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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Gut?“ fragte Jenny verwundert. „Das glaube wer will! Er allein bei Tische, Du hier oben hinter verschlossenen Thüren – gestehe es doch, Kind, Ihr habt Euch nicht verständigt.“

„Bitte, nimm Platz, Jenny,“ sagte die junge Frau müde.

Frau Jenny setzte sich auf die Chaiselongue, Trudchen wieder an das Fenster. Es war todtenstill im Zimmer und im ganzen Hause.

„Es wäre auch gescheiter gewesen, wenn Du gar nicht geheirathet hättest, Trudchen,“ begann die Schwester mit einem Seufzer. „Aber, was hilft’s Du bist angeschmiedet, ja, ja! Man müßte sich Alles gefallen lassen, dürfte nie eine eigene Meinung haben! Ich bin auch noch ganz krank von dem Aerger gestern Abend, ich lief schließlich zu Mama hinauf; sie erschrak furchtbar, als ich in Nachtkleidern vor ihrem Bette stand; ich habe dann die ganze Nacht geweint. Heute früh wartete ich; ich dachte, er würde mich herunter holen, sonst war er immer so reuig, – aber er blieb aus, und wie ich mit Mama frühstückte, brachte mir Sophie eine Karte von ihm, auf welcher er mir sehr kühl mittheilte, daß er nach Manchester gegangen sei auf vierzehn Tage. Na – glückliche Reise!“

Trudchen antwortete nicht.

„So nimm Dir’s doch nicht so schrecklich zu Herzen, Kind,“ fuhr die junge Frau fort. „Liebe Zeit, wenn’s weiter nichts ist! Alle Frauen müssen ein Auge zudrücken, und manchmal über ganz andere Dinge.“

„Müssen?“ fragte Trudchen leise.

„Ja, was denn sonst?“ rief Jenny verwundert. „Denkst Du, man kann sein Bündel unter den Arm nehmen und davon gehen? Bah! Da wäre keine Frau mehr bei ihrem Theuren. Nein, nein – man söhnt sich hübsch wieder aus und nimmt Gelegenheit, es dem Herrn der Welt mit Zinsen heimzuzahlen. Das Versöhnen macht mir auch immer großen Spaß; paß nur auf, Kleine, wie lieb Arthur sein wird, wenn er zurückkommt, er ist auf vier Wochen wieder der goldigste beste Mann von der Welt.“

„Mir wäre so etwas unmöglich!“ klang plötzlich Trudchens Stimme klar und fest. „Heute zum Tode erbittert – morgen zum Aufessen zärtlich, es ist einfach unwürdig!“

Frau Jenny schwieg. „Ja, mein Himmel,“ sagte sie dann gähnend, „Einer ist nicht besser als der Andere! Wenn ich mich von Arthnr trennen wollte – wer weiß, was ich dafür eintauschte! Heirathen würde ich am Ende ja doch wieder, was soll man sonst anfangen in der Welt? Apropos! Mama hat mit dem Rechtsanwalt gesprochen – er räth dringend, die ganze Geschichte in diskretester Weise beizulegen. Mama ist zwar anderer Meinung, aber Doktor Schneider erklärte – siehst Du, man kann gar nicht fort, wenn man auch will – das wäre kein Scheidungsgrund, und ich sagte auch schon zu Mama: ,Gertrud,‘ sagte ich, ,und von ihm gehen? Undenkbar! Sie ist ja bis zum Wahnsinn in diesen Mann vernarrt; er könnte, glaube ich, gemordet haben, so würde sie noch einen Entschuldigungsgrund finden für ihn.‘ Habe ich Recht?“

Trudchen litt tausend Qualen. Sie rang stumm die Hände in einander, und ihre Augen sahen starr zu dem dunklen Himmel empor, an dem in grünlich blinkendem Lichte der Abendstern funkelte. Frau Jenny gähnte wieder.

„Ja, denke Dir nur,“ fuhr sie fort, „Du weißt noch gar nicht, was wir eigentlich hatten mit einander, Arthur und ich. Er machte mir Vorwürfe, ich verbrauche zu viel für meine Toilette; natürlich eine Ableitung seines Zornes von etwas Anderem – es waren Geschäftsbriefe da, vermuthlich mit unangenehmen Nachrichten. Ich erwiderte, das gehe ihn nichts an, ich bekümmere mich nicht um seine Depensen. Da wurde er unangenehm und warf mir vor, ich hätte in Nizza die Toiletten der eleganten Französinnen kopiren wollen. Es ist aber nicht wahr, ich hatte mir nur zwei Roben gekauft. Gott ja, sie waren etwas theurer, als wenn sie mein Schneider in Berlin macht. Natürlich sagte ich wieder: ‚Das geht Dich gar nichts an, denn ich bezahle sie.‘ Darauf sprach er sehr moralisch von ehrbaren Frauen und deutschen Frauen, die des Hauses Wohlstand mehren helfen; es wären schon andere Vermögen verschwendet als das unsere, und wenn man der Sache auf den Grund gehe, trage allemal ,Madame‘ die Schuld. Er tadelte Mama, die sich geradezu lächerlich mache mit ihren jugendlichen Kostümen, und zuletzt erklärte er, wir hätten Pflichten für unsere künftigen Kinder. – Der Himmel soll mich behüten! Mein armes süßes Walterchen habe ich hergeben müssen, ich will kein anderes, der Schmerz, ihn zu verlieren, war zu groß, ich würde vor ewiger Angst sterben. Kurz und gut, er spielte den richtigen kleinstädtischen Philister, und zuletzt noch gar den Othello, indem er behauptete, Rittmeister von Brelow grüßte mich immer so unverschämt vertraulich. Mir riß die Geduld. Ich schlug ihm vor, wir könnten uns ja trennen. Verstehe mich recht, ich sagte es nur so, denn in Wahrheit – er ist ziemlich folgsam, wenn man ihm die Zügel kurz hält. Und, wie schon erwähnt, man kommt auch nicht los um ein Nichts. ,Ich gehe sofort!‘ rief ich endlich weinend und lief zu Mama.“

„Höre auf, ich bitte Dich,“ sagte Trudchen, hastig aufstehend. Sie klingelte nach Licht, und als Johanne die Lampe brachte, beleuchtete sie ein fieberrothes Gesicht und Augen, wie verschwollen von heißen Thränen; und Trudchen hatte doch nicht geweint.

„Wie Du aussiehst, Kind!“ bemerkte Jenny. „Ja, was soll denn nun werden? Ich muß Mama Bescheid bringen, lediglich deßhalb kam ich.“ Sie warf einen Blick auf die zierliche Uhr über dem Schreibtisch. „In fünf Minuten neun Uhr – ich muß heim. Bitte, sage, wie gedenkt Ihr die Sache zu arrangiren?“

„Ihr werdet Nachricht erhalten, morgen – übermorgen – ich weiß es noch nicht,“ stammelte die junge Frau, die Hand an die schmerzende Stirn gepreßt.

„Mache nur keine Geschichten, Trudchen,“ Jenny nahm den grauen, mit rother Seide gefütterten Mantel um und schlang die Spitzenbarben des Hutes in einander. „Wenn die Sache so geordnet wird, wie Doktor Schneider sagt, so ist ihr ja die Spitze abgebrochen. Wie benimmt sich denn übrigens Franz? Hat er es zugegeben? Na ja, was kann er auch weiter machen! Also, bitte spätestens morgen Bescheid. Uebrigens, Kind, das ist mir noch nachträglich eingefallen – an dem Tage, wo Linden Besuch bei uns machte, begleitete ihn dieser Mensch, dieser Wolff, über den Markt bis nach unserem Hause; ich saß im Erker und wunderte mich noch, wie vertraulich Wolff ihm die Schulter klopfte.“

Trudchen stand regungslos. Ach, sie hatte dasselbe gesehen; sie besann sich so deutlich in diesem Augenblick.

„Ja, ja!“ stammelte sie.

„Er soll sehr viel dergleichen Geschäfte machen, erzählte der Rechtsanwalt. Aber nun gute Nacht, mein Herzchen; willst Du Bescheid senden, oder soll Jemand von uns morgen kommen?“

„Ich gebe Bescheid,“ antwortete Trudchen. Sie hatte die Schwester nicht hinaus begleitet, sie stand noch immer dort, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Arme schlaff hernieder hängend. Das Gespräch mit Jenny hatte einen Abgrund vor ihren Augen eröffnet, sie wußte auf einmal nicht mehr, was beginnen. Nur das Eine war ihr klar, bei ihm bleiben konnte sie nicht; ein gleichgültiges Nebeneinander würde sie nie ertragen und – ein herzliches Zusammenleben würde nie wieder möglich sein. „Niemals,“ sagte sie laut und fest, „niemals!“

Sie hörte jetzt nebenan seine Schritte; dann gingen diese Schritte wieder hinaus und nach einer Weile hörte sie dieselben auf dem Kies des Gartens, dann entfernten sie sich. Sie war so müde, und es war so kühl und sie konnte sich gar nicht besinnen, daß es jemals anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben, gestern noch, wo sie glücklich war; sie kam sich so verachtet vor.

Sie hielt das unselige Brieffragment in der Hand, es brannte wie glühende Kohle. Sie kannte ein ältliches Mädchen, die Tochter einer armen Beamtenfamilie, verbittert und mürrisch. Dreizehn Jahre war sie mit einem mittellosen Referendar verlobt gewesen, und schließlich sahen sie doch ein, daß sie mit Nichts keinen Hausstand gründen konnten. Sie blieb einsam, von Allen bedauert, die ihr trauriges Geschick kannten.

Ach, wenn sie hätte mit jener tauschen können, die doch geliebt worden um ihrer selbst willen! Und wenn sie das auch überwand, daß er sie nicht aus Liebe gewählt, die Lüge, die Heuchelei – nie, nie. Das Vertrauen war dahin.

Ohne recht zu wissen, was sie that, war sie in den Korridor getreten und empfand die kühlere Luft wie eine Wohlthat. Rasch ging sie die Treppe hinab und in den Garten. Aus der Küche schallte Lachen und Flüstern, der Gärtner trieb dort Unsinn mit den Mädchen; das Auge der Herrin fehlte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_455.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)