

anbetrifft, so will ich dem noch einen besseren Spaß vorschlagen; nämlich er schenkt mir heute Abend so nach zehn Uhr nochmals die Ehre. Dies bleibt aber unter uns! – nicht wahr? Das Mädchen kann mit der Laterne mitgehen, der unvermutheten ehrenvollen Begleitung wegen. Der Junge und ich brauchen das Licht nicht. Aber der Junge ist erst sieben Jahre alt und wohl noch ein wenig schwächlich für das Geschäft. Will der Herr ihm und mir mit seiner Mutter in die Wildniß helfen und auch beim Graben helfen, so will ich seine Hilfe mit Dankbarkeit annehmen, da er aus der Fremde kommt und nichts mit der Schufterei rundum zu schaffen hat. Das ist das Letzte, was ich der Polizei und dem Dorfe anbiete.“

„Ein vernünftiges Wort will ich statt dessen noch mit Ihnen zu reden versuchen, Herr Volkmar Fuchs,“ sagte Veit Bielow laut, während er im Stillen dachte: wie weit kämen wir hier mit der Vernunft? – „Mit dem Dorfe,“ fuhr er fort, „mit der Polizei, dem Vorsteher, dem Herrn Pastor, kurz was man so im Allgemeinen die ganze Menschheit nennt, wollen Sie nichts mehr zu thun haben. Sie glauben von alle Dem schlechter behandelt worden zu sein, als sich für Ihre Aufführung gebühre. Wie weit Sie zu diesem Glauben berechtigt sind, kann ich nicht wissen, da Sie eben selbst ganz richtig bemerkten, daß ich mit der hiesigen Schufterei nichts zu schaffen habe. Ich nehme an, daß Sie vollkommen in Ihrem Rechte sind und daß es sehr unrecht von den Leuten war, einen Ortsscherz aus Ihrem Namen zu machen und Sie als den Räkel im Dorfe und im – Walde herumlaufen zu lassen. Daß Sie übrigens nicht ohne Nutzen mit Ihrem Herrn Grafen Ihres schönen Bartes wegen draußen in der größeren Welt gewesen sind, Herr Fuchs, habe ich auch bereits bemerkt. Doch das ist einerlei; Sie stehen nun einmal auf dem Kriegsfuße mit Ihren Ortsgenossen, früheren besten Spielkameraden und guten Nachbarn, und Sie geben nicht nach. Sie wollen Ihr Weib im Tode nicht Hügel an Hügel, Kreuz zwischen Kreuzen in der Gemeinschaft Derer haben, die ihr vielleicht im Leben aus dem Fenster nachlachten, oder sie aus ihrer Thür stießen. Nun wohlan, Volkmar Fuchs, für den Spaß auf der Wanderschaft über diese harte Erde habe ich nie viel Geld übrig gehabt, wohl aber dann und wann einiges für den Ernst, den bittern – bittersten Ernst! Hat die Anna Fuchs in ihrer letzten Stunde gerufen, daß sie nicht zwischen ihren Feinden liegen möge, so wird sie nichts dagegen einzuwenden haben, allein gebettet zu werden mit einem freien Platz zur Rechten und zur Linken, wenn nicht für ihren Mann, den Räkel, und ihre Jungen, so für ihre Freunde – die Phöbe Hahnemeyer und den Veit von Bielow zum Beispiel! Haben Sie, Phöbe, etwas dagegen einzuwenden, daß wir Beide der Armen zu einer Schutzwehr dienen – nicht gegen ihre stillen Nachbarn dort auf jenem ruhigen Gartenfleck, sondern gegen den bellenden Zorn und verstockten, kindischen Groll dieses unzurechnungsfähigen Menschen?“

Das Wort klang hell, lebensfrisch – wie vollkommen überlegen der Stunde, dem Zustande, der Umgebung – durch den bösen Raum.

„Ich weiß nicht, wo der Herr – der barmherzige Gott mich sterben lassen will!“ flüsterte Phöbe so jäh erschreckt – bleich, die zitternden Hände vor sich erhebend.

„Ich weiß es ja auch nicht,“ sagte der Mann aus der Zeitlichkeit gleichfalls in leiserem, scheuerem Ton, „ich weiß nicht wo und wann; – nehmen Sie es auch bloß als ein Symbol, Phöbe, daß wir uns im Grunde unserer Seele zu ein und demselben Sehnen nach ein und demselben Reiche der ungestörten Ruhe, des ewigen Friedens bekennen.“

„Ich möchte erst meinen Bruder fragen, ob dieses keine Sünde, keine schreckliche Verwegenheit von uns ist!“ rief Phöbe mit stockender, bebender Stimme. „Das liegt wie ein schwarzer Schlüssel vor mir am Boden, und ich weiß nicht, ob das recht ist, daß wir uns so, vielleicht vor der Zeit, nach ihm bücken und ihn aus der Sonne und dem grünen Grase aufheben!“

„Sie sind wieder in Halah – Schmerzhausen – unter den Idioten, liebe, gute, mitleidvolle Nachbarin im Tage, im Dasein, im Leben! Ich aber möchte Ihnen diesmal zu Hilfe kommen, um den Unmündigen zu helfen auf dieser schmerzenreichen Erde, auf der theilnahmlos in der Sommermorgensonne lachenden Vierlingswiese. Wollen Sie meine Hand dazu annehmen, Phöbe Hahnemeyer?“

„Ja!“ sagte die Schulschwester aus Halah nach einem nochmaligen kurzen Zögern vollkommen in ihrer gewohnten Ruhe und Sicherheit. Der Gastfreund streckte ihr die Hand zu, doch vergebens. Das junge Mädchen legte die ihrige auf die verhüllte Leiche ihr zur Seite; aber der Zuchthäusler, der Wilddieb, der Ausgestoßene der Gemeinde, Volkmar Fuchs, hielt die seinige her und rief:

„Herr, das ist gewißlich kein Spaß mehr! Herr, wo haben Sie das gelernt, mit Unsereinem umzugehen? Sie sollen lange leben, Meinesgleichen zur Besinnung zu bringen! … Schicken Sie den Sarg und die Träger – wenn Sie wollen, aus dem Dorfe! Und Sie, Fräulein Phöbe, grüßen Sie den Herrn Bruder, den Herrn Pastor und bestellen Sie ihm: Sie hätten den Räkel überwunden, und er gäbe seine Fee her; und wenn vorige Nacht ein Wort zu viel gesprochen wäre, so sollte das zurückgenommen sein, Volkmar Fuchs halte den Kopf auf den Knieen zwischen seinen beiden Fäusten und habe lange zu kauen, bis er’s wieder klein gekriegt habe, welch eine Jammerkreatur und armer Halunke er sei gegen die wirklichen Herrschaften da draußen in der Welt!“

(Fortsetzung folgt.)

Studien aus dem Leben.
Von Hermann Heiberg.
1.0 Eine Badereise.

Summs – ab, – bleiben einundsiebzig Mark. Davon können wir keine Reise machen!“

Könntest Du nicht Töpfer bitten, Dir einen Vorschuß zu geben?“

„Ach, wo denkst Du hin!“

Das sind die bekannten Präliminarsätze so vieler Sommerreisen, und sie enthalten, trotz ihrer Kürze, eine lange, ernste Geschichte.

Nach weiteren acht Tagen haben das lockende Beispiel Gleichgesinnter, die wirklichen oder eingebildeten Leiden der Reisesüchtigen, und nicht zum Mindesten die Modeseuche endlich doch bewirkt, daß der Mann mit der sorgenden Stirn zu einem anderen Facit seines Vermögensstandes gelangt. Und wenn’s nicht gerade Herr Töpfer war, so wurde auf ein anderes Gefäß geschlagen, das die Mittel zur Reise hergab.

Es war also beschlossene Sache: Herr Titel und Familie gingen an die Ostsee. In der ersten Woche des Juli sollte die Reise unternommen werden, und nun war noch so Mancherlei herzurichten.

„Du, Mann, hast Du einen Augenblick Zeit? Ich möchte mit Dir wegen der Anzüge der Knaben –“

„Ja, ja! Aber nur rasch! Ich habe es sehr eilig.“

„Sieh, das sind Gustav’s und Theodor’s beste Hosen. Meinst Du nicht, daß sie ein paar gute, neue Anzüge haben müßten?“

„Hm, ja!“

„Und Hüte sind allen Vieren nöthig. Und ist es Dir denn recht, daß ich die Kleider und Paletots für Anna und Edith bei Klotz bestelle?“

„Hm, ja!“

„Und sieh, bitte noch! Das ist nun mein Bestes augenblicklich. Ich wollte so gern, daß Du mit mir zu Herzog gingest und das neue aussuchtest.“

Der geplagte Mann mit seinem guten Fassungsvermögen für Zahlen überlegte nach diesen Aufzählungen rasch, welche Nebenkosten die Reise noch erheische. Das „Hm, ja“ wich bei diesen weiteren Angriffen auf seine Gutmüthigkeit und Kasse einem: „Ja, aber hast Du denn einen Ueberschlag gemacht?“ und einem hierauf folgenden zerstreuten Grübeln, aus dem sich anfänglich schüchterne und allmählich bestimmtere Einwände hervorstahlen.

„Nun, dann müssen wir’s aufgeben. So können wir nicht reisen,“ resolvirte die Frau. „Und Edith hat es so nöthig! Doktor Thedsen war gestern hier. Er will durchaus, daß sie an die See kommt.“

„Ganz gut, ganz gut! Es ist ja auch mein Wunsch, liebe Emilie, aber wir müssen vor Allem rechnen. Es geht doch nicht –“

„Hat Töpfer Ja gesagt?“

„Er will sehen.“

„Du meinst also?“

„Wohl, aber damit ist’s nicht gemacht. Ich soll doch wieder zurückbezahlen.“

Frau Titel fand diese Bemerkung etwas überflüssig. Das war ja selbstverständlich, und das fand sich. Die Hüte für die Vier, die Kleider und Paletots, die Anzüge für die Jungens, das Neue für Frau Emilie und dazu noch ein Dutzend andere Dinge – da einmal neue Kleidungsstücke die Prätension haben, mit den alten durchaus nicht mehr verkehren zu wollen – wurden angeschafft. Wenn das Alles gleich hätte bezahlt werden sollen, so wäre die Hälfte des ganzen Töpfer’schen Vorschusses draufgegangen. So wurde zunächst auf Kredit genommen.

Mit vorwurfsvollen Gedanken und in Folge dessen recht verdrießlich, rüstete sich für sein Theil Herr Titel zur Reise.

Auch sonst war die Stimmung nicht so recht fröhlich. Die Semesterzeugnisse der Knaben ließen zu wünschen übrig. Das neue Kleid der Frau war nicht fertig geworden und mußte nachgeschickt werden. –

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