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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ja,“ sagte Trudchen, „er war noch vier Wochen mit ihnen an den italienischen Seen.“ Und als besinne sie sich jetzt erst: „Wie es mich aber freut, daß Mama gleich herauskommen will! Ach Onkel, wenn sie sich doch mit Franz aussöhnte!“

„I Was, Trudchen, sorge Dich nicht, wird sich schon machen; er ist auch nicht der Mann, der sich was gefallen läßt.“

„Was nur dieser Wolff von ihm wollte?“

„Hm! Wo, um Himmelswillen! bleiben sie denn aber?“ fragte ungeduldig der Onkel.

„Hungert Dich?“ erkundigte sie sich zerstreut.

„Hungern? Wie kann man so plebejisch fragen! Für den Hunger thut’s ein Gericht Schweinefleisch mit Rüben. Ich habe Appetit, mein Kind!. O, la la – der Spargel wird schlecht werden, wenn die Beiden so lange bleiben.“ –

Es war ein sehr behagliches Bild, das sich der Frau Baumhagen darbot, als sie nebst Jenny und Arthur vor den Stufen der Veranda anlangte. Man saß eben noch beim Nachtisch und Onkel Heinrich, die Serviette im Knopfloch, das erhobene Champagnerglas in der Hand, rief ihnen an der Saalthür ein kräftiges „Willkommen!“ entgegen, während das junge Paar eilig die Stufen hinabschritt; Trudchen mit purpurrothen Wangen. Sie war so stolz, so glücklich.

Frau Baumhagen sah erstaunt auf ihr Kind. Das blasse stille Mädchen war aufgeblüht wie eine Rose; „es sind noch die Flitterwochen,“ sagte sie sich, und unablässig folgten an diesem Tage ihre Augen der jüngsten Tochter.

Unter der Kastaniengruppe stand der Kaffeetisch, es war ein köstliches Fleckchen. Neben den grünen Rasenflächen, an prächtig belaubten Bäumen vorbei schweifte der Blick zu dem gemüthlichen alten Wohnhause hinüber mit seinem epheubewachsenen Dache und dem hohen Giebelfeld. Die Thüren des Gartensaales standen offen, an der Fahnenstange flatterte lustig ein schwarz-weißer Wimpel.

„Ein Idyll, wie eine Idylle von Voß!“ lachte der kleine Amtsrichter.

Der junge Hausherr führte galant die Schwiegermutter durch die Gartenwege; jede Wolke war von seiner Stirn geschwunden, er war heiter und liebenswürdig.

„Aber sehr sicher!“ raunte Frau Jenny ihrer Mutter später zu, „er fühlt sich als Wirth und Hausherr.“

Das unbehagliche Gefühl, das ihn sonst seiner Schwiegermutter gegenüber nicht verlassen hatte, war gewichen; zu ihrem Erstaunen erlaubte er sich, ihr ein paarmal ganz ruhig zu widersprechen, das hatte Arthur nie gewagt. Und Trudchen, wie lächerlich! Während sie in ihrer ruhigen Weise am Kaffeetisch waltete, flogen ihre Augen beständig zu ihm hinüber, sobald er sprach. „Wie Du willst, Franz !“ – „Was meinst Du dazu, Franz?“ Und auf eine Einladung der Mutter, Trudchen möge doch am morgenden Geburtstage der Tante Stadträthin als Gratulantin nicht fehlen, fragte sie lieblich bittend: „Erlaubst Du, Franz? Kann ich den Wagen bekommen?“

„Sicher, Trudchen!“ war die Antwort.

Da legte Frau Baumhagen ihre zierliche Kaffeeserviette auf den Tisch und lehnte sich weit zurück in den Gartensessel; das Kind war wohl nicht recht gescheit! Das ging über alle Begriffe! Arthur Fredrich aber klatschte lebhaft Beifall; „Trudchen,“ rief er über den Kaffeetisch hinweg, „sprich hier zu dieser –“, er faßte die Hand seiner Frau, die sie ihm ärgerlich zu entwinden suchte, „wie sagt doch Käthchen als liebenswürdige Ehefrau zu ihrer Schwester? ‚Dieselbe Treue und Ergebenheit, wie sie der Unterthan dem Fürsten zollt, die schuldet auch das Weib dem Eheherrn.‘ Ist’s nicht so? Ach, es klingt so süß für unser Einen, wie eine Botschaft aus der bessern Welt!“

„Gewiß!“ lachte Trudchen, nicht im mindesten verletzt von dem ironischen Tone, „‚der Gatte ist der Herr und der Erhalter, das Licht, das Haupt, der Fürst; er sorgt für Dich, giebt seinen Leib mühsel’ger Arbeit preis, wenn Du im Hause warm und sicher ruhst, und fordert zum Ersatz nicht andern Lohn als Liebe, freundlich Blicken und Gehorsam. Zu kleine Zahlung für so große Schuld!‘ Du siehst, Arthur, ich habe meinen Shakespeare im Kopfe.“

Frau Baumhagen hob urplötzlich den gemüthlichen Kaffeetisch auf; sie schien echauffirt, denn sie wehte sich heftig Kühlung zu mit dem Taschentuche.

„Gertrud, Du mußt uns noch die Einrichtung zeigen!“ erklärte sie. „Komm, Jenny, wir wollen die Herren allein bei ihren Cigarren lassen!“

„Gern, Mama,“ sagte die junge Frau unbefangen. Sie führte Mutter und Schwester durch Küche und Keller, durch die Zimmer, durch däs ganze Haus. Im Gartensaal war eine junge hübsche Frau in blendend weißer Schürze beschäftigt die Tafel abzuräumen. Trudchen gab ihr im Vorbeigehen leise einen Befehl.

„Das ist ja die Johanne, deren Mann damals verunglückte!“ sagte Jenny.

„Ja,“ bestätigte die Schwester, „ich habe sie als ‚Mamsell‘ engagiert. Sie ist sehr tüchtig und ich möchte gern ein bekanntes Gesicht um mich haben.“

„Mit dem Kinde?“ fragte spöttisch die Mutter.

„Das versteht sich,“ erwiderte die junge Frau. „Sie wohnt im Seitengebäude; ’s ist eine Lust, wie der kleine Kerl hier draußen gedeiht.“

„Wer wohnt auf dieser Seite des Hauses?“ erkundigte sich Jenny weiter.

„Die Tante Rosa.“

„Barmherziger! Wohl eine Art Schwiegermutter?“ rief die Schwester erschreckt.

Trudchen schüttelte den Kopf.

„Nein, sie ist eine ganz harmlose Person, ein altes Hausinventar – so zu sagen. Aber ich möchte gern, daß Franz seine Mutter hernimmt; die alte Frau ist so allein und es geht ihr recht kümmerlich.“

Jenny lachte hell auf, Frau Baumhagen aber rauschte so heftig in das nächste Zimmer, daß alle Schleifen ihrer etwas jugendlich arrangierten Trauertoilette flatterten und wogten.

„Trudchen!“ rief Jenny, „Du wirst doch nicht so von Sinnen sein?“

Die junge Frau antwortete nicht. Sie öffnete gelassen eine Schrankthür im Korridor und sagte: „Das ist die Gesindewäsche, Jenny; wir müssen viel haben auf dem Lande; dort die Spinde für andere Wäsche und für Porcellan, hier ist mein Zimmer. Bitte, Mama!“

„Hätte etwas weniger einfach sein können,“ bemerkte die Mutter, die ihr Gleichgewicht wiedergefunden; nur die Röthe der Erregung lag noch auf dem runden Gesicht.

„Ich wollte nicht so sehr abstechen von Franz, und der hat seine alten Möbel behalten; wir sind ja überhaupt nur ganz kleine Gutsbesitzer, Mamachen, und haben eben erst angefangen.“

Die Frau Mama räusperte sich und nahm Platz in einem der kleinen Fauteuils. Jenny ging im Zimmer umher und beschaute die Nippes und Bilder, wobei sie leise vor sich hinsummte. Trudchen aber stand gedankenvoll vor der Mutter, und wie Eis legte es sich um ihr Herz. Es war das alte Gefühl von Fremdsein, das sie immer und immer wieder zurückdrängte von Mutter und Schwester; Nichts war ihnen gemeinschaftlich. Es that ihr noch immer so unendlich leid, aber sie empfand nicht den herben Schmerz wie früher. Langsam senkte sich ihre Hand in die Tasche des Kleides und faßte leise ein knisterndes Papier: „Ich hab Dich namenlos geliebt!“ Ach, es war ein Ersatz für Alles, Alles, und fröhlich hob sie den Kopf. „Aber Ihr habt mir noch gar nicht erzählt von Eurer schönen Reise, und Eure Briefe waren so kurz.“

„Ja,“ sagte Jenny gähnend und nahm eine Terrakottafigur in die Hand, sie von allen Seiten betrachtend, „es war himmlisch in Nizza; man fühlt so recht, in welch kleinen Kreisen man vegetirt, nun man zurück ist – es leben die deutschen Kleinstädte!“

„Nächstes Jahr gehen wir wieder hin, so Gott will,“ fügte Frau Baumhagen hinzu, „nur möchte ich von Arthur’s Begleitung absehen; er war genau so kindisch, wie seiner Zeit Euer Vater. Jenny sollte dies nicht thun und jenes nicht thun, hier nicht hingehen und dort nicht stehen bleiben, er kehrt bei solchen Gelegenheiten den richtigen deutschen Spießbürger heraus, als ob wir Frauen nicht ganz von selbst das Rechte fänden.“

Frau Jenny setzte sich ebenfalls. „Laß nur gut sein, Mamachen, er büßt noch immer für seine Albernheiten. Die Scene, die er uns in Monte Carlo machte, habe ich ihm noch lange nicht vergessen.“

„O ja, die Stimmung zwischen Euch ist eine äußerst angenehme, das weiß Gott!“ erklärte die Mutter. „Uebrigens,“ sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_422.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2021)