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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Bad Landeck in Schlesien.

(Mit Abbildung S. 401.)


Immer neue Bäder tauchen auf, welche von der Mode des Tages begünstigt werden: so möge man der altbewährten nicht vergessen, die bereits mehreren Geschlechtern Hilfe und Segen gebracht haben, mögen sie auch etwas abseits liegen von der großen Heerstraße des bequemsten Weltverkehrs. Zu diesen gehört das schlesische Bad Landeck, in der Grafschaft Glatz gelegen, in einem nach Norden und Osten von hohen Waldbergen umrahmten Thalkessel, ein preußisches Königsbad; denn hier badete Friedrich II. im Jahre 1765, nachdem er eine Revue in Schlesien abgehalten, um seine durch die Feldzüge angegriffene Gesundheit wieder herzustellen; hier hielt sich Friedrich Wilhelm III. während des Waffenstillstandes im Jahre 1813 sechs Wochen lang auf und empfing hier einen Besuch des Kaisers Alexander, der im Waldtempel, diesem prächtigen von hohen Fichten überschatteten Lieblingsplatz der Badegäste, festlich bewirthet wurde.

Doch Landeck braucht nicht blos von seinen historischen Erinnerungen zu zehren; ein so gesuchtes Bad bedarf keines publicistischen Nothschreis; es gilt nicht die Trommel zu rühren, um „Menschen in die hohlen Läger zu sammeln“. Davon kann sich jeder überzeugen, der sich in das Gedränge der Brunnenpromenade in der Lindenallee hinter der stattlichen Albrechtshalle mischt, oder der bei Vormittags- und Nachmittagskoncerten unter den hohen Lärchenbäumen des Kurparkes sich von der hochgehenden Fluth des fashionabeln Verkehrs treiben oder auf der Bank unter der breitästigen Tanne, beim Geplätscher des Wassers, das der Marmorlöwe vom hohen Piedestal ergießt, die Menge an sich vorüberziehen läßt. Da hört man ebenso viel Polnisch wie Deutsch sprechen; denn überaus zahlreiche Gäste aus Posen, Russisch- und Oesterreichisch-Polen sind hier stets anwesend: da sieht man elegante Toiletten, stattliche Männer- und Frauenerscheinungen. Der schlesische Adel giebt sich hier zur Sommerszeit in jeder Saison ein Rendez-vous; die Badeliste weist stets Vertreter der hervorragendsten Familien auf. Breslau sendet seine Gelehrten, Beamten und Kaufleute; Berlin in der Regel ein Kontingent von Badegästen aus seinen jetzt mit Hochdruck arbeitenden Ministerien. Doch in Mittel-, West- und Süddeutschland ist dies im deutschen Osten so anmuthig in seinen Waldungen versteckte Bad nicht genugsam bekannt.

Landeck hat allen Anspruch darauf, ein Modebad zu werden; denn seine Quellen sind wie wenige heilkräftig für die verbreitetste Krankheit unserer Gesellschaft, die man als die Säkularkrankheit bezeichnen könnte: die Ueberreizung der Nerven, die durch unsere ganze Kultur großgezogen wird, durch ihre stillen und lauten Leidenschaften, durch das Fieber des Ehrgeizes auf der politischen und künstlerischen Laufbahn, den stürmischen Wetteifer auf allen Gebieten, die krampfhafte Spannung, welche die leisesten Schwankungen des Züngleins an der Börse verfolgt oder athemlos auf den Ausgang gewagter Spekulationen harrt. Und zu dieser Nervenerregung kommt diejenige der weiblichen Natur, die ihr zum Theil anerzogen wird durch die Anforderungen der Gesellschaft, durch manches Raffinement der Mode und der Salons. So viele junge Schönheiten sind erschöpft durch die Wintercampagne, wenn sie sich tapfer durch eine Saison durchgeschlagen, durchgetanzt, durchgeliebt haben. Da erscheint ihnen der Lenz mit seinen Blüthen und Liedern durchaus nicht so herzerquickend, wie er in den Albums der Dichter geschildert ist, die auf ihrem Toilettentische liegen, und im Sommer bedarfs der Erholung für die angegriffenen Nerven. Hierzu kommen die großen Krisen des weiblichen Organismus, die auch einer gesunden Natur unwillkommene Störungen ankränkeln. Diese alle suchen und finden Heilung bei den Landecker Thermen.

Wohl begegnet man auch hier einzelnen Schwerkranken, da sich die Bäder auch gegen Lähmungen wirksam erweisen; doch die überwiegende Mehrzahl der Badegäste macht durchaus keinen an den ganzen Jammer der Menschheit erinnernden Eindruck; wir bewegen uns unter den guten Bekannten der Salons, grämlichen Hypochondern, Hysterischen von wechselnder Stimmung, die ihre Krampfanfälle im stillen Zimmerchen abmachen, unter einer großen Zahl von Durchschnittsmenschen, deren Nerven durch Arbeit oder Vergnügungen übers Maß erregt und angespannt wurden. Das alles hat nichts Unheimliches, nichts Beängstigendes und Niederdrückendes, sollten sich auch unter der Menge hier und dort Einzelne finden, deren psychisches Räderwerk nicht mehr ganz im richtigen Gange ist; denn Landeck hat den Ruf der Heilkraft für die Vorstadien der Seelenstörungen.

Die Bäder von Landeck gehören zu den indifferenten Thermen, wie diejenigen von Wildbad und Schlangenbad. Die Quellen enthalten Schwefelwasserstoffgas und Stickgas, doch ist der Gehalt an Schwefel so gering, daß er wohl kaum in Rechnung gezogen werden kann. Ausnehmend wirksam ist die kühle Temperatur der Bäder (22–23° R.) Es sind in Landeck drei große Bade-Etablissements: das älteste, das Georgenbad, ein unregelmäßiger Bau mit einem von grau-blauem Marmor eingefaßten Bassin, das Steinbad mit 22 Badekabinets und den Vorrichtungen für Moorbäder, und dann das Marienbad, der architektonische Glanzpunkt Landecks; das neuere im Jahre 1880 vollendete Prachtgebäude ist vielleicht der schönste Bau, der sich in deutschen Bädern findet; es erhebt sich aüf einem Sockel von cyklopischem Mauerwerke und besteht aus einem doppelten Gebäudering, dessen Mitte durch eine 48 Meter hohe Kuppel gekrönt wird. Der Grundriß stellt zwei in einander gelegte Ringe dar, in die ein gleichschenkliges Kreuz gelegt ist. Im äußeren Ringe befinden sich 38 Wannenkabinets, zu denen schöne luftige Korridore führen. Wenn man das prächtige Vestibül geradeaus durchschreitet, so gelangt man zu einem zweiten Korridore im inneren Gebäuderinge, um den die 38 Ankleidekabinets für Diejenigen angelegt sind, die im Bassin baden. Der Blick auf das ringförmig im inneren Kuppelraume liegende Bassin hat etwas Feenhaftes. Aus der Einfassung mit karrarischem Marmor schäumt das Wasser der Marienquelle in der Tiefe klar und durchsichtig und bläulich gefärbt und von den perlenschnurartig aufsteigenden Gasblasen durchzogen: Marmorstufen von blendender Weiße führen zu ihm herab. Schlanke Stuckornamente zieren die Wände des Ueberbaues, der sich über dem Bassin erhebt; 16 Säulen aus grauschwarzem belgischen Marmor tragen den Oberbau und die mächtige Kuppel mit ihrer lichten Wölbung, welche durch eine auf den Säulen ruhende schön konstruirte Glasdecke, die vor Zugluft schützt, dem Blicke der Badenden nicht entzogen wird.

In der That, dies Marienbad ist ein echter Gesundheitstempel; es badet sich prächtig da unten in der kühlen blauen Fluth, in der marmornen Rotunde, und es macht einen befreienden Eindruck auf das Gemüth, wenn man dabei den Blick nach der hohen lichten Kuppel richtet. Wem aber die kühlen Najaden des Marien- und Georgenbades noch zu temperamentvoll sind, der findet in Landeck selbst auch eine kältere Erquickung, in der trefflich geleiteten und komfortabel eingerichteten Kaltwasserheilanstalt Thalheim.

Landecks gesellschaftliche Freuden haben ihren Mittelpunkt im Kursaale, einem großen Speisesalon mit Spiel-, Lese- und Billardzimmer, nach dem Kurgarten zu mit einer reichgemalten Veranda geziert, zu der eine Freitreppe hinaufführt. Im rechten Winkel an den Speisesaal angebaut ist der Tanz- und Koncertsaal, der Loüisensaal, der eine Länge von etwa 85 Fuß besitzt. Hier finden die allwöchentlichen Réunions statt, bei denen die schlesischen und polnischen Schönheiten ihre ganze Grazie und bisweilen zum Schrecken der Bade-Aerzte eine Unermüdlichkeit entwickeln, welche an einem Sonnabend wieder zerstört, was die ganze Woche über aufgebaut worden.

Auch als Luftkurort verdient Landeck empfohlen zu werden wegen seiner belebenden Gebirgsluft und der meilenweiten Tannenwälder, welche rings die Höhen bedecken. Was die landschaftlichen Schönheiten der Umgebung des Bades betrifft, so hat sich ein berühmter Naturforscher, Leopold von Buch, hierüber in einer Weise ausgesprochen, welche den Schwung der lyrischen Dichter beschämt.

„Mögen doch Feeenromane ihre Phantasie aufbieten, eine Gegend bezaubernd und reizend zu schildern: sie werden ihre Dichtungen hier als Wirklichkeit finden.“ In der That ist die Gruppirung der umliegenden Berge überaus malerisch, und wo man auch wandern mag – jede Wendung des Weges zeigt neue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_414.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2021)