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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der Hôteltreppe herunter steigen; er hatte offenbar dinirt und sein joviales Gesicht bot ein wunderliches Gemisch von Trauer und Behagen.

„Ich habe zu Mittag gespeist, Linden,“ begann er und legte seinen Arm in den des jungen Mannes, „mir war mehr wie plundrig nach der Affaire heute früh. Sie denken doch nicht falsch von mir? He? Ich bin keiner von denen, die aus Betrübniß den Appetit verlieren; ich lobe mir unsere Voreltern, die ihren Leichenschmauß hielten. Ich bitte Sie, Linden, das war gar kein so unästhetisches Gebahren, als was es leider unsere heutige Welt auffaßt; man gebe den Todten alle Ehre, der Lebende aber will sein Recht, und zu diesem gehört das Essen und Trinken, es hält Leib und Seele zusammen. O, la la! Mir fällt ein Begräbniß immer gleich auf den Magen. Das kleine gute Kerlchen! Aber glauben Sie mir, ich liebte es darum nicht weniger. Sie sind sicher noch nüchtern? Frauenzimmer essen ja bekanntlich nie bei derartigen Evenements.“

„Ich wollte Sie aufsuchen,“ erwiderte Linden, „meine Schwiegermutter läßt Sie bitten zu ihr zu kommen. Wir – heirathen in drei Wochen.“

Der kleine Herr im Nerzpelz blieb stehen und sah Linden an, als traue er seinen Ohren nicht. „Wie? – Was? Sie ist ja geschwind andern Sinnes geworden, hat Trudchen die weiche Stimmung benutzt oder –?“

„Das würde Trudchen nie thun. Nein, Frau Baumhagen wünscht mit ihrer ältesten Tochter zu verreisen, auf lange Zeit, da –“

„O, la la! Und Trudchen sollte nicht mit?“

„Im Gegentheil – aber sie wollte nicht.“

„Aha! Jetzt dämmert es mir, es hat etwas gegeben! Sie, Serenissima, hat versucht – hm, ich verstehe schon – Reisen, andere Gegenden, andere Menschen – aus den Augen, aus dem Sinn! Ha, ha, ’s ist eine geborne Diplomatin. Nun, ich komme, lassen Sie uns nur einen kleinen Umweg machen, mir thut die frische Luft so gut. Aber es freut mich, es freut mich von Herzen, also in drei Wochen?“

Die Herren gingen stumm neben einander durch das Schneegestöber, in den Straßen war es trotz des lebhaften Verkehrs merkwürdig still, Menschen und Wagen schienen auf der weißen Decke förmlich zu schweben. Die Luft war mild, wie nach Frühjahr duftend, und Franz Linden dachte an sein Daheim und an das kleine Zimmer neben dem seinigen, das nun nicht lange mehr unbewohnt bleiben würde.

„Ganz ergebenster Diener!“ sagte da eine Stimme, und an ihnen vorüber schob sich ein kleines Männchen, den Hut schwebend über den kahlen Scheitel haltend, eitel Freundlichkeit das spitze Gesicht. Linden grüßte, Onkel Heinrich berührte nachlässig den Rand seines Hutes.

„Woher kennen Sie denn diesen Monsieur Wolff?“ fragte er, dem Dahineilenden nachblickend, der sich unglaublich behende durch die Menschen wand. „Sehen Sie, Linden, der ist auch so Einer, der, treffe ich ihn vor Tische, mir den Appetit beinahe verderben kann.“

„Ich stehe oder stand vielmehr mit ihm in Geschäftsverbindung durch meinen alten Onkel, er hatte Geld von ihm auf Niendorf,“ erklärte Linden.

„Von diesem Kravattenfabrikanten? Der Alte ist wohl unklug gewesen!“

Linden erwiderte nichts. Sie waren eben in eine stille Seitenstraße eingebogen.

„Steht das Geld noch darauf?“ fragte Herr Baumhagen.

„Nein, die Schwester meines Freundes hat die Hypothek übernommen.“

„So! Warum haben Sie es mir nicht gesagt? Sie hätten überdies von Trudchens Geld –“

Franz Linden machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Na – ich hab’s dem Kinde versprochen; sie hatte mich beauftragt, Ihnen ein Kapital zur Verfügung zu stellen,“ erläuterte der alte Herr.

„Ich danke!“ erwiderte Linden kurz; „in meine Brautschaft mag ich keine Geldgeschichten hineinspielen lassen.“

„Und der Bau in Niendorf?“

„Trudchen weiß, daß kein Feenpalast sie erwartet; es läßt sich übrigens ganz gemüthlich dort wohnen, in den alten Zimmern, wenn sie auch niedrig sind und klein. Einen Gartensaal habe ich, der sehr hübsch ist, und das, was vor den Fenstern liegt, findet man so bald nicht wieder, und reist man noch so weit.“

„Ei, das Kind ist schon zufrieden, freilich!“ stimmte Herr Banmhagen bei, „aber Serenissima?“

„Es ist mir immer noch lieber, sie sagt: ‚Mein Kind ist in ein Bauernhaus gezogen‘, als ‚Wir haben erst bauen müssen‘,“ bemerkte Linden trocken.

Der alte Herr lachte vergnügt in sich hinein. „Ja ja, so spricht sie, so macht sie’s. Und verreisen will sie – ’s ist wunderbar. Meine liebe selige Mutter suchte Trost in der Arbeit, als mein Vater starb, das war noch die gute alte Sitte, die Heutigen reisen. Dem armen Ding, der Jenny thät’s besser, sie trauerte recht tief innerlich in der Stille. Nein, da wird sie hinausgerissen, damit das Pfeifen der Lokomotive ihr die letzte Erinnerung an die Stimme des Kleinen übertönt. Linden!“ Der alte Herr blieb stehen und legte die Hand auf seine Schnlter. „Die Trudchen ist anders, Sie können’s glauben! Sie ginge nicht fort von dem kleinen Grab da draußen, jetzt nicht! Sie hat auch ihre Fehler, das Kind, aber – hier drinnen,“ er zeigte auf seine Brust, „da ist’s richtig bei ihr. Wollte Gott, daß sie recht glücklich würde bei Ihnen, in dem alten Neste; sie hat’s verdient, schon um ihre Jugend – um ihren Vater.“

Franz nickte. Er wuße es ja so genau, was der alte Egoist ihm da erzählte.

„Na, nun kommen Sie aber,“ fuhr Onkel Heinrich fort, „meine Schwägerin wird mich sprechen wollen wegen der Hochzeit.“

„Ich denke, wegen des Ehekontraktes,“ meinte Franz Linden, „und da wollte ich Sie bitten, auch Gertrud zu bestimmen, daß sie sich den Wünschen ihrer Mutter fügt; es ist mir lieber so.“

„Hm!“ Der alte Herr räusperte sich. „Ich füge mich, Du fügst Dich, er fügt sich, sie – fügt sich nicht! Sie ist ein Trotzkopf – pardon! Na, bange machen gilt nicht, das hat sie von meinem Bruder, er war ein praktischer, ein tüchtiger Kaufmann, aber sobald das Herz ins Spiel kam – vorbei mit Klugheit, Vorsicht, Berechnung, was weiß ich’s! O, la la! Aber da wären wir ja!“

Frau Baumhagen empfing die Herren sehr ruhig, Gertrud war nicht bei ihr. „Sie ist in ihrem Zimmer,“ erklärte sie Linden, der sich wie suchend umblickte, „und erwartet Sie.“

Er fand das Mädchen im Erker, es brannte noch kein Licht, nur der Schein der Ofenflammen leuchtete über den Teppich.

„Gertrud,“ sagte er, „wie soll ich Dir danken!“ Und als er ihre Hände ergriff, brannten sie heiß in den seinen.

„Wofür?“ fragte sie.

„Für Alles, Trudchen! – Du warst doch ruhig Mama gegenüber?“ setzte er dann ruhig hinzu, als sie schwieg.

„Ganz ruhig!“ erwiderte sie, „ich dachte an Dich, aber fest bin ich geblieben, ich will keinen Ehekontrakt!“

„Du thörichtes Mädchen! Ich kann ja Unglück haben, schlechte Ernten oder dergleichen – dann leidest Du mit?“

Sie nickte und lächelte. „Freilich – und helfe Dir mit Allem, was ich besitze. Und wenn wir schlechte Ernten haben und nichts, nichts glücken will, gar nichts mehr unser ist, dann –“ sie hielt inne und sah ihn glückselig an aus den lieben verweinten Augen, „dann hungern wir zusammen, nicht? Du?“




Und der Hochzeitstag kam; anders als sonst ein solches Freudenfeft hub er an. Es war unheimlich still in dem Hause, das noch in tiefster Trauer stand.

Die Zimmerflucht hatte man geöffnet und erwärmt, und über Trudchens Thür hing eine Guirlande aus ernstem Tannengrün. Gestern war unermüdlich die Thürklingel gezogen worden und ein kostbares Geschenk nach dem andern eingetroffen, die ganze Pracht an schwerem Silberzeug, Majoliken, Teppichen und anderen kostbaren Dingen hatte man auf eine lange Tafel gestellt im Erkerzimmer, ein Gärtnerbursche hantirte noch leise im Saal, um den improvisirten Altar mit Orangerie zu dekoriren. Der feine Duft von Räucherwerk schwebte in der Luft und die Flammen des Kamins spiegelten sich in den Glasbehängen des Kronleuchters und dem glänzenden Parkett des Fußbodens. Draußen aber wehte trügerische weiche Luft, es war der erste März.

Frau Baumhagen hatte schon seit dem Morgen geweint und gestöhnt, und zwischen den Anordnungen für die Trauung waren

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