Seite:Die Gartenlaube (1885) 442.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Es ist nur purer Egoismus, Trudchen,“ fuhr er fort. „Wenn ich nicht weiß, wie es da wird bei Euch, bin ich ein kranker Mann.“

„Nein, Onkel. Wir zwei brauchen Niemand, wir sprechen besser unter vier Augen.“

„Brich nicht gleich den Stab, Kind,“ sagte er weich.

„Das habe ich nicht nöthig, Onkel Heinrich!“

Er nahm den Hut ab über dem kahlen Scheitel. Es lag etwas wie Ehrfurcht in seinen Augen. „Leb wohl, Trudchen, kleines Trudchen, wenn’s nach mir gegangen wäre, Du hättest keine Silbe erfahren.“

Sie nickte ihm ernsthaft zu: „Es ist gut so, Onkel!“ Dann fuhr sie den Weg zurück, den sie gekommen.

Der Regen schlug an die klappernden Scheiben und trommelte auf dem Lederdach des Wagens, und die Fahrt ging so langsam. Das junge Weib starrte hinaus in die dunstige Landschaft; verweht war die Blüthenpracht, die weißen Blumenblättchen schwammen auf den Pfützen der Landstraße. „Nur einen Sonnenstrahl!“ dachte sie, das Wetter drückte sie vollends zu Boden.

Lächerlich! Wie kann man sich so beeinflussen lassen durch thörichte Reden! Mama, die stets Alles schwarz sah, – und wenn sie auch stets die Wahrheit sprach – diese Geschichte hatte man ihr aufgebunden. Armer Franz! Nun wird es Aerger geben – den ersten Verdruß! – Sie wollte es ihm scherzweise mittheilen, – nach Tische, wenn sie allein im Zimmer, dann wollte sie sagen: „Franz, ich muß Dir noch etwas erzählen, zum Todtlachen, Franz! Denke Dir, Du hast Dir einen bittern Feind geschaffen, und seine Rache ist so komisch, er behauptet“ – sie lächelte jetzt wirklich – „Ja, so wird es gehen.“

Da kam sie eben an dem Wartthurme vorüber. Woran dachte sie doch gleich, als sie vor ein paar Stunden hier fuhr? Ach ja – eine Purpurröthe überflog ihr Gesicht – „an die Wiege auf dem Boden“. Sie sah das alte Geräth so deutlich vor sich; zwei rothe Rosen waren am Kopfende gemalt, in der Mitte ein goldener Stern, und darunter stand: „Wohl Dem, der Freude erlebt an seinen Kindern.“

Sie griff in die Tasche und holte das Notizbuch hervor – der Wagen kroch so langsam den Berg hinan – sie kannte die Worte noch nicht ganz, sie mußte es noch einmal lesen:

„Als ich vor Thau und Tag zu Felde ging –
Du schliefst noch fest mit purpurrothen Wangen,
Da wandt’ ich auf dem Wege mich zurück
Und sah mein Haus, und rings des Lenzes Prangen;

Vom Giebel flog ein Schwalbenpaar hernieder
Zum Nestlein, das es neulich erst gebauet,
Am Fenster schwanken grün die Lindenzweige,
Da hab’ ich Dich mit Seherblick geschauet.

Vor einer Wiege lagst Du auf den Knieen
Und sangst ein Schlummerlied im trauten Stübchen,
Vom Vater, der zur Jagd, zum Wald hinaus,
Und Schönes heimbringt seinem braven Bübchen.“

Sie ließ das Blatt sinken; sie wußte ja, welches Lied er meinte – das alte Wiegenlied, das sie einst dem Pathenkindchen gesungen, als er draußen vor dem Fenster gelauscht; er hatte es ihr erzählt, und daß er in jenem Augenblicke völlig bezaubert gewesen.

„Nun kommt Väterchen bald
Heim aus dem grünen Wald.“

Sie drückte das Buch an die Lippen. Ach, Menschenneid und Kleinlichkeit, wie lagen sie so tief unter ihr, wie wesenlos erschienen sie vor dieses Glückes Erwartung!

Da wehte ein Blatt hernieder, bläuliches Schreibpapier. Sie hob es auf, das Stückchen eines Briefes, auf der freien Rückseite Notizen von Franzens Hand: „Ein halber Centner Grassamen, Thiergartenmischung,“ die Adresse einer Fabrik landwirthschaftlicher Maschinen.

Sie wendete das Blatt, sah flüchtig darauf, dann starr – aus dem Gesichte war plötzlich jede Spur von Farbe gewichen –. Sie hob die Augen mit dem erschreckten Ausdrucke und senkte sie wieder – ja, da stand es!

„– Außer obengenannten Kapitalien besitzt Fräulein Gertrud Baumhagen noch eine Villa bei Bergedorf. Massives Gebäude, herrschaftlich eingerichtet, mit Stallungen, Gärtnerwohnung und einem zehn Morgen großen, von massiver Mauer eingefriedigten Gartengrundstück, zum Theil in Wald bestehend.

Das Besitzthum ist im Grundbuche auf den Namen der Dame eingetragen zum Schätzungswerthe von vierundzwanzigtausend Thaler.

Zu jeder näheren Auskunft gern erbötig

D., den 21. December 1882.

 Hochachtungsvoll Ihr sehr ergebener
 Isidor Wolff, Agent.“

Trudchen wollte es noch einmal lesen, aber ihre Hand zitterte so heftig und flimmernd tanzten die Buchstaben vor ihren Augen. Sie hatte es ja auch gesehen, klar und deutlich, es wurde nicht anders, und wenn sie den Zettel noch so oft las. Mit erbarmungsloser Gewalt drang die Ueberzeugung auf sie ein. Es ist Wahrheit, schreckliche Wahrheit! Und Lüge war ein jedes Wort von ihm!

Wie eine Waare hatte sie sich verschachern lassen, sie, sie war nun doch in ein solches Netz gegangen!

Sie hatte das für Liebe gehalten, was nur die gewöhnlichste Berechnung gewesen!

Ach, die Demüthigung war ja nichts gegen das furchtbare Gefühl, das so unheimlich kalt in ihrem Herzen aufstieg – die Pein gekränkten Stolzes und mit ihr der Trotz, der alte herbe Trotz. Sie hatte ihn nicht mehr gekannt, sie war gut gewesen, das Glück macht so gut – Und nun? Und jetzt?

(Fortsetzung folgt.)

Deutsche Turnfeste.

Seit Monaten regt es sich gewaltig in den deutschen Turnvereinen. Mit erhöhtem Eifer wird geturnt, die schwersten Uebungen werden versucht, erprobt, eingeübt. Alle guten Turner werden zum fleißigen Besuch des Turnsaales angehalten, die tüchtigsten noch besonders vorgenommen und durchgebildet. Gilt es doch, auf dem bevorstehenden großen Allgemeinen deutschen Turnfest in fröhlichem Zusammenturnen in heißem, schweißtreibendem Wettkampfe die Ehre des heimathlichen Vereins zu wahren und – als höchstes Ziel – einen Siegespreis, dem Vereine zum dauernden Ruhme, zu gewinnen.

Nicht allein die Jungen, die noch mit jugendlicher Elasticität Begabten rüsten sich für das Fest, auch die Alten, welche bereits die Höhe des Lebens erreicht oder gar überschritten haben, wollen in besonderen „Altersriegen“ zeigen, daß, wenn auch manchem bereits das Haar ergraut ist, doch das Herz sich noch frisch erhalten hat, das Mark in den Knochen noch nicht vertrocknet ist, daß auch sie noch an Reck, Barren, Springpferd das Ihrige leisten.

Nicht weniger lebhaft geht es in dem Festorte zu. Zahlreiche Komités sorgen unermüdlich, daß der gewaltige Festplatz hergerichtet, würdig mit allem nöthigen Turngeräth ausgestattet werde, daß die von nah und fern eintreffenden Turner ein gutes Unterkommeu finden, daß es nicht an alledem mangele, was zum Behagen der willkommenen Gäste dienen könne.

Es ist das sechste allgemeine deutsche Turnfest, das vom 19. bis 23. Juli in Dresden, Sachsens schöner Hauptstadt, gefeiert werden soll. Es wird zugleich ein Jubelfest der seit nunmehr 25 Jahren bestehenden trefflich bewährten, einheitlichen Gestaltung des deutschen Vereinsturnens sein, es wird auch ein Ehrenfest für zwei Männer werden, welche in diesem Zeitraum, seit 1860 von der deutschen Turnerschaft stets wieder an ihre Spitze berufen, ihr beschwerliches Ehrenamt mit größter Treue, „alle Stund’ aufrecht“ zu aller Dank verwaltet haben, für den Rechtsanwalt Theodor Georgii in Eßlingen und den Dr. med. Ferdinand Götz in Lindenau bei Leipzig.

Die deutschen Turnfeste sind auf keinen Geringeren als den Turnmeister Friedrich Ludwig Jahn selbst zurückzuführen. Von dem Gedanken: „die Seele des Turnens ist das Volksleben und dieses gedeiht nur in Oeffentlichkeit, Luft und Licht“ ausgehend, machte er von Anbeginn das Turnen auch zu einer

öffentlichen Angelegenheit. Schon 1814 hielt er, als Nachfeier

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_442.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)