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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Der Gast fragte nicht genauer nach der Art und Weise, wie das Dorf diese Schwester und diesen Bruder bei sich aufgenommen hatte. Daß er keine Anmerkung aus der Zeitlichkeit, der Weltlichkeit, aus dem „Säkulum“ machte, dazu half ihm aber ein anderes, der Vorsteher des Dorfes, welcher wieder in der Gartenthür stand und den Beiden seinen Morgengruß bot.


8.

„Nur auf ’nen Augenblick, nur auf ein kurzes Wort, Fräulein; da der Herr Pastor wahrscheinlich nach gehabten nächtlichen Strapazen noch in den Federn liegen und ich beileibe nicht ihn daraus aufstören möchte, noch dazu da er uns ja doch keinen Schritt weiter in der verdammten Geschichte befördert hat. Sie, lieber Herr, entschuldigen wohl, daß ich Ihnen für ’n Moment unsere, so zu sagen, geistige Pfarrmutter aus der Hand nehme; ich bin gleich mit ihr fertig. Na, Fräulein Hahnemeyer, Sie wissen wohl schon im Voraus, worum es sich handelt. Ich komme eben von der Vierlingswiese, und der Herr Bruder ist um Mitternacht draußen gewesen und hat natürlich bei dem verrückten Flegel, dem Räkel, in den Wind trompetet und sich die Zunge trocken geredet.“

„Ich habe meinen Bruder nach seiner Heimkehr leider noch nicht gesprochen –“

„Nun, dann kann ich Ihnen eben als das Allerneueste mittheilen, daß wir noch ganz auf dem nämlichen Flecke stehen, wie gestern Abend. Ich habe es mir aber gleich gedacht – unser Pastor und der Räkel?! Na, es wäre wohl eine Kuriosität gewesen, diese Unterhaltung von ferne mit angehört zu haben. Aber weiter brächte uns das gegenwärtig auch nicht; und mich brauchte ja die ganze Geschichte, wie ich über Nacht mir überlegt habe, eigentlich nicht eher zu kümmern, bis der Landphysikus herausgeritten kommen ist und ich die Fee in der Standesamtsliste rechtlich und ordentlich in dieser Hinsicht versorgt und abgethan zu Papier und im Buche habe. Aber so ist der Mensch! Rechte Ruhe hat er nun mal doch nicht, zumal in verantwortlicher Stellung, wenn ihm so was auf der Seele und in der Feldmark liegt. Ja, wenn da mit dem Abschieben an den nächsten Nachbar geholfen wäre! Und die Heuernte liegt mir dazu auf dem Gemüthe, und so hat mich die Unruhe wieder hergetrieben, da ich doch weiß, wie Sie gewöhnlich schon vor Tage zu Beinen sind, Fräulein Phöbe, ob Sie denn wirklich gar nichts weiter dazu thun können, daß uns dieses Aergerniß ohne weitern Rumor und fernere Unkosten vom Buckel genommen wird?“

„Ich?“ fragte Phöbe Hahnemeyer. „Wo mein Bruder nichts ausgerichtet hat?“

„Ja, der Herr Bruder, der Pastor! … Wenn Sie sich noch einmal rechte Mühe mit dem Unthier auf der Vierlingswiese, nach Ihrer Weise geben wollten!“

„Wie fände ich nun die rechten Worte, da sie mir der Herr gestern Abend nicht gab, als ich dem Unglücklichen half, die Leiche zurecht zu legen?“

„Versuchen Sie es doch noch einmal, bestes Fräulein. Vielleicht ist der Herr Pastor, der Herr Bruder doch noch nicht Trumpf gewesen, und Sie haben noch die beste Karte in der Hand. Bitte, gehen Sie noch mal hin; stellen Sie’s dem Lümmel noch mal vor auf Ihre Art, wie nichtsnutzig und undankbar seine Aufführung ist. Kann denn die Gemeinde davor, daß das schlechte Leben das Fieber bringt? daß unser Herrgott den Tod schickt? Für das Unterkommen auf der Vierlingswiese hat doch die Kommune nach Vermögen gesorgt und auch sonst nach Kräften das ihrige gethan. Und selbst wenn Sie, liebstes Fräulein, diesen verrückten Unmenschen, wie ich erhoffe, durch Ihre liebe Seele und Zurede herum kriegen, so ist ja doch auch noch an den Sarg und was sonst dazu gehört zu denken, denn dieses nimmt uns auch Niemand von der Tasche.“

„Das würde ich thun, wenn Sie mir die Freiheit gestatten wollen, Vorsteher,“ sagte der Gast des Pfarrhauses.

„Hochwillkommen wären Sie uns dazu, liebster, bester Herr!“ rief der Vorsteher mit offenem Munde. „Ja ganz gewiß, wäre das eine große Freundlichkeit und Generosität. Haben Sie das gehört, Fräulein Hahnemeyer? und so bitte ich Sie nochmals recht höflich, helfen Sie uns zu dem Uebrigen! Versuchen Sie’s wenigstens noch mal, daß es ohne Gewalt und Einmischung der Behörden da unten für uns abgeht!“

Aus Phöbe’s Augen hatte nur ein kurzer, fast erschreckter Blick den Gastfreund gestreift; die Hand, mit der sie die Tassen auf dem Frühstückstisch in der Laube ordnete, blieb ruhig bei ihrem Geschäft. Aber der Gast hatte das plötzliche Leuchten aus dem stillen Blau wohl erfaßt und hatte ein volles freudiges Verständniß dafür. Ging man dem Dinge in der Seele des Gelehrten, des Weltmannes, des Wanderers auf den Grund, so fand man, daß die Lust, noch einen Tag oder einige Tage länger bei diesem Geschwisterpaar verweilen zu dürfen, nicht geringen Antheil an seinem überraschenden, ungeforderten ersten Eingriff in diesen seltsamen Zustand hatte, der so wenige Schritte seitab von seinem gestrigen Wege und der allgemeinen Reisestraße der Entwickelung zureifte.

Doch in diesem Augenblicke kam auch der Pastor Prudens in seinem Hausgarten an und hatte zuerst natürlich seinen Dorfgewaltigen anzuhören und ausreden zu lassen.

Er sah kümmerlich und übernächtig aus, der Pastor Prudens. Seine Schwester hatte ihn nie so unkräftig, so müde, abgespannt gesehen. Was konnte er erfahren haben in der letzten Nacht, das ihn so merklich verändert hatte am Leibe und, wie es schien, auch in seiner sonst so trotzigen, wehrhaften Seele?

Er ließ den Vorsteher auf sich einreden, ohne nach seiner früheren heftigen Art ihn beim dritten Wort schon zu unterbrechen und das Maßgebende lieber selber zu bemerken. Er hörte von Neuem von den Molesten, die der Räkel dem Dorfe machte, und dazu von der Großmuth des gegenwärtigen, verehrten fremden Herrn.

Matt sich auf die Lehne eines Gartenstuhls stützend sagte er:

„Ja, auch ich habe nichts ausgerichtet. Ich habe mir zu viel zugetraut in meiner Ueberhebung, und so bin ich allein gelassen worden auf dem Felde und komme als ein Geschlagener aus dem Kampfe. Der Mann im Elend der Erde hat die bessere Hand und das grimmigere Wort in seinem Streite mit uns gehabt.“

„Du hast nicht geschlafen, Prudens?“ fragte die Schwester, ängstlich und zärtlich dem Bruder den Arm um die Schulter legend.

„Ihn und seine Kinder habe ich aus dem festesten Schlafe geweckt, und vergeblich – vergeblich! Er ist auch wieder eingeschlafen, mit der Axt in der Hand, vor der Leiche seines Weibes. Der da! Das da! Die da! … Ich aber habe wachend durch die Nacht gelegen und statt Gedanken nur die Worte: ‚der Räkel und die Fee – der Räkel und die Fee‘ im Hirne gehabt und gewälzt. Ihr Leute im Dorfe, wer soll Euch nun helfen gegen Eure lustigen, leider nicht vom Wind verwehten Worte?“

„Ja, ja,“ brummte der Vorsteher, kopfschüttelnd sich hinter dem Ohr krauend, „das ist freilich der Punkt und die Fatalität. Daß Sie nichts ausgerichtet haben, Herr Pastor, verwundert gewiß Keinen; – eine spitze Schnauze und ein gutes Gebiß hat der Rä–, der Volkmar Fuchs immer aufzuweisen gehabt und schlimm genug hat ihm unser Herrgott in den letzten Zeiten auch mitgespielt. Man wüßte wohl selber nicht recht, was man an seiner Stelle sagte und thäte; aber geholfen muß werden, und also, Fräulein, wie gesagt, wenn Sie’s nun noch einmal versuchen wollten in Güte, ehe wir die Gewalt aufbieten?! Und der verehrliche fremde Herr, wenn der vielleicht die große Güte haben wollte und sich nicht genirte und mit Ihnen ginge, Fräulein Hahnemeyer? Der Herr kommt doch gewiß aus der vornehmen Welt, das merkt man schon an Allem; und aus der vornehmen Welt stammt doch eigentlich auch ein gut Theil von des Rä–, des Volkmar’s Boshaftigkeit. Denn wer ihn vorher gekannt hat, der muß doch sagen, trotz allem was schon an ihm hing, daß es ihm nicht gut gethan hat, als ihn der Herr Graf seines schönen Bartes wegen als Leibjäger mit nach außen nahm! Und also, wenn dieser Herr nun auch von seinem Standpunkt und von außen her ihm zuredete, ich glaube, ein bischen hülfe das auch und ersparte uns viel Wüstes und viel Maulreißens draußen im Lande und drunten im Bade. Na, wie wäre es, Fräulein Phöbe, und Sie Herr Baron – ich weiß nicht, wie ich Sie betituliren soll?!“

„Du würdest dieses für keine Ueberhebung meinerseits, für kein unbefugtes Eingreifen in diese Verhältnisse und wunderlichen Zustände erachten, lieber Freund?“ fragte der Professor.

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