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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Der redet von Acker, Haus und Hof, Kleid und Schuh und Allem, was in der Hinsicht zum Menschen gehört, von Allem was sein ist, mit dem möglichsten Respekte, faßt ihn sogar mit unzweifelhafter Vorliebe dabei und hält ihn sogar dadurch im Wackern und Rechten. Er soll ja auch sonst, das heißt in eigenen Angelegenheiten, für sich, die Frau und die Kinder ein recht guter Oekonom, Hausvater, Landwirth und Grund- und Bodenbesitzer gewesen sein. Er würde als hiesiger Leutprediger seinen Schreibtisch doch wenigstens im Sommer mehr ans Fenster gerückt haben. Auf der Wartburg hat er wohl über die Septuaginta gern ins Weite und Sonnige des Frühlings 1521 und nachher in den Herbstnebel und in den Schnee des Jahres gesehen, vorzüglich nach einer seiner heißen Kampfesnächte mit –“

„Der Herr führt seine Diener auf verschiedenen Wegen an seiner Hand. Mir hat er gegeben, Vieles mit geschlossenen Augen zu thun.“

„Wohl Jedem von uns – mir auch, zum Beispiel!“ sagte der Gastfreund nun doch mit einigem Nachdrucke. Doch mit demselben heiteren Sichfinden in Ort und Zustände des Momentes fügte er sogleich hinzu: „Deine Fräulein Schwester wird aber in der Laube vielleicht auf uns warten, und ich gestehe Dir offen, daß ich Dir auch diesmal wieder den alten Appetit von Halle in Deine jetzige Klausur und Ascetik mitgebracht habe.“

„Meine Schwester geduldet sich schon; Du aber wirst Dir auch heute genügen lassen müssen an dem, was ich Dir zu bieten habe. Es ist ja auch so Dein Wille gewesen.“

„Natürlich,“ brummte der Mann von der benachbarten Touristenstraße und manchem weniger betretenen Seitenwege nicht bloß in Europa. –

Sie fanden drunten in der Laube ein grobes Tischtuch ausgebreitet und ein Mahl, von dem weiter nicht die Rede sein wird, da sich im Grunde Niemand viel um es kümmerte, und der Gast mit „dem riesenhaften Appetite“ vielleicht am wenigsten, je mehr er demselben in voller Wahrheit alle Ehre anthat. Es war aber ein Glück, daß sie damit zu Ende waren, ehe der Vorsteher mit seinem Berichte von der Vierlingswiese kam und „soviel als möglich von dieser Mordsgeschichte auf seinen Pastor ablud“.

Sie saßen in der tiefen Dämmerung am Tische einander gegenüber, Bruder und Schwester auf der einen Bank, der Gastfreund auf der andern; als der Vorsteher sich mit den Armen über die kleine Gitterthür legte und es ablehnte, einzutreten und Platz zu nehmen, da er „für sein Theil das Ding kurz, gut oder schlimm abzuthun wünsche und dem Herrn Pastor gern das Weitere überlassen werde“.

„Nämlich, Herr Pastor, dieser Kerl, der Räkel, der Fuchs steift sich nun auf unser Verhalten von Gemeinde- und Doktorswegen gegen ihn und seine Brut. Er will nun die Fee – entschuldigen Sie, Fräulein, Sie wissen ja, daß wir da immer die Frau, seine Frau meinen – nicht hergeben zu einem christlichen Begräbnisse. Wir hätten sie im Leben nicht unter uns gewollt, brüllt der Vagabund, so brauchten wir uns auch im Tode nicht um sie zu kümmern. Er werde jetzt Alles, was sich noch für sein Weib gehöre, schon selber besorgen und zwar besser als Schulz, Pfaff, Küster, Kantor und Todtengräber. Er, der Räkel, und seine Brut brauchten ja wirklich nur allein zu wissen, wo im Walde ihre Fee verscharrt liege. Herr Pastor, mit Vernunft und Anstand ist nicht mit ihm zu reden. Er hat gedroht, aus der Vierlingswiese uns das Todtenstroh unter der Leiche weg ins Gesicht zu reiben, und der Bösewicht ist im Stande, es uns in der Nacht in die Häuser zu tragen und das ganze Dorf mit dem Gifte anzustecken. Der Gemeinderath hat selbstverständlich Reißaus genommen von der Wiese; ich aber bin langsam nach Hause gegangen und habe mir der Vorsicht wegen erst die Hände unter den Brunnen gehalten, und nun bin ich hier und frage Sie, Herr Pastor: was thun wir jetzt? Sollen wir es morgen sofort auf die Gewalt von Amtswegen ankommen lassen, oder wollen Sie noch einmal ein Wort in der Güte mit Fuchs versuchen? Eine ganz verfluchte Sache ist es, und der Klügste sollte da nicht ein und aus wissen gegen dieses Thier von Menschen, das sich da auf sein Gift und seine Wuth stellt und sich in seinem Rechte dünkt, nicht bloß gegen das Dorf, sondern die ganze Menschheit und unsern Herrgott im Himmel auch!“

Die am Tische in der Fliederlaube hatten Alle mit angehaltenem Athem diesem halb grimmigen, halb kläglichen Erguß bäuerlicher Rathlosigkeit zugehört. Phöbe hatte bewegungslos die Hände vor sich auf dem Tischrande gefaltet; Professor von Bielow war an den Zaun und die Gitterthür getreten, um dem Vorsteher, seiner Erzählung und seinem Dialekte so nahe als möglich zu sein. Der Pfarrer erhob sich aus völliger Regungslosigkeit erst, als der Mann zu Ende war.

„Ich werde nachher zu dem Volkmar gehen und mit ihm in der rechten Weise sprechen,“ sagte er, unzweifelhaft seinerseits Zorn und Rathlosigkeit mit Mühe niederkämpfend.

„So habe ich ja denn wohl das Meinige jetzo besorgt und zum Mindesten ein Theil von diesem Fuder Ueberdruß vor der richtigen Thür abgeladen,“ meinte der Ortsvorsteher. „Nun, da sehen Sie denn nach Ihrem bessern Verständnisse zu, Herr, was Sie mit diesem Vieh auf der Vierlingswiese auszurichten vermögen. Morgen in der Frühe darf ich ja wohl wieder nachfragen; denn Eile hat die Sache, vorzüglich bei dieser Sommerwärme, und immer noch viel zu nahe am Dorfe, wie der Herr Kreisphysikns behauptete. Wäre der öffentliche Anstand und die Religion nicht, vielleicht wäre es wirklich das Beste, man ließe dem Räkel seinen Willen und legte nachher Feuer an den ganzen Bau. Na, bis morgen früh denn angenehm wohlzuschlafende Nacht, Herrschaften!“


5.

Es war eigentlich seltsam; man vernahm um diese spätere Abendstunde und bei tiefem Schweigen in der dunkeln Fliederlaube die Unruhe im Kirchthurm lange nicht so deutlich als vorher, wo noch der Tag die Herrschaft hielt, oder sich doch nur mit der ersten Dämmerung um sie stritt. Der Tag soll laut sein; aber hier war die Nacht lauter als er; denn nun erst war das Dorf lebendig geworden hinter der Kirche, den nächsten Hecken und Hofmauern und Gartenzäunen. Kinder kreischten und jauchzten, junges Volk sang, es drangen auch zänkische Stimmen herüber; und da ein Todesfall immer ein Ereigniß in solchem abgeschiedenen Gemeinwesen ist, so hätte sich die Unruhe im Dorfe wohl noch länger über die ersten Ruhestunden nach schwerer Tagesarbeit fortgepflanzt und die Unruhe im Thurm übertönt, wenn auch nicht heute die Frau auf der Vierlingswiese gestorben wäre und der Räkel dem Vorsteher die Faust unter die Nase gehalten und sich das ehrliche und ordentliche Begräbniß der Leiche seines Weibes mit Fluchen und Hohnlachen verbeten hätte.

„Wirst Du nun gleich zu dem armen Menschen in seiner Verwirrung gehen, Prudens?“ fragte Phöbe in dem Pfarrgarten.

„Ich denke nicht,“ sagte der Pastor. „Es wird wohl besser sein, ich komme zu ihm, wenn das Dorf zu Bett und ganz in Ruhe ist. Den Mann werde ich auch später wachend finden; ich kann ihn aber auch aus dem Schlaf wecken. Jedenfalls wünsche ich mit ihm in seinem Elend allein vor Gott zu sein.“

Der Gast hörte nicht den geringsten Anklang an Sorge und Aengstlichkeit in dem Ton, mit welchem das junge Mädchen erwiderte:

„Ja, Du hast Recht, dieses ist das Beste.“

Doch der Pfarrer wendete sich jetzt an den Jugendfreund und zwar zum ersten Mal mit einem gewissen Anflug von Heiterkeit in Ton und Ausdruck, worin sich aber auch diesmal wieder ein leisester Hauch von Bitterkeit und Spott mischte:

„So leben wir hier nun, lieber Veit. Dieser gegenwärtige Fall ist wohl, wie man das nennt, recht interessant; aber laß Dich nicht dadurch täuschen: Du findest wenig an uns, was Dich später auf Deinen Wegen noch interessiren könnte in der Erinnerung an uns.“

„Meinst Du, Prudens?“

„Und nun, das Kind da, meine Schwester, kennt kaum mehr von Dir als Deinen Namen, und halte ich es für wünschenswerth, daß Du ihr mittheilst, wie der Herr uns voreinst in jüngern Tagen zusammenführte und uns, Jeden in seiner Weise und nach seiner Lebensstellung, Antheil an einander nehmen ließ. Auch ich werde dann gern vernehmen, wie Deine Wege bis heute liefen, nachdem er uns nach seinem heiligen Willen von Neuem auf entgegengesetzte Pfade gestellt hatte.“

Es zeugte unbedingt bei dem Gaste von mannigfachem Umgang mit vielerlei Menschen, daß er mit unerschütterter, heiterer Gelassenheit sich zu der jungen Dame wendete:

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