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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mit gelungen. Beim Ausbruch des deutsch-französischen Krieges finden wir Manteuffel zunächst als den Befehlshaber des ersten norddeutschen Armeekorps, und was er hier in den Kämpfen um Metz, dann im Norden Frankreichs und endlich vor Belfort geleistet, lebt noch frisch in unserer Erinnerung.

Nach dem Friedensschluß erhielt Manteuffel den Oberbefehl über die Okkupationsarmee, wiederum eine halb militärische, halb politische Stellung, deren Ausfüllung einen ganz besonders begabten Mann erforderte. Im Jahre 1876 sehen wir ihn abermals in diplomatischer Mission nach Rußland reisen. Zu der schwierigen und verantwortungsvollen Stellung des Statthalters der Reichslande wurde er vom Kaiser am 23. Juli 1879 berufen. In Karlsbad, wo er Heilung seiner Leiden suchte, ereilte ihn am 17. Juni unerwartet der Tod.

Selbst in so engem Rahmen bleibt die gedrängteste Skizze eines solchen Lebens noch großartig und ruft zum Weiterblättern in dem Buche eines solchen Schicksals auf, damit uns auch diejenigen Seiten desselben erhellt werden, welche bis jetzt noch dunkle Stellen zeigen. Wer den Artikel „Manteuffel und Falckenstein“ in den „Briefen eines Wissenden“ („Gartenlaube“ 1871, S. 467 [647]) mit den Zeitungsberichten vergleicht, welche der überraschende Tod des Mannes hervorrief, wird finden, daß wir manche Aufklärung dringend wünschen müssen, auf daß auch dieses Heldenbild unserer größten Zeit klar und deutlich vor uns stehe. Fr. Hfm.     


Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)


4.

Nun war die Sonne auch für den höchsten Gipfel des Gebirges hinter dem Horizont versunken. Wenn auch die Höhen fürs Erste noch nichts von der kommenden Nacht zu wissen schienen, klomm aus den tiefsten Thälern die Dämmerung doch schon leise aufwärts.

„Welch ein schöner Abend!“ sagten Alle, die Zeit und Stimmung hatten, um darauf zu achten.

Es hatten aber nicht Alle Stimmung und Muße dazu.

Nun erreichte der Touristenzug von vorhin eben verdrießlich, stumm, voll unbestimmten Unbehagens, abgemattet und in der Erwartung heißer Zimmer nach dem Hofe hinaus, theuerer Rechnungen und allzu beschäftigter Kellner und Stubenmädchen drunten im Bad das Hôtel zu den „drei silbernen Hechten“. Und in der Rasen- und Borkenhütte unter den Tannen auf der Vierlingswiese lag die Leiche der „Fee“; die Kinder ließen wieder ihre Füße in den Bach hängen, und der „Räkel“ lag im Grase vor dem „Bau“, an einem ausgerissenen Farrnkrautstengel kauend, und von unten auf bösartig wild und dazu wie in einem stumpfsinnig-trotzigen Triumph auf seinen jetzigen Besuch blickend. Nämlich von Ferne stand scheu und neugierig in einen Haufen gedrängt Alles aus dem Dorf, was hatte abkommen können und sich hinausgetraut hatte auf die Vierlingswiese. Und einige Schritte von dem Mann im Grase stieß der Ortsvorsteher die eiserne Zwinge seines Stockes in den Boden und brummte:

„Verfluchtes Pack!“

Laut rief er:

„Du willst also nicht Vernunft annehmen und auf gütiges Zureden hören, Fuchs?“

„Nein,“ lachte rauh und kurz der Ausgestoßene der Gemeinde, sich bequemlicher auf dem Ellbogen zurechtrückend und dem Dorfgewaltigen höhnischer ins Gesicht starrend.

„So wird man vom Amte aus mit Dir reden müssen und Polizei brauchen, wo man mit der Güte nicht ausreicht. Wir werden Dir morgen schon zeigen, was christliche Sitte und Recht ist, Volkmar.“

„Das ist der Name, auf den ich christlich getauft bin – Volkmar Fuchs. ’s ist freilich ein Wunder, daß ich ihn vor Euch Hallunken im Gedächtniß behalten habe. Das gefiele Euch nun wohl, jetzt auf einmal wieder blos mit dem Fuchs, dem Volkmar und seinem todten Weibe zu thun zu haben? … Schert Euch zum Teufel! Mit dem Räkel und seiner verendeten Fee habt Ihr zu schaffen! Jetzt packt Euch auf der Stelle, Ihr Alle, und Du vor Allen, Du Dorflumpenpräsident, oder ich reibe Euch der Fee Todtenstroh unter ihrem Leibe weg in die Freßgesichter, daß der ganze Wald auf Stunden Weges von dem eurigen unter den Tannen nächstens voll liegen soll. Ja, Leichenstroh! Das wäre mir schon ein Gaudium, Eure Aeser auch darauf hinzuliefern.“

Er war aufgesprungen, und vor seiner unheimlichen Drohung war der Haufe der Dorfbewohner, Männer, Weiber und Kinder durch einander mit hellem Angstruf sofort aus einander gestoben und von der Vierlingswiese geflüchtet. Aber auch der Vorsteher, seinen Stock zur Abwehr vorstreckend und zum Schlage hoch hebend, zog sich rückwärts schreitend aus dem Bereiche des Wüthenden und von seiner trostlosen Behausung zurück, indem er dabei murmelte:

„Na, das ist eine schöne Bescheerung! Klein bei giebt er nicht; na, das ist eine Geschichte! Und für lange Schreiberei ist bei dieser Affaire nicht mal Zeit. Nu, da ist es ja noch ein Glück, daß zuerst doch auch noch der Pastor mit heran muß. Mit dem werde ich jetzt wohl reden müssen, obgleich das auch gerade kein Vergnügen ist.“

Um diese Zeit war es, wo Veit Bielow und Pastor Hahnemeyer in dem Studirzimmer des Letztern am Fenster standen und hinaussahen über die Berge und Wälder. Das wenig umfangreiche Gemach war, wie das übrige Haus, in der nothdürftigsten Weise ausgestattet. Seit Jahren hatte die arme Berggemeinde so wenig als möglich an die Erhaltung ihres Pfarrhauses gewendet und an die Verschönerung desselben gar nichts. So waren Decken und Wände der Stuben und Kammern nur schlecht getüncht und der Kalk hier und da längst wieder abgebröckelt. Ueberall trat das Fachwerk wieder zu Tage; Tapeten gab es kaum noch, der Gipsfußboden war meistens zerrissen und zersprungen und um den Ofen herum zu Höhlungen ausgetreten; und die verwitterten Fenster mit ihren trüben kleinen schlecht in Blei gefaßten Scheiben ließen sich nur schwer öffnen und dann wieder nur mit gleich großer Mühe schließen. Was freilich der Pastor und seine Schwester an Hausrath mitgebracht hatten, das paßte ganz zu diesem allen und gab sich nirgends die geringste Mühe, Unwohnlichkeit, Armuth und Vernachlässigung zu verdecken und auszugleichen.

Aber der Gast hatte doch das eine Fenster in der Stube seines Jngendfreundes mit wunden Fingern offen bekommen, und der Blick daraus in die Nähe und Ferne entschädigte für Vieles.

Man erfuhr hier erst zu voller Gewißheit, wie hoch eigentlich das Dorf gelegen sei.

Obstbäume gediehen kaum noch. Die wenigen Ackerfelder der Gemeinde waren nur dürftig mit kümmerlichen Halmen bedeckt; aber über die Eschenwipfel unter diesem Arbeitszimmer Prudens Hahnemeyer’s hinweg übersah man meilenweit die Tannenberge und – darüber hinaus bis in die blaueste, abendduftige Ferne die norddeutsche Ebene: Dörfer, Städte, Flüsse und fruchtbares Land mehr oder weniger deutlich, sodaß ein feineres Gefühl für Erdenschönheit sofort mit Rührung und Freude sich diesen Auslug in jeglicher Jahreszeit, bei jeglicher Beleuchtung und in jeglicher Lebensstimmung als einen Trost, eine Beruhigung denken konnte.

„Du hast Deinem Arbeitstische eigentlich nicht die richtige Stelle gegeben, Freund,“ sagte Veit, sich von der schönen Aussicht an den müden, wortkargen, theilnahmlosen Mann neben ihm wendend. „Du solltest über Deinen Büchern und Predigtmanuskripten dieses immer im Auge halten können. Ich stelle mir das auch zum Advent in dem rechten Lichte als sehr geeignet vor, um dabei für Gedanken, Wort und Schrift den rechten Ausdruck zu finden.“

„Zur Adventszeit pflegt es sehr kalt hier oben zu sein, und die Hauswand ist dünn. Mich friert leicht, und dazu sagt mir die Aussicht wenig. Wollte ich mich mit ihr unterhalten, so würde sie mich doch auch nur von dem abziehen, was mehr Noth thut. Ich habe mit dem Menschen zu schaffen, nicht mit seinem Hause, seinem Acker und seinen Wiesen.“

Es schien eine rasche Antwort dem Gastfreunde auf der Zunge zu liegen. Er bezwang sich jedoch, behielt sie lieber bei sich und meinte nur gutmüthig lächelnd:

„Du trennst das von einander? Doktor Martin Luther würde Dich da wohl ein wenig am Ohrläppchen nehmen, mein Bester.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_462.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2024)