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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)


Daß der Pastor Prudens die rechte Art, mit dem Räkel in seiner Stimmung umzugehen, getroffen hatte, bethätigte derselbe ihm dadurch, daß er ihm einen von den zwei Schemeln der Hütte zuschob und, wenn auch verstockt, so doch merklich geduckt, und als ein Mensch, der Verstand hatte und Vernunft annehmen konnte, sagte:

„Nun denn, so probiren Sie’s in Gottes Namen, Herr, ob Sie es mit Ihrer Gelehrsamkeit besser fertig kriegen als Ihre liebe Fräulein Schwester, den zwei Waisenkindern da und ihrem Vater den Begriff davon beizubringen, daß sie alle Drei im Unrecht sind mit ihrem Willen hier am Leichuam gegen das Dorf und alle Behörden, ob sie Kaiser, Papst oder Polizei und Ortsvorsteher heißen. Jawohl, Sie haben Recht darin, Herr Pastor, daß es wohl billig ist, daß Fuchs sich nicht vor den Worten derjenigen fürchtet, die allein keine Angst haben vor dem Gift, das er in seinem Elend an sich tragen mag, die mit ihm aus der Flasche trinken, die er seiner Kranken an den Hals gehalten hat, und welche ihm die Hand auf die Jacke legen, die er ihr auf ihre armen Füße gebreitet hat. Kind, Mädchen, lege Dich nieder, schlaft weiter, Racker, Beide; der Herr Pastor hat noch mit Papa zu reden.“

Aussehen mochten sie wie sie wollten, gut gezogen waren sie, die zwei jungen Füchse, einerlei ob von dem Räkel oder von der Fee. Sie gehorchten aufs Wort. Das kleine Mädchen, dessen scharfe Augen gestern Abend den Groschen der Reisegesellschaft zuerst im Grase der Vierlingswiese entdeckt hatten, begriff sofort, daß es nicht gut thue, den Vater und den Herrn Pastor durch das leiseste Rascheln im Bettstrohe und Laub zu stören. Nachdem es wieder zu dem Bruder gekrochen war, hörte man nichts mehr von den Zweien; aber die vier dunkeln Augen leuchteten wie wirkliche Fuchsaugen beim Flackern der Tannenspähne auf dem Herde aus ihrem Winkel in der Köthe. Und es war vielleicht gut, daß die beiden Männer wußten, daß sie nicht unter sich allein waren. Sie vergaßen es leider doch nur zu oft während der nächsten halben Stunde.

„Volkmar Fuchs, der Herr hat Ihr Weib aus einem schweren, wilden Leben zu sich gerufen,“ sagte jetzt der Pastor Prudens.

„Aus einem fidelen, einem lustigen Leben, Herr. Das weiß der Himmel! Aber sie hatte sich ja ganz gut hineingefunden, Herr; hat pläsirlich ausgehalten bei Mann und Kind im Leben und Sterben – oder wissen Sie es anders?“

„Gewiß nicht, Fuchs! Sie ist Ihnen eine treue Frau gewesen, und Ihren Kindern, so gut sie’s sein konnte in ihrem Schicksal, eine gute Mutter. Aber haben Sie an ein solches Dach über ihrem Kopfe, an ein solches Lager unter ihrem kalten Leichnam gedacht, als Sie sie überredeten, zu Ihnen zu kommen, für Gut und für Böse, für Gesundheit und Krankheit, für Leben und Tod, Volkmar?“

„Wer kann an so was denken zu seiner Zeit? Der Satan weiß es!“

„Gott der Herr, der es zugelassen hat, weiß es, Volkmar Fuchs! Er, der ihre Seele jetzt, wie wir demuthvoll hoffen wollen, in seinem Frieden hält, und der in dieser Stunde nur – Das da, an dem Du Deine Erdenlust hattest, Dir gelassen hat, fragt Dich, ob Du Dich noch immer nicht bändigen kannst, ob Du das, was Deine Erdenfreude war, den armen Staub, dem Er Odem einblies, nun mißbrauchen willst, Ihn zu höhnen, indem Du Asche zu Asche nicht versammeln willst auf Seinem Acker – Gottes Acker – in Deinem kindischen Trotz?“

Das da!“ erwiderte der Räkel hinter seinen aufeinander geschobenen Zähnen. „Damit haben Sie wohl das richtige Wort getroffen, Herr! Und die da!“ er zeigte auf die Kinder im Stroh, „und der da!“ er schlug sich mit der Faust, im Grimm lachend, auf die Brust – „das, und wenn’s aufs Feine und Lustige ging, der Räkel und die Fee und ihre Brut – das sind wir gewesen in gesunden Tagen mitten unter ihnen im Dorfe und im Giftfieber in unserer Verlassenheit allein hier im Fuchsbau, und das wollen wir jetzt bleiben, nicht bloß ihnen zum Tort, sondern unsertwegen! Der Räkel und seine Jungen geben ihre Fee – das da, Herr Pastor! dem Dorfe nicht auf seinen Kirchhof; so lange ich Knüppel und Handbeil halten kann und mit dem da umzugehen weiß!“

Bei den letzten Worten hatte er auf seiner Lagerstelle zu Füßen der Leiche unter das Laub gegriffen und hielt dem Pfarrer einen Revolver vor die Augen.

„Sechsläufig, Herr! und daß Volkmar Fuchs einen guten Treffer hat, das weiß die Bande im Dorfe ja auch zu allem Uebrigen; aber Sie mögen dreiste, der bessern Warnung wegen, noch ’n bischen weiter von dem Spielding zu Hause erzählen.“

„Unglücklicher Mensch, man wird ins Thal um Hilfe schicken –“

„Und den Räkel wieder mal mit Stricken um die Fäuste drunten abliefern? Ja, aber erst nachher, wenn das Thier sich gewehrt hat bis auf den letzten Biß.“

„Mensch, und die Kinder? Wie lieb hat Dein Weib ihre Kinder gehabt –“

Da lachte der Mann in der Fieberhütte, wie selber vom grimmigsten Fieber gepackt –

„Und abgerichtet hat sie selber sie hierzu in ihren letzten Phantastereien! Ja, bitte, fragen Sie nur die Kinder, wie leicht Waldlaub, Todtenstroh, Fichtenharz und Tannenborke in Feuer aufgehen. Das besorgen sie schon mit einem Scheit vom Herde, ohne daß ich winke. Füchse schmaucht man aus; soweit sind sie aber Menschengeschöpfe, daß sie auch die höchste Behörde im Nothfall von ihrer Mutter nach deren letztem, sterbendem Willen wegschmauchen und selber frei durch den Qualm springen.“


7.

Der Gebirgswind um Mitternacht hatte kein Regengewölk zusammengetrieben; im Gegentheil hatte er das Himmelsgewölbe womöglich noch reiner gekehrt und glänzender gemacht, als es am vergangenen Tage gewesen war. Nachdem er den Pfarrer auf seinem Heimwege von seinem vergeblichen Gange mit leisem vergeblich zu Ruhe singenden Hauche begleitet hatte, war er in der Dämmerung wieder ganz still geworden.

Nun lagen die Berge schon früh in der heißesten Sonne, die Tannenwälder dufteten Weihrauch; wie Goldtropfen entquoll ihnen das bernsteinfarbige Harz. Die Quellwasser blitzten und rauschten durch Schlucht und Kluft oder schlichen leise durch die bunten Wiesen. Glockengeläut klang von den zu ihren Tagesweiden aus den Thälern aufsteigenden Herden. Die Menschen nahmen ihre Arbeit auf der Oberfläche der Erde von Neuem auf; unter der Erde in den Bergwerken hatte sie freilich auch durch die Nacht nicht still gestanden.

Ob der Pastor Prudens um diese Zeit schlief, ob er überhaupt hatte schlafen können, wissen wir nicht. Aber seine Schwester nahm das erstere an, da sie an seiner Thür gehorcht hatte, ohne ein Geräusch aus seiner Kammer zu vernehmen.

„So hat ihm Gott geholfen, das starre Herz des Armen zu bewegen,“ sagte Phöbe Hahnemeyer. „Ich aber habe geschlafen, da ich auf seine Rückkehr warten sollte; da ich hätte wachen sollen, um mit ihm Dem zu danken, welcher ihm die Kraft dazu in sein strenges Herz legte und die rechten Worte auf seine Lippen.“

Sie stieg in den Garten hinunter und traf daselbst unter den wenigen, noch vom Vorgänger im Amte herstammenden Blumen und Ziergebüschen mit dem Gaste zusammen, der auch schon mit dem Frühesten auf war.

Das junge Mädchen hätte wohl keine Rechenschaft darüber ablegen können, wie es zuging, daß es ihr jetzt zum ersten Mal auffiel, wie vernachlässigt dieser Garten jedem Fremden erscheinen mußte. Als sie nun nach dem Morgengruß neben diesem jetzigen Freunde stand, fühlte sie unwiderstehlich das Bedürfniß, etwas zu ihrer Entschuldigung darüber vorzubringen.

„Ich spräche die Unwahrheit, wenn ich sagte, wir hätten nicht die Zeit gehabt, uns darum zu kümmern. Wir haben wohl

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_477.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)