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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

theuren Verwandten hätte er nicht besorgter sein können, und die Gäule haben sich die Beine abgelaufen, um Erkundigungen über das Befinden des Biedermannes einzuziehen. Ich glaube sogar, er hatte dem Leibarzt dieses ausgezeichneten Erdenbürgers eine Prämie für die Erhaltung seines so kostbaren Lebens ausgesetzt.“

Onkel Heinrich brummte etwas, das beinah wie eine Verwünschung klang. „Wo ist Linden?“ fragte er dann.

„Oben!“ scholl Fräulein Adelheid’s Stimme. „Er sitzt da schon seit heute früh, wenigstens haben wir –“ sie zeigte auf den Amtsrichter und auf sich – „allein dinirt mit Tante, dann sind wir in ‚Waldruhe‘ gewesen, aber nicht angenommen worden, und jetzt ist es die pure Verzweiflung, wenn wir eine Bowle machen. Aber bitte, Herr Baumhagen, wollen Sie nicht einmal kosten?“

Die Kleine hatte ein Glas gefüllt und bot es dem alten Herrn mit lachenden Augen.

Onkel Heinrich warf einen halb ärgerlichen, halb begehrlichen Blick auf das Kelchglas in der niedlichen Mädchenhand. „Hexe!“ sagte er dann, und stolz wie ein Spanier schritt er aus dem Zimmer. Er war zu ernst gestimmt, um auf das „Gequatsch“ einzugehen. Hinter ihm drein aber flog ein glockenhelles Lachen.

„So wollt’ ich doch. daß der Amtsrichter den kleinen Satan mit in den Koffer packte und nach Frankfürt expedierte. oder meinetwegen dahin, wo der Pfeffer wächst!“

Er schreckte den jungen Hausherrn vom Schreibtisch empor. „Linden,“ begann er, ohne sich zu setzen, „unten hält der Wagen, kommen Sie mit zu der kleinen Frau; bitten Sie sie um Verzeihung und Alles ist gut.“

Franz Linden blickte ihn ruhig an. „Wissen Sie, was ich damit thäte?“ fragte er, „ich gestände eine Schuld ein, die ich nie begangen habe.“

„Ach was, Quatsch! Lassen Sie doch Das! Hier kommt’s darauf an, wollen Sie die Frau wieder haben oder nicht?“

„Ist das die Bedingung, unter welcher meine Frau wiederkehren will?“

„Na, versteht sich. O la la! Ich weiß wenigstens genau, daß sie dann kommen würde.“

„Ich bedaure, aber das kann ich nicht,“ erklärte der junge Mann und wurde um einen Schein blasser. „Ich habe nicht um Verzeihung zu bitten.“

„Halsstarriges Volk und kein Ende!“ polterte Onkel Heinrich. „Man freut sich, daß der Hallunke todt ist, und nun sind wir auf dem alten Flecke!“

„Daß der Hallunke todt, ist für mich ein trauriges Schicksal, Onkel.“

„Sie wollen nicht?“ fragte der alte Herr noch einmal.

„Um Verzeihung bitten – nein!“

„So leben Sie wohl!“ Und Onkel Heinrich setzte den Hut auf und verließ eilig das Zimmer und Haus.

„Erlauben Sie doch, daß ich Sie hinunter begleite,“ bat Franz und folgte dem kleinen Herrn, der hastig in den Wagen stieg, als gelte es eine Flucht.

Aber ehe die Pferde anzogen, beugte sich über den Schlag noch einmal sein altes gutes Gesicht, und eine brennende ehrliche Angst stand darauf zu lesen.

„Hören Sie, Franz,“ flüsterte er, „’s ist ein thörichter Stolz von Ihnen. Die Weiber besitzen so ihre Marotten, ich habe zwar nie Eine gehabt – drei Kreuze dahinter – aber ich kenne sie doch. Sie haben so einen gewissen Korpsgeist, sie wollen Alle aus Liebe auf den Schild gehoben werden, und die Kleine ist darin besonders scharf. Sie hat mit ihrem Vater, meinem guten seligen Lebrecht, ein bischen viel in Idealen gemacht; ich sagte es immer: die Krabbe hat zu viel gelesen. Nun sein Sie der Klügere, der nachgiebt! Herr Gott, Sie sind wahrhaftig nicht auf den Mund geschlagen und – sie ist doch eine reizende kleine Frau.“

„Sobald Gertrud wiederkehrt, ist Alles vergessen,“ erwiderte Linden und schloß die Wagenthür.

„Sie kommt aber so nicht, Junge. Kennen Sie den Baumhagen’schen Trotzkopf noch nicht?“ klang es in höchster Verzweiflung.

Er zuckte die Schulter und trat zurück.

„Nach ‚Waldruhe‘!“ schrie im heftigen Zorn der alte Herr dem Kutscher zu, und ohne Gruß fuhr er ab.

„Der Monsieur spielt sich gefährlich auf als beleidigte Unschuld,“ brummte er und stieß in kurzen Zwischenräumen den Stock auf den Boden des Wagens. Und je näher er der Villa kam, desto röther färbte sich sein verärgertes rundes Gesicht. Er brauchte, in „Waldruhe“ angelangt, die Treppe nicht zu ersteigen; Trudchen war im Park. Am Ende eines dunkelschattigen Weges stand sie, und den Onkel gewahrend, kam sie ihm entgegengeschritten in ihrem einfachen weißen Sommerkleide.

„Onkel!“ stieß sie athemlos hervor, und zwei angstvolle Augen suchten in den seinen zu lesen.

„Na, komm!“ der alte Herr faßte sie an der Hand, „gehen wir den Weg vollends hinauf; es thut mir wohl, der Schlag könnte mich sonst beim Stillstehen treffen. Kurz und gut, Kind – er will nicht.“

„Onkel. was hast Du gethan?“ rief Trudchen, und die Röthe der Scham stieg ihr ins Gesicht. „Du bist bei ihm gewesen?“

Ja, ich habe gesagt: ‚Geh und bitte ihr ab, dann ist Alles gut – die Weiber sind mal so!‘ Und er –“

Sie faßte mit der Hand nach dem Herzen. „Onkel!“ stammelte sie.

„Und er sagte: Nein! Es hieße eine Schuld bekennen, die er nicht begangen. So, mein Kind. Ich hab mich da mal wieder als Friedensengel aufspielen wollen, aber – bis hieher und nicht weiter! Jetzt helft Euch allein! Der Aerger schadet mir allemal, Du weißt’s; ich habe nun wieder genug auf vier Wochen. Adieu, Trudchen!“

„Adieu, Onkel, ich danke Dir.“

Er war schon ein paar Schritte gegangen, da sah der alte Egoist sich noch einmal um. Sie lehnte an dem Stamm einer Buche, wie gebrochen, die Blicke zur Erde gesenkt, ein unheimliches Lächeln um den Mund.

„Ei du Grundgütiger!“ stammelte er, nahm den Hut von der heißen Stirn und ging mit schwerem Herzen zurück zu ihr. „Na, nun den Kopf hoch,“ sprach er freundlicher. „Da drüben in Niendorf macht der kleine schwarze Satan eine Erdbeerbowle, der Amtsrichter will abreisen. Wie wär’s, Trudchen, wollen wir mittrinken? Komm, komm, ich bringe Dich hinüber! Siehst Du, wir treten hinein in den Saal, ganz leise – ich will nicht der Egoist sein, der ich bin, wenn Ihr Euch nicht Eins – Zwei – Drei in den Armen habt, Du rufst: ‚Franz!‘, er: ‚Trudchen!‘ und alles ist vergessen. – Trudchen, alte kleine Trude, sei vernünftig. Ist das Leben denn gar so herrlich, daß man sich die paar goldenen Tage der Jugend und der Freude noch muthwillig verkümmern muß? Komm, komm, folge mir dies eine einzige Mal!“

Er hatte sie an das feine Handgelenk gefaßt; aber hastig wand sie sich los, eine förmliche Erstarrung lag über ihrem Antlitz.

„Nein, nein, das ist vorbei,“ sagte sie laut und hart.

(Fortsetzung folgt.)

Kulturhistorische Modebilder.

1.0 Die Geschichte vom Zopfe.
Von Karl Braun-Wiesbaden.

Es giebt in der Weltgeschichte kein ergreifenderes Trauerspiel, als die Geschichte vom Zopf. Niemals ist Jemand bei seinem ersten Auftreten mit mehr Begeisterung empfangen worden. Niemals hat Jemand über mächtige Gegner glänzendere Triumphe gefeiert. Niemals ist Jemand schmählicher zu Grunde gegangen und mehr unter allgemeinem Spott und Hohn zu Grabe getragen worden. Niemand mehr, als der Zopf. Ich spreche natürlich nur von dem Zopfe der Männer. Denn die Zöpfe der Damen, wenngleich sie bisweilen ein wenig falsch sind, erfreuen sich auch heute noch der allgemeinen Beliebtheit und Achtung.

Der männliche Zopf wurde, als er zum ersten Mal als junger schlanker, unternehmender Gegner der alten umfangreichen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_488.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2024)