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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Verse müssen schon ungewöhnlich schlecht sein, was man von den vorstehenden hoffentlich nicht behaupten wird, sollten sie, im richtigen Moment an den Mann, vielmehr an die Frau gebracht, ihre Wirkung verfehlen. Julia von Helmkron, welche außer den schon erwähnten Augen einen anmuthigen Blondkopf auf schlankem, wohlgebildetem Körper besaß, war nur vier Jahre älter als ihre Namensschwester in Verona, also achtzehn Jahre alt, sie hatte unlängst erst ein größeres Mädchenpensionat verlassen und war daher für die Poesie des Lebens besonders empfänglich. Die Prosa war in Gestalt einer Stiefmutter an sie herangetreten und bereits hatte sie sich in die Zärtlichkeit ihres Vaters mit einem kleinen Brüderchen zu theilen. Dies und die Oede des geselligen Lebens in X., deren Gründe sie wohl kannte, aber keineswegs billigte, stimmte sie oft recht traurig.

Die zweite Frau von Helmkron, während ihres Jungfernstands eine geschworene Feindin der Ehe, kannte, seitdem sie sich zu ihr, als einer letzten Verjüngungsgelegenheit entschlossen, kein größeres Vergnügen, als das, andere möglichst rasch unter die Haube zu bringen. Der Tochter gegenüber wurde das Vergnügen zur Pflicht. Da sie aber auch eine herrschsüchtige Frau war, die über die Damen des Regiments ihr Scepter so schneidig schwang, wie der Oberst, ihr Gatte, über die Herren, so suchte sie den Schwiegersohn möglichst im Bereich dieses Scepters und fand ihn.

Der Lieutenant von Hagedorn, ein entfernter Verwandter ihrer Familie, genoß als kühner Reiter und Pferdekenner eines bedeutenden Ansehens im Regiment. Keiner verstand es, wie er, die Natur zu korrigiren und die scheinbar mißgestaltetsten ihrer Geschöpfe durch Pflege und Dressur zu wahren Prachtexemplaren der Gattung umzuschaffen, als welche er sie großmüthig den jüngeren Kameraden abtrat. Er leitete auch den Fechtunterricht, seine Quarten galten als unfehlbar und in den Händeln mit den Dragonern hatte er schon wiederholt blutigen Gebrauch davon gemacht. Dies, seine gewaltigen Stimmmittel und eine ebenso große als ausdauernde Vorliebe für die Freuden der Tafel erhoben ihn zum bewunderten Führer der ledigen Jugend. Hatte er sich zur Aufgabe dieser Führerschaft nur schwer entschlossen, indem er auf die Pläne seiner Kousine einging, so hielt er es nun für Ehrensache, das begonnene Unternehmen siegreich durchzuführen, und trotz Julias Zurückhaltung, die er für weibliche Schüchternheit hielt, zweifelte er nicht einen Augenblick an dem Erfolg. Er war ein stattlicher Mann, das gerade Gegentheil von Sternau, ein Hüne von Gestalt mit gebräuntem Gesicht, dunklem Haar und mächtigem dolchscharf gespitzten Schnurrbart. Zu dem Seelengemälde jedoch, das sich Julia von ihrem Ritter entworfen, paßte er nicht und nur mit Widerwillen konnte sie an eine Verbindung mit ihm denken. Allein vergebens suchte sie den Anspielungen der Stiefmutter, denen sich bald auch die Ermahnungen des Vaters beigesellten, auszuweichen. Nach solchen Auftritten flüchtete sie in den Garten und blickte so sehnsüchtig nach Süden, als müßte ihr von dort ein Retter kommen.

„Wohnt denn kein Mitleid in den Wolken droben?“

Ach, der Frühling kam ja von dort und in den Damenkreisen des Regiments stand es bereits fest, daß er mit dem großen Avancement, das Hagedorn zum Rittmeister beförderte, der Welt auch dessen Verlobungsanzeige bringen werde.

Arme Julia! Da plötzlich tauchte Sternau in ihrem Gesichtskreis auf, und seine Erscheinung berührte sie gleich das erste Mal angenehm. Als sie nun aber hörte, daß man ihn im Freundeskreis, wenn auch nur scherzend, den Romeo nenne, da fühlte sie sich wundersam berührt. Sie nahm aus dem Bücherschrank ihres Papas den betreffenden Band der Werke des großen Briten, las die tragische Geschichte des berühmten Liebespaares unter Thränen durch und ließ das Buch – ob aus Zufall oder Absicht, wer wagte das zu entscheiden? – auf dem Gartentisch liegen. Und eben daselbst fand Sternau als Antwort auf sein feuriges Poëm eine frisch duftende Rose, die er entzückt und begeistert an die Lippen preßte.

(Schluß folgt.)

Die edle Kegelei im „Malkasten“ zu Düsseldorf.

Mit Illustrationen von Th. von Eckenbrecher und Grot Johann.

Soweit die deutsche Zunge reicht, steht das edle Kegelspiel bei allen Ständen hoch in Ehren, und die Zahl der Vereine und der „geschlossenen Gesellschaften“, die allabendlich den hölzernen König mit seinen acht plumpen Trabanten zu stürzen trachten, dürfte selbst diejenige der Skatjüngerwelt übertreffen; denn der Kegelkönig herrscht überall im Norden wie im Süden, am tiefen Meeresstrande und hoch in den Bergen, allwohin der Skat noch lange nicht gedrungen ist. Bis jetzt hat man sich allerdings mit der Geschichte des wackeligen Monarchen und mit der Statistik seiner Macht nur wenig oder gar nicht befaßt, und erst vor Kurzem haben die deutschen Kegler der Anregung des Dresdener „Sandhasen“-Klubs Folge geleistet und beschlossen, in der reizend gelegenen Hauptstadt des gemüthlichen Sachsenlandes einen großen deutschen Keglertag abzuhalten. Vielleicht wird dieser Tag System in den Kegeldilettantismus bringen und das Vernachlässigte emsig nachholen.

Doch wenn die strenge Wissenschaft der edlen Kegelei so viel schuldig geblieben ist, von der Kunst kann man dies nicht behaupten. Sie hat das Kegelspiel in zahllosen Gemälden verherrlicht, und Jünger der Kunst waren es auch, die vor Kurzem einen förmlichen Kegeltempel errichten ließen. Im Hause des berühmten Künstlervereins „Malkasten“ in Düsseldorf ist eine Kegelbahn zu schauen, wie solche ihres Gleichen in deutschen Gauen wohl nicht wieder findet.

Von dem „Malkasten“ selbst, von dem trefflichen Geist, der ihn belebt, von den prachtvollen Festen, die er veranstaltet, und von den humanen Zwecken, die er verfolgt, hat die „Gartenlaube“ schon mehrmals berichtet.[1] Der Zauber der Kunst, der jetzt über dem grünen Park und dem Hause ruht, ist kein neugebackener. Eine Fülle schöner litterarischer Erinnerungen knüpft sich an diese Stätte. Vor etwa hundert Jahren gehörte das weite Besitzthum dem Philosophen Friedrich Jacobi, dessen Bruder Georg neben Goethe als einer der besten deutschen Lyriker geschätzt wurde. Seine glänzende Gastfreundschaft, seine menschenfreundliche und herzliche Gesinnung lockten in sein Haus eine Schar auserlesener Gäste herbei, die hier schöne Tage verlebten, wie Goethe es so anmuthig in „Wahrheit und Dichtung“ geschildert. Außer ihm, dem Dichterfürsten, weilten hier noch Wilhelm Heinse, der Verfasser des „Ardinghello“, Jung-Stilling, die Grafen Stolberg, Georg Forster, die Fürstin Galitzin und Hamann, der Magus des Nordens. Noch heute ist das alte Jacobi’sche Haus als Hinterbau des „Malkasten“ vollständig in seinem ursprünglichen Zustande erhalten, und durch sein Erdgeschoß gelangen wir in die berühmte Künstler-Kegelbahn, die im Winter des Jahres 1882 eröffnet wurde mit dem Festspiel des Malers und Humoristen Eduard Daelen, welches den Sieg der Kegel über die Karten feierte.

Ueber den Flur hinweg kommen wir zunächst in das heutige Billardzimmer, dessen Stuckdecke im Rokokogeschmack uns daran gemahnen soll, daß wir im Theezimmer der weiland Familie Jacobi uns befinden. Da klingt uns schon Stimmengewirr, Gelächter, neben dem Rollen der Kugeln, dem Geräusche der fallenden Kegel entgegen.

Die nächste Thür durchschreitend befinden wir uns in der Künstlerkegelbahn. Ein kleiner, niedriger Raum, mit schwerer Holzarbeit verziert und reich im Renaissancestile gehalten, zeigt sich schmuckkästchenartig unseren Blicken. Vorwiegend jugendliche Gestalten, zwischen die sich auch zuweilen ein munter blickendes silberhaariges Haupt gesellt, drängen sich in dem gemüthlich engen Raume, von welchem zwei prachtvolle Bahnen in langer Dehnung auslaufen. Die künstlerische Jugend hat da unten ihren eigentlichen Stammsitz, und durch das Gelärme der Kegel und Kugeln dringt an unser Ohr von einem der erhöhten Sofas her, wo sich die Gruppen müßiger Zuschauer niederlassen, auch manches Wort ernsten Strebens, heißblütiger Hoffnungen, manche scharfe Kritik – denn rasch fertig ist die Jugend mit dem Worte.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_411.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2024)